Berivan Aymaz: „Die Landesregierung muss die Kommunen endlich bei ihrer Mammutaufgabe konkret unterstützen“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge

Portrait Berivan Aymaz 2021

Der Antrag

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Erst einmal vielen Dank für das gemeinsame und wichtige Signal der soeben beschlossenen gemeinsamen Resolution der demokratischen Fraktionen, in der wir Putins Angriffskrieg in der Ukraine mit klaren Worten verurteilt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Mit Erschüttern verfolgen wir alle das immer brutalere und hemmungslosere Vorgehen russischer Truppen, das so viele Familien auseinanderreißt und Elend und Terror über ein ganzes Land bringt. Unser vordringlichstes gemeinsames Ziel ist es daher, allen geflüchteten Menschen aus der Ukraine den Schutz zu bieten, den sie so dringend brauchen. Das haben wir gerade miteinander beschlossen. Unterbringung, medizinische Versorgung, Zugang zur sozialen Beratung und zu Bildungsangeboten – das alles muss gewährleistet sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei den Menschen, die jetzt aus der Ukraine zu uns kommen, handelt es sich überwiegend um Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Erkrankungen. Sie brauchen zielgenaue Unterbringungs- und Unterstützungsangebote, um wirklich gut bei uns ankommen zu können.

Auch vier Wochen nach Kriegsausbruch und der damit verbundenen Fluchtbewegung aus der Ukraine leisten unsere Kommunen und die Zivilgesellschaft wieder einmal großartige Arbeit. Sie haben Ad-hoc-Strukturen geschaffen, zum Beispiel Ankunftszentren an den Bahnhöfen, organisieren permanent Unterbringungskapazitäten und sind mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern rund um die Uhr für die ankommenden Personen da. Dafür gilt ihnen unser herzlichster Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ohne das schnelle und pragmatische Handeln unserer Kommunen und das unermüdliche Engagement der Zivilgesellschaft wäre diese Herausforderung nicht in der Form zu meistern. Vor allem brauchen die Kommunen jetzt unsere Unterstützung.

In NRW sind nach offiziellen Angaben bereits über 30.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen worden. Während sich knapp 9.000 Menschen in Landesunterkünften befinden, sind bereits 22.000 Menschen in den Kommunen untergebracht. Wir müssen davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl viel, viel höher liegt und dass in den nächsten Tagen viel mehr Menschen zu uns kommen werden, weil die brutalen Angriffe Putins eben noch andauern und somit die Anzahl von schutzsuchenden Menschen rapide steigen wird.

Ministerpräsident Wüst hat vor genau drei Wochen, als unsere Kommunen und die Zivilgesellschaft schon voll im Einsatz waren, von Landesseite aus Hilfe ohne Wenn und Aber zugesichert. Soeben sagte Flüchtlingsminister Stamp den Kommunen erneut seine Unterstützung zu; er werde sie nicht im Regen stehen lassen.

Diese Ankündigungen unterstützen wir. Das ist klar. Aber sie dürfen keine warmen Worte bleiben. Die Landesregierung muss die Kommunen endlich bei ihrer Mammutaufgabe ganz konkret unterstützen und darf sie eben nicht alleinlassen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ja, der Ausbau der Unterbringungskapazitäten in den Landeseinrichtungen von 20.000 auf 25.000 Plätze war ein notwendiger Schritt. Aber seien wir ehrlich: Angesichts der prognostizierten Zahlen und der fortschreitenden Zeit ist dies doch noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Einige unserer Kommunen stoßen jetzt schon an ihre Kapazitätsgrenzen, weil die Geflüchteten – übrigens völlig nachvollziehbar – nicht gleichmäßig im gesamten Land ankommen.

Umso wichtiger ist doch jetzt eine Steuerung durch das Land. Aber die Landesregierung verzichtet wieder einmal darauf, den Krisenstab des Landes zur Koordination zu aktivieren. Sie verzichten wieder einmal auf bewährte Strukturen und beispielsweise darauf, Katastrophenschutzorganisationen in die Arbeit einzubinden.

Stattdessen haben Sie ein unübersichtliches Gefüge unterschiedlicher Stäbe und Arbeitsgruppen in den verschiedenen Ressorts eingerichtet. Da frage ich mich: Wissen Sie eigentlich noch, wer für welche Aufgabe wo zuständig ist? – Bevor Sie, Minister Stamp, einen Masterplan für die EU fordern, erwarte ich, dass Sie einen Plan auf Landesebene haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für eine geordnete Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine ist deren Registrierung ein zentraler Aspekt; denn damit können die Menschen aus der Ukraine einen temporären Aufenthaltstitel erhalten,

(Zuruf von Guido Déus [CDU])

haben Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, können sich auf Wohnungssuche begeben oder eine Beschäftigung aufnehmen und ihre Kinder in Kitas und Schulen anmelden.

Umso weniger nachvollziehbar ist, warum die Landesregierung die kommunalen Ausländerbehörden, die sowieso schon am Limit arbeiten und einen Antragsstau vor sich herschieben, nun auch noch bei der Bewältigung einer so dringenden Aufgabe bis heute alleinlässt.

(Guido Déus [CDU]: Wo ist der Bund?)

Es geht nicht nur um die fehlenden personellen Kapazitäten in unseren Ausländerbehörden, sondern auch um die fehlenden elektronischen Registrierungsstationen, die sogenannten PIK-Stationen.

So verfügt zum Beispiel die Stadt Köln, die mittlerweile über 3.000 Menschen aufgenommen hat, lediglich über eine PIK-Station. Wenn man für jede einzelne Registrierung nur eine halbe Stunde Bearbeitungszeit ansetzt, dann stellt man fest, dass die Ausländerbehörde in Köln alleine mit der Registrierung mindestens 1.500 Stunden im Einsatz ist. Bei einem Achtstundentag sind das 187,5 Tage, also ungefähr ein halbes Jahr, und dabei sind pandemiebedingte Ausfälle noch nicht einmal eingerechnet. Ich finde, das sind völlig unhaltbare Zustände. Hier muss die Landesregierung schnell Abhilfe schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

Ich komme zum Schluss. Ja, unsere Kommunen packen nicht nur an, sie gehen auch in finanzielle Vorleistung. Sie mieten Messehalten, stellen Catering, setzen Sicherheitsdienste ein und führen Coronatestungen durch. Das alles kostet Geld. Bereits jetzt ist klar, dass die FlüAG-Pauschale dafür bei Weitem nicht reichen wird. Unsere Kommunen brauchen daher eine ganz klare Finanzierungszusage der Landesregierung.

Sehr geehrter Herr Minister Stamp, Sie fordern einen nationalen und darüber hinaus sogar einen internationalen Flüchtlingsgipfel. Ja, wir sind jetzt alle gefordert. Da gebe ich Ihnen auf jeden Fall recht. Aber wir brauchen auch einen landesweiten Plan für die Aufnahme der Geflüchteten und die Unterstützung der Kommunen. Das ist Ihre Aufgabe, bei der Sie jetzt erst einmal vorlegen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich muss gestehen, dass ich gar nicht mehr vorhatte, noch mal an das Pult zu gehen. Es geht auch nicht um die 9 Minuten, die mir bzw. unserer Fraktion noch zur Verfügung stehen.

Die Aktuelle Stunde ist natürlich dafür da, diese aktuellen und drängenden Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu erörtern.

Und da gibt es unterschiedliche Perspektiven. Ich glaube, dass wir auch in der Debatte deutlich gemacht haben, dass das, was wir kritisieren, ganz klar einen konstruktiven Ansatz hat.

Ich muss ehrlich gestehen, Herr Golland: Was Sie hier geliefert haben, ist ein Tiefpunkt dieser Debatte heute gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Golland, wir, alle demokratischen Fraktionen gemeinsam, haben in der Resolution klar verabschiedet, dass wir alle schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine hier aufnehmen möchten.

(Gregor Golland [CDU]: Das ist eben der Unterschied! – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Was Sie gesagt haben, Herr Golland, stimmt so nicht. Bleiben Sie mal ruhig. Sie sagen, dass auf der europäischen Ebene etwas anderes beschlossen worden sei. – So ganz stimmt das nicht. Es ist auf der europäischen Ebene auch beschlossen worden, dass auch Drittstaatlerinnen und Drittstaatler hier die Möglichkeit haben können, über die EU-Richtlinie Schutz zu bekommen.

Es gibt natürlich Bemühungen, zu gucken, ob diese Menschen eventuell einen sicheren Weg in ihre Herkunftsländer haben. Das ist klar. Das sind Prüfungsaufgaben, aber das sind doch keine Fragen, Herr Golland, die uns jetzt in dieser Stunde tatsächlich beschäftigen müssten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es geht doch jetzt darum, erst einmal den Tausenden Menschen, die hierherkommen, die beste Unterbringungsform zu gewähren,

(Gregor Golland [CDU] [auf ein Blatt Papier zeigend]: Der letzte Satz!)

und den Kommunen und der Zivilgesellschaft, die so im Einsatz sind, Unterstützung zu geben, damit sich hier das Ankommen geordnet gestaltet. Genau darum geht es.

In dieser Stunde ist nicht die Zeit, Menschen, die hierherkommen, unter Generalverdacht zu stellen, und wieder die alte Leier von Missbrauch und diesem und jenen anzusprechen. Das war der Debatte und der aktuellen Situation absolut nicht würdig. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Gregor Golland [CDU])

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