Wibke Brems: „Nicht Klimaschutz gefährdet Freiheit, zu wenig Klimaschutz gefährdet Freiheit“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag für ein neues Klimaschutzgesetz

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her­ren!

„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“

Dieses Zitat von Kant kennt wohl jeder. Selbst mir, die sonst mit Philosophie nicht so richtig viel am Hut hat, ist es bekannt.

(Heiterkeit von Josefine Paul [GRÜNE] und Verena Schäffer [GRÜNE])

Freiheit, ohne Zwang entscheiden zu können, das ist erstrebenswert. Viel zu viele aber ver­wechseln Freiheit mit einem Anspruch oder einem Recht auf ein bestimmtes Handeln. Sie meinen zum Beispiel, Freiheit bedeute das Recht, Kohle abzubaggern und zu verfeuern, weil sich damit am meisten Geld verdienen lässt. Sie meinen, Freiheit bedeute das Recht darauf, dass Autos immer größer werden und immer mehr Sprit verbrauchen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Sie meinen, Freiheit bedeute, Anspruch darauf zu haben, immer weiter unkontrolliert zu wach­sen und die Ressourcen unseres Planeten aufzubrauchen.

Aber das alles, was sich einige da herausnehmen, ist keine Freiheit, all das gefährdet Freiheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 29. April festgestellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es hat klargemacht: Nicht Klimaschutz gefährdet Freiheit, zu wenig Klimaschutz gefährdet Freiheit,

(Zurufe von Roger Beckamp [AfD] und Helmut Seifen [AfD])

unsere und vor allem die zukünftiger Generationen.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Umgekehrt gesagt: Mehr Klimaschutz heute bedeutet mehr Freiheit morgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das wiederum bedeutet, dass alle Regierungen Verantwortung tragen, diese Freiheit von ge­genwärtigen und zukünftigen Generationen zu schützen. Sie haben die Verantwortung, Kli­maschutz nicht nur anzukündigen, sondern auch danach zu handeln. Ich habe erhebliche Zweifel, wie ernst diese Landesregierung und auch dieser Minister und der Ministerpräsident diese Verantwortung nehmen. Denn Ihre Ankündigungen und Ihr Handeln passen vorne und hinten nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das erste Beispiel dafür ist das Klimaschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen. Sie haben an­gekündigt, dass Sie ein paar Zahlen verändern wollen. Es reicht nicht, ein paar Prozentzahlen oder Jahreszahlen zu ändern, Sie müssen schon sagen, wann wie welche Maßnahmen um­gesetzt werden. Das haben Sie jedoch verhindert. Sie haben das alte Klimaschutzgesetz massiv ausgehöhlt. Daher fordern wir Sie auf, das Klimaschutzgesetz zurückzuziehen und komplett zu überarbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß, Sie mögen das nicht so gerne hören – ich habe es schon oft gesagt –, aber Sie kommen nicht darum herum: Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, muss der Kohleaus-stieg auf das Jahr 2030 vorgezogen werden.

Damit sind wir auch schon bei der Leitentscheidung. Keine drei Monate nach Ihrem Beschluss ist sie bereits Makulatur. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Leitsatz 3 des Be­schlusses die Enteignung von Wohnhäusern weiter massiv erschwert. Daher ist unsere For­derung ganz klar: Muten Sie den Menschen nicht weiter lange, kräftezehrende Gerichtsver­fahren zu! Beenden Sie die Unsicherheit der Menschen in den von Abbaggerung bedrohten Dörfern! Retten Sie die Heimat dieser Menschen!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Eine weitere Stelle, an der Anspruch und Wirklichkeit dieser Landesregierung auseinander-klaffen, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien und insbesondere der Windenergie.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Die Wirtschaft braucht erneuerbare Energien, um auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen zu können.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: 2020 höchster Ausbau in NRW! Selbst grüne Landesregie­rungen liegen hinter Nordrhein-Westfalen!)

Wir brauchen jetzt eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energien. Das bedeutet, dass So­larenergie Standard auf jedem Dach werden muss. Das bedeutet, dass wir ausreichend Flä­chen für die Windenergie sichern müssen, statt Potenzialflächen weiter zu verkleinern, wie Sie das mit Ihren Mindestabständen machen wollen.

Noch heute Morgen haben Sie, Herr Minister Pinkwart, angekündigt, dass Sie Milliarden an Klimaschutzinvestitionen ins Land holen wollen. Sie tun aber genau das Gegenteil. Sie ver­treiben Investitionen in die Windenergie in Milliardenhöhe aus Nordrhein-Westfalen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Was reden Sie denn da?)

Wenn Sie mit Stadtwerken und der Industrie wirklich sprechen und ihnen zuhören würden, dann würden Sie Ihre Politik ändern.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Höchster Zuwachs in Nordrhein-Westfalen! Selbst grüne Landesregierungen liegen dahinter! Liebe Frau Brems, so blind können Sie doch nicht sein!)

– Ich scheine Sie an dieser Stelle immer wieder zu treffen.

Deswegen fordern wir Sie auf: Beenden Sie Ihren irrwitzigen Feldzug gegen die Windenergie, und ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zu den Mindestabständen zurück.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist Desinformation!)

Es gibt noch weitere Konsequenzen, die aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts schnell gezogen werden müssen. Das ist zum einen die Mobilitätswende. Da müssen sub­stanziell Mittel zum ÖPNV, zum Fahrradverkehr umgeschichtet werden.

(Henning Rehbaum [CDU]: Was haben Sie denn dazu beigetragen?)

Da reichen nicht ein paar schöne Fahrradschnellwege. Das grundlegende Denken muss sich ändern, weg vom Auto, hin zu Fahrrad und ÖPNV. Und alle Straßenneubauvorhaben

(Unruhe – Glocke)

müssen auf den Prüfstand.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die CDU ist nervös!)

– Genau diese Rhetorik können Sie immer ganz gut. Sie sind dran, zu handeln, aber Sie tun es nicht.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Der nächste dringende Handlungsbedarf besteht bei den Gebäuden. Wir wissen schon lange, dass es gerade bei der Wärmeversorgung dringenden Handlungsbedarf gibt. Die Förderpro­gramme müssen grundsätzlich überarbeitet werden. Es gibt immer noch sehr viele Förder­programme, die fossile Technologien und unzureichende Energiestandards unterstützen. Es muss dafür gesorgt werden, dass das, was gefördert wird, tatsächlich mit der Klimaneutralität kompatibel ist, damit wir in zehn Jahren nicht alles noch einmal anfassen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, wir müssen auch über die Industrie reden. Im Industrieland Nordrhein-Westfalen stehen wir vor der großen Herausforderung, auch die Industrie zur Klimaneutralität zu begleiten. Es steht eine enorme Modernisierung unserer Industrie in sehr kurzer Zeit an. Diese Landesre­gierung vertreibt jedoch mit ihrer Antiwindpolitik nicht nur Investitionen, sie gefährdet mit ihrer Scheinklimapolitik

(Henning Rehbaum [CDU]: Platz eins Nordrhein-Westfalen! – Zuruf von Josef Hoven-jürgen [CDU])

die Zukunft des Industriestandortes NRW, weil nämlich Planungssicherheit fehlt, weil die Per­spektive fehlt. An dieser Stelle fehlt immer noch etwas Geld.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das Falsche wird nicht richtiger, wenn man es wiederholt!)

Aktuell haben wir noch eine Wirtschaftlichkeitslücke, weil sich klimafeindliches Handeln immer noch mehr lohnt als klimaneutrales Wirtschaften. Daher müssen auch vom Land NRW För­derinstrumente für Investitionen in klimaneutrale Industrieprozesse auf den Weg gebracht werden. Lassen Sie die Wirtschaft bei dieser Herausforderung nicht allein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu guter Letzt möchte ich auf Ihr in Dauerschleife vorgetragenes Mantra von der Technolo­gieoffenheit eingehen. Das klingt ja immer ganz toll. Aber wenn Technologieoffenheit bedeu­tet, dass man ineffiziente Systeme und Technologien fördert, wie beispielsweise Wasserstoff für Pkw oder Gebäudeheizungen einzusetzen, dann ist das pure Verschwendung von Zeit, Geld und Ressourcen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dass gerade CDU und FDP eine solche Verschwendung immer und immer wieder einfordern, wie Sie es auch heute in Ihrem Antrag tun, ist schon bezeichnend

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

und passt zu Ihrer Klimapolitik, die sich ausschließlich in der PR-Abteilung abspielt.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Ich verrate Ihnen was: All die Forderungen, die ich gerade genannt habe, sind keine Neuig­keiten. Sie brauchen keine Überlegungen und keine langen Prüfungen, sondern es muss ein­fach gemacht werden.

(Henning Rehbaum [CDU: Was haben Sie denn gemacht?)

Vor drei Wochen haben es alle Fraktionen außer uns im Landtag noch abgelehnt, über unse­ren Antrag und die Folgen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu debattieren.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Heute können Sie sich nicht mehr verweigern. Heute ist auch die Zeit, über die ersten Maß­nahmen und Forderungen abzustimmen, denn die Zeit drängt.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Ich sage Ihnen trotz Ihres Geschreis: Handeln Sie endlich für den Klimaschutz! Wählen Sie die Freiheit!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

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