Wibke Brems: „Für die Lage, in der wir uns befinden, sind die Bundesregierungen der vergangenen Jahre maßgeblich mitverantwortlich“

Zu Anträgen von "AfD" und SPD zur Energiesicherheit

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist ernst. Das haben wir heute schon mehrmals gehört. Das hat auch Bundeswirtschaftsminister Habeck gesagt und die Lage so beschrieben, als er vor sieben Tagen die Alarmstufe nach dem Notfallplan Gas ausrief.

Schon Monate vor dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine war klar, dass es zu leere Gasspeicher gab und die Preise dramatisch steigen würden. Seit Ende vergangenen Jahres arbeitet die Bundesregierung mit Expert*innen an Lösungen; Gesetze werden überarbeitet oder neu erstellt.

Seit dem 24. Februar 2022 wurden dann die Anstrengungen zur Lösungssuche noch einmal verstärkt. Ja, dazu gehören auch unbequeme Lösungen. Denn natürlich kann es uns nicht gefallen, dass Kohlekraftwerke länger laufen, selbst wenn es nur für eine begrenzte Zeit ist.

Herr Höne, ich möchte Ihnen dazu sagen, dass das, was Sie hier zur Leitentscheidung ausgeführt haben, vorne und hinten nicht passt. Sie müssten wissen, dass eine Leitentscheidung nicht jetzt entscheidend wichtig für die Versorgungssicherheit im kommenden Winter ist. Das, was Sie hier gesagt haben, ist einfach purer Populismus.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Natürlich löst es auch keine Begeisterung aus, dass wir im Jahr 2022 noch neue LNG-Terminals im Schnellverfahren genehmigen und errichten müssen. Aber die Alternative kann eben nicht eine unterbrochene Versorgung mit Gas sein. Das können wir uns nicht erlauben.

Wir müssen deswegen alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Notfallstufe nicht ausgerufen werden muss. Denn dann müsste Verbrauchern das Gas abgedreht werden – allen voran Teilen der Industrie. Dies hätte eklatante Folgen für unsere Wirtschaft und damit für Arbeitsplätze, Wertschöpfung usw.

Aktuelle Studien gehen davon aus, dass in einem solchen Fall ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um teilweise mehr als 10 % zu erwarten wäre. Das ist leider kein Alarmismus, sondern bittere Realität.

Manch einer sieht dann in der Krise seine Chance, und Fans von Hochrisikotechnologien kommen immer wieder aus ihren Löchern gekrochen. Ich finde es aber gut, dass die Zeit vorbei ist, in der aus der NRW-Landesregierung Forderungen nach Fracking und Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke ins Spiel gebracht wurden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Solche Forderungen sind völlig aus der Zeit gefallen. Sie sind auch kein wirksamer Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Lage.

Das finden übrigens nicht nur von Ihnen so genannte Ökoaktivist*innen, sondern auch Menschen, die traditionell eher den althergebrachten Energien näherstehen und von Laufzeitverlängerungen sogar finanziell profitieren könnten.

So sagte RWE-Chef Krebber erst vor wenigen Tagen dem Sender WELT:

„Ich wundere mich ein wenig über die Debatte, vor allem über den Zeitpunkt.“

Er sagte, diese Debatte komme „zu spät“, und weiter:

„Wir müssen uns um die Sachen kümmern, die wirklich die Probleme lösen. Gasinfrastruktur aufbauen, Gas sparen.“

Ich hätte mir nicht unbedingt vorgestellt, dass ich in einer solchen Debatte einmal den RWE-Chef zitiere.

(Heiterkeit – Zurufe)

Aber es zeigt doch, wo jetzt die Herausforderungen liegen: Gas sparen, wo es nur geht, ob in der Industrie oder im Privaten.

Was ist dann die Reaktion von manchen selbst ernannten Freiheitsverteidigern? Sie halten es für Freiheit, aus Trotz extra lange zu duschen, und ziehen damit einfache Einsparungspotenziale nur ins Lächerliche.

Es ist natürlich blöd, wenn wir jetzt Gas sparen sollen. Denn in den vergangenen Jahrzehnten haben die Bundesregierungen eine vollkommen verkorkste Energiepolitik gemacht. Trotz Annexion der Krim 2014 und trotz Beteiligung Russlands am Syrien-Krieg ab 2015 wurden die russischen Gasimporte immer weiter gesteigert. Es wurde zugesehen, wie Gazprom immer mehr deutsche Gasspeicher übernahm. Der Bau der Pipeline Nord Stream 2 wurde weiter vorangetrieben, als ob nichts wäre.

Warnungen von Grünen wurden als Oppositionsgeplänkel abgetan. Selbst die Warnungen von europäischen Nachbarn und den USA wurden in den Wind geschlagen.

Gleichzeitig wurde dann bekanntermaßen dem Ausbau der erneuerbaren Energien eine Hürde nach der anderen in den Weg gelegt.

Ich muss Ihnen leider diese bitteren Wahrheiten hier zumuten. Für die Lage, in der wir uns befinden, sind die Bundesregierungen der vergangenen Jahre maßgeblich mitverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da wäre etwas mehr Demut angebracht, als wir zum Teil heute hier gehört haben. Aber schauen wir gerne nach vorne; denn die Vergangenheit können wir leider nicht mehr ändern. Was ist jetzt also zu tun?

Zum einen müssen wir die Anstrengungen erhöhen, kurzfristig den Gasverbrauch zu senken und Preissteigerungen abzufedern, damit die Versorgung im Winter gesichert ist und es keine Frage des Geldbeutels ist, ob man es im Winter warm hat oder nicht.

Zum anderen geht es darum, mittelfristig nicht nur von Gas aus Russland unabhängig zu werden, sondern von Gas generell.

Schließlich geht es darum, unsere Klimaziele zu erreichen. Dafür brauchen wir keine gefährlichen Träumereien von Fracking oder Atomkraft. Dafür brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung von Industrie und Privathaushalten, Einsparpotenziale zu nutzen und unnötige Energieverbräuche zu vermeiden.

Wir brauchen eine ambitionierte Wärmepumpenoffensive; denn jede Gasheizung weniger hilft.

Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, und zwar – das sage ich ganz klar – nicht nur aus Wind und Photovoltaik, sondern Biogas, Geothermie und Solarthermie.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir brauchen auch eine echte Kreislaufwirtschaft.

Gleichzeitig brauchen wir weitere wirksame Entlastungen für diejenigen, die von den absehbar weiter steigenden Preisen besonders getroffen werden.

Ich bin froh, dass die Bundesregierung genau hieran aktuell ganz konkret arbeitet.

All die notwendigen Schritte, die ich gerade genannt habe, sind in dem Zukunftsvertrag, der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und Grünen, zu finden. Und das ist keine Überraschung, sondern das ist vorausschauendes Handeln. Weil jahrelang zu wenig passiert ist, drängt jetzt die Zeit.

Es bedarf enormer Anstrengungen, um die notwendigen Veränderungen auch wirklich schnell umzusetzen. Aber ich bin überzeugt, dass es gelingt, wenn wir alle – die Gesellschaft, die Industrie, die Privathaushalte, die Regierung allgemein, die Wirtschaftsministerin ganz konkret und die Opposition – an einem Strang ziehen und die Kräfte bündeln. Das ist unsere Verantwortung für die Menschen in diesem Land für eine sichere Zukunft. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

 

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Brockes hat versucht, eine neue Nebendebatte aufzumachen – das hat vorhin schon Ihr Fraktionsvorsitzender versucht –, und uns vorgeworfen, jetzt müsse mal ganz schnell eine Leitentscheidung kommen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Was Sie in den letzten Jahren eben nicht zustande gebracht haben – Sicherheit für die Menschen im Rheinischen Revier hinzubekommen –, müssen wir jetzt heilen. Und dann fragen Sie uns am zweiten Tag dieser Landesregierung: Wann kommt das denn endlich alles? – Das passt einfach vorne und hinten nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dass das natürlich auch eine Situation ist …

(Dietmar Brockes [FDP]: Sie haben im Wahlkampf etwas anderes behauptet!)

– Wissen Sie was, Herr Brockes? Ich musste Ihnen eben auch zuhören. Jetzt bin ich dran.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es gibt hier zwei unterschiedliche Stränge, die wir wirklich nicht durcheinanderbringen sollten. Das eine ist, dass es natürlich um die Versorgungssicherheit geht. Das habe ich eben deutlich gemacht, und das habe ich auch in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht. Wir müssen die Versorgungssicherheit herstellen. Ich habe eben auch deutlich gemacht, dass es dafür leider auch unbequeme Antworten geben muss.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist so!)

– Ja, das ist so. Aber das jetzt damit zu vermengen, dass in wenigen Wochen schon Fakten in Lützerath geschaffen werden müssten, passt einfach nicht. Da kennen Sie sich vor Ort nicht aus.

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Man kann sich den Tagebau schon noch mal genau angucken, um zu sehen, wo noch Platz ist,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

sodass zunächst auch unbebautes Land abgebaggert werden kann und genug Zeit dafür da ist, um im Übergang an einer neuen Leitentscheidung – der letzten Leitentscheidung dieses Landes Nordrhein-Westfalen – zu arbeiten

(Christof Rasche [FDP]: Unfassbar!)

und dann eine Lösung zu finden, die insgesamt in der Region Sicherheit bietet. Das alles mit der Situation zu vermengen, die wir im nächsten Winter haben werden, ist einfach unehrlich und passt nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auch noch mal zu diesen Atomträumereien Stellung nehmen, die wir vorhin gehört haben. Auch da muss man noch mal genau hingucken. Es wird nämlich gesagt, man könnte jetzt die Atomkraftwerke im Sommer einfach etwas weniger laufen lassen, dann könnten sie im Winter länger laufen.

Abgesehen davon, dass Gesetzesänderungen notwendig wären – das schiebe ich mal beiseite; das alles könnte man machen –, bietet das Ganze gar nicht die von Ihnen dargestellten Lösungen. Es sind dann nämlich nun einmal trotzdem periodische Sicherheitsüberprüfungen notwendig. Uns allen muss daran gelegen sein, dass Atomkraftwerke immer weiter dem höchsten Sicherheitsstandard entsprechen. Jetzt heißt es: Wir lassen die einfach weiterlaufen. – Solche Revisionen brauchen mehrere Wochen und Tausende von Menschen müssen dafür eingesetzt werden. Sie wollen das mal eben irgendwie hinkriegen. Das funktioniert alleine technisch nicht.

Wir haben auch noch gar nicht darüber geredet, wie es in Zukunft vielleicht mit den entsprechenden Brennstäben aussieht. Auch dabei besteht eine weitere Abhängigkeit von Russland. Das alles passt nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß, dass Sie sich einige Jahre ein bisschen verstecken mussten. Aber schauen wir uns mal an, wie das in anderen Ländern gemacht wird.

Es wird immer gesagt, Frankreich sei weiter auf dem Atomweg. Frankreich hat jedoch gerade die allergrößten Probleme. Abgesehen davon, dass die Planung von Atomkraftwerken viel zu lange dauert und viel zu teuer ist, besteht aktuell das Problem, dass von den 56 Atommeilern, die es in Frankreich eigentlich gibt, gerade einmal 28 am Netz sind. Die haben riesige technische Sicherheitsprobleme. Sie müssen schon Strom reduzieren und wissen nicht, wie es im Herbst weitergehen soll. Das wird ein Riesenproblem.

Es kann doch nicht unsere Lösung sein, einfach darauf zu setzen. Ich finde das überhaupt nicht weitsichtig. Wir haben viele gute andere Möglichkeiten und hätten damit schon längst anfangen müssen. Jetzt tun wir es endlich, und das noch viel schneller. Das ist genau richtig so – anders als die Antworten, die Sie heute gegeben haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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