Der Antrag „Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung“
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Zahlen stehen für mich symbolisch für das heutige Thema: 9.800 und 265. Im Jahr 2022 gab es in Nordrhein-Westfalen über 9.800 Angriffe auf Einsatzkräfte, und im Jahr 2023 gab es 265 Angriffe auf Politiker*innen und Parteien.
Angriffe auf Polizist*innen, Feuerwehrleute und Rettungskräfte, aber auch auf Journalist*innen und auf Politiker*innen sind Angriffe auf unseren Staat und auf alles, was ihn ausmacht. Es sind Angriffe auf unsere Sicherheit, auf unsere Freiheit und auf unsere Demokratie. Dagegen müssen wir uns als demokratische Gesellschaft einsetzen, jeden Tag und überall.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Diese Gewalt ist kein plötzlich auftretendes Phänomen; sie nimmt ja seit Jahren zu, und sie ist Folge einer gesellschaftlichen Diskursverschiebung und einer Verhärtung von Standpunkten.
Jetzt kann man fragen: Woher kann das denn kommen? Wenn man einmal zurückblickt, gibt es vielleicht ein paar Hinweise darauf: die Finanzkrise Ende der 2000er-Jahre; die Verschärfung der Kriege und bewaffneten Konflikte in Syrien, im Irak und in Afghanistan; die Coronapandemie; der Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine und daraus resultierend die Energiekrise und die Inflation; der Angriff der Hamas auf Israel und der Krieg in Gaza; die sich immer weiter verschärfende Klima- und Biodiversitätskrise.
Jede dieser Krisen hat uns direkt oder indirekt betroffen. Diese Krisen haben manche in ihrem Engagement bestärkt und angetrieben. Aber diese Krisen haben auch viele verunsichert und gelähmt.
Diese Verunsicherung nutzen Populisten, Demagogen, Wissenschaftsleugner und Rechtsextreme; denn Angst ist ihr Nährboden, auf dem sie Hass und Hetze säen. Sie verschieben ganz bewusst die Grenzen des Sagbaren und damit auch den gesellschaftlichen Diskurs.
Es ist unsere Verantwortung als Demokrat*innen, diese Verunsicherung ernst zu nehmen, den Menschen wieder mehr Zuversicht zu geben und der Diskursverschiebung nicht auf den Leim zu gehen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Die Zunahme von rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung geht genau mit dieser Diskursverschiebung einher, ebenso wie die zunehmende Gewalt gegen Politiker*innen, die sich gegen Rassismus und für geflüchtete Menschen einsetzen. Die regelrechte Hinrichtung von Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines eigenen Hauses durch Rechtsextreme war dabei ein trauriger Höhepunkt. Gezielt arbeiten Demokratiefeinde wie Rechtsextreme, Reichsbürger oder Coronaleugner daran, ihre Gegner einschüchtern.
Wir aber lassen uns nicht einschüchtern, nicht durch Hasskommentare im Netz, heruntergerissene Wahlplakate oder Angriffe auf Infostände. Wir stehen weiter für unsere Werte, für Demokratie, für Menschenwürde und für unsere Verfassung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)
Mir scheint, als verlören wir als Gesellschaft immer mehr die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen. Der eigene Standpunkt und der eigene Weg werden zum Maß aller Dinge. Dabei gehören Kompromisse doch zum Leben dazu. Jeden Tag gehen wir privat oder beruflich x Kompromisse ein, und es geht uns meist gut damit. In der Politik aber gelten Kompromisse häufig als schmutzige Hinterzimmerdeals oder als Verrat an den eigenen Idealen. Ich finde aber: Kompromisse sind Ausdruck der Übernahme von Verantwortung für unsere Gesellschaft. Kompromisslosigkeit dagegen führt zu verhärteten Fronten zwischen politischen Mitbewerbern.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)
Ein Blick in die USA zeigt, wohin dieser Weg, diese Kompromisslosigkeit, gepaart mit Hass und Hetze sowie Desinformationen, führen kann. Die dortige Unfähigkeit, miteinander ins Gespräch über Lösungen zu kommen, führt zu einer Verhärtung und Sprachlosigkeit, die von der Politik über die Medien geht und bis in die Familien hineinreicht. Schließlich mündet sie in blinde Wut und Ablehnung des Staates und seiner Institutionen, was in der Stürmung des Kapitols durch eine vom abgewählten Präsidenten aufgestachelte Menge seinen Höhepunkt fand.
Die USA sollten uns Mahnung sein, auf unsere Sprache und auf ihre Wirkung zu achten. Denn Sprache beeinflusst unser Denken. Worte sind die Grundlage allen politischen Handelns. Wir wissen um die Bedeutung und die Macht von Worten. Wir wissen, dass selbst kleine Worte die Welt verändern können.
Genau deswegen tragen wir Demokrat*innen Verantwortung dafür, wie wir über Entscheidungen und Herausforderungen sprechen, und wir tragen Verantwortung dafür, wie wir über andere Menschen, Minderheiten und politische Mitbewerber sprechen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)
Es gibt immer mehrere Wege, ein Problem anzugehen und eine Lösung herbeizuführen. Dabei können und sollten wir uns streiten, auch hart in der Sache. Allerdings gibt es dafür klare Grenzen: der Boden der Wissenschaft, des Anstands, unserer demokratischen Grundsätze und unserer Verfassung. Diese Grenzen einzuhalten, ist unsere gemeinsame Aufgabe als Demokrat*innen. Es ist unsere Verantwortung, gemeinsam Lösungen zu finden und nicht nur Probleme zu beschreiben.
Ängste schüren nämlich schon andere, auch hier in diesem Haus. Letzten Endes wird aus Angst dann Wut und Hass, und Hass wird zu Gewalt – zu Gewalt im Internet oder auf der Straße, verbal oder physisch, zu Gewalt gegen Objekte oder Menschen, gegen Minderheiten, Einsatzkräfte oder Politiker*innen.
Wer Gewalt anwendet, ist ganz klar ein Straftäter. Wer Gewalt gegen unsere Demokratie anwendet, ist sogar noch mehr als das: Jeder, der Politiker*innen angreift, ist ein Feind unserer Demokratie und gehört auch genau so behandelt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Um das ganz klar zu sagen: Niemand, absolut niemand darf angegriffen werden. Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, niemals und nirgendwo. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)