Wibke Brems: „Man agiert hier nach dem Prinzip ‚Aus den Augen, aus dem Sinn'“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Urantransporten

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 2019 rollen wieder Atommülltransporte von der Urananreicherungsanlage in Gronau nach Russland. Allein im Jahr 2019 waren es fast 9.000 t. Das ist in mehrerlei Hinsicht problematisch.
Das erste Problem ist, dass es sich dabei um abgereichertes Uranhexafluorid handelt. Es ist zum einen radioaktiv, und zum anderen reicht die Feuchtigkeit der Luft aus, damit sich in einer Reaktion hoch ätzende Flusssäure bildet. Allein das wäre Grund genug, die Transporte von Uranhexafluorid auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.
Das zweite Problem ist, dass der Atommüll als Wertstoff deklariert wird. Es wird behauptet, dass damit in Russland eine kommerzielle Nutzung stattfinden würde. Ohne diese Behauptung wäre ein Export des Atommülls weder nach deutschem noch nach russischem Recht möglich. Diese Nutzung ist aber überhaupt nicht belegt. Und selbst wenn es so wäre, wäre klar, dass 95 % des Materials tatsächlich Müll sind.
Ich habe vor Kurzem mit Vladimir Sliviak von Ecodefense, einer russischen Umweltorganisation, gesprochen. Er hat mir eindrücklich beschrieben, dass es in Russland nicht möglich ist, zivilgesellschaftlich und unabhängig zu überprüfen, was genau mit dem Atommüll geschieht.
Damit kommen wir zum dritten Problem: Der Zielort der Transporte ist der russische Ort Nowouralsk. Das ist eine dieser geschlossenen Städte, die es in Russland gibt. Sie stehen unter der Kontrolle des russischen Militärs und Geheimdienstes. Für uns ist das etwas völlig Unvorstellbares. Infos, die über diese Stadt, zum Beispiel aufgrund von Satellitenaufnahmen, bekannt sind, zeigen, dass die Behälter, um die es hier geht, in Massen unter freiem Himmel lagern. Was genau dort aber passiert – wird das wirtschaftlich genutzt? was passiert eigentlich damit? wird es militärisch genutzt? –, ist völlig unklar.
Ein weiteres Problem neben diesen geschlossenen Städten sind – und das wissen wir eigentlich alle – die Repressalien der russischen Regierung gegen zivilgesellschaftliches Engagement. Auch davon berichtete mir Vladimir Sliviak. Die Leiterin von Ecodefense, Alexandra Koroleva, hat in Deutschland Asyl beantragt und auch sehr schnell erhalten.
Angesichts all dieser Umstände ist es ein absolutes Unding, dass weiterhin Atommüll von Nordrhein-Westfalen nach Russland transportiert wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, leider kommt es noch schlimmer. Wir haben nämlich ein weiteres Problem: Diese Transporte verstoßen gegen die EU-Sanktionen, die Russland wegen der Krim-Annexion auferlegt wurden. Zu diesem Ergebnis kam jüngst ein Gutachten. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das Uranhexafluorid auch militärisch genutzt werden kann.
Ich finde, es kann nicht sein, dass es der Bundesregierung anscheinend egal ist, dass mit diesen gefährlichen Transporten gegen EU-Sanktionen verstoßen wird. Daher muss mit diesen gefährlichen Transporten absolut Schluss sein.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wenn man sich fragt, warum Landes- und Bundesregierung einfach zuschauen, lautet die Antwort, dass es leider keine Lösung für die Endlagerung von Uranhexafluorid gibt. Wir befinden uns in Deutschland derzeit auf der Suche nach einem Standort für die Endlagerung. Nur wenn dieser Standort groß genug ist, wird in der Nachbarschaft auch ein Endlager für den Urenco-Müll und den Müll aus der havarierten Asse möglich sein. Man agiert hier also ganz klar nach dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“.
Neben all dem, was ich jetzt beschrieben habe, gibt es in Nordrhein-Westfalen leider auch noch ein Grundproblem: die Urananreicherungsanlage von Urenco in Gronau. Sie ist und bleibt ein Teil der Atomwirtschaft. Obwohl der Atomausstieg im Jahr 2022 in greifbare Nähe rückt, verweigern sich die Bundesregierung und auch Ministerpräsident Laschet der rechtlich möglichen Schließung dieser Urananreicherungsanlage.
Wir kennen den Ministerpräsidenten so, dass er sich gegen die Bröckelreaktoren, die in der Nähe von Aachen und damit quasi vor seiner Haustür stehen, sehr engagiert. Aber wenn es darum geht, was im Münsterland passiert, verschließt er die Augen.
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Warum haben Sie das denn nicht schon gemacht?)
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Die Landesregierung und der Ministerpräsident müssen ihrer Verantwortung gerecht werden
(Dietmar Brockes [FDP]: Das hätten Sie ja zu Ihren Regierungszeiten machen können!)
und ihr Gewicht in Berlin für die Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau und für die Beendigung der Transporte nach Russland einsetzen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)