Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Mögest du in interessanten Zeiten leben“ – dieses Sprichwort wird auch als chinesischer Fluch bezeichnet. Angesichts dessen, was wir in den vergangenen Jahren so erlebt haben und was gerade auf der Welt und auch bei uns in Deutschland los ist, kommt dieses Sprichwort einem Fluch manchmal sehr nah.
Am Tag der Wahl von US-Präsident Trump setzte Christian Lindner mit der FDP alles auf eine Pyramide – ich meine natürlich „Karte“ – und läutete damit das Ende der Ampelkoalition und auch das Ende seiner politischen Karriere und jenes der FDP ein. In den USA, bei der Trump-Administration ist es zwischenzeitlich so interessant, dass man vor lauter neuen Ankündigungen, Dekreten und Kehrtwenden gar nicht mehr hinterherkommt, alle Ungeheuerlichkeiten von Trump und seinen milliardenschweren Tech-Kumpeln zu verfolgen.
Und bei uns in Deutschland? Auch hier gab es in den vergangenen Wochen ein paar rasante Kehrtwenden. Die SPD wird mit der Union auf Bundesebene das Bürgergeld praktisch zu Hartz IV rückabwickeln. Söder, der isst weiter Döner und disst die Grünen, aber Friedrich Merz, der wechselte bei der Schuldenbremse von „niemals“ zu „jetzt aber ganz schnell“. Aber wie sagte schon Francis Picabia? „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“.
2009 wurde die Schuldenbremse vor dem Hintergrund der Weltfinanzkrise eingeführt. Der auch damals schon absehbare Investitionsstau wurde in den Folgejahren immer schlimmer. Jahrzehntelang haben sich Regierungen in wirtschaftlich guten Jahren ausgeruht und notwendige Reformen auf die lange Bank geschoben. In schwierigen Zeiten wurde dann an den falschen Stellen gespart. So wurde unsere komplette Substanz immer maroder, unsere Probleme immer größer.
All das schiebt man dann als Opposition gerne der jeweils aktuellen Regierung in die Schuhe – so lange, bis man selber merkt, dass Regierungsverantwortung mehr bedeutet, als kantige Töne von sich zu geben, und man schmerzlich feststellt, dass es nicht so weitergeht wie bisher und man diejenigen, die man eben noch beschuldigt hat, jetzt doch braucht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber es ist ja gut, dass auch der Kopf von Herrn Merz rund ist.
Bei der FDP scheint es viele Politiker zu geben, die eher eckige Köpfe haben. Immer einfach stur in den Abgrund zu fahren, scheint das Motto zu sein.
Herr Höne, von Ihnen höre ich heute, welche Lasten zukünftigen Generationen hinterlassen werden. Da muss ich Ihnen ganz klar sagen: Sie wollen also zukünftigen Generationen lieber marode Brücken, Weichen aus Kaisers Zeiten, einstürzende Hörsäle wie in Marburg oder stinkende Schulklos hinterlassen? Das kann doch nicht wahr sein.
(Beifall von den GRÜNEN und Thorsten Schick [CDU])
Jeder Betriebswirt weiß schließlich, dass man nicht immer weiter von der Substanz zehren kann, sondern das Betriebsvermögen auch erneuern muss.
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
Sonst sind es ebenfalls Schulden, denn früher oder später sind die Investitionen nun mal fällig.
Von der SPD durften wir in den vergangenen Tagen wieder ungefragt viele Ratschläge hören. Ich muss schon fragen: Sie wissen aber, dass auch das Land einen Investitionsstau vor sich herschiebt, der über Jahrzehnte entstanden ist? Allein im Bereich der Hochschulbauten und Universitätsklinika dürfte der Investitionsbedarf bei 18 Milliarden Euro liegen. Auch bei Straßen- und Bahninfrastruktur in Landesverantwortung dürften Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe notwendig sein.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie doch abgelehnt!)
Welche Ideen haben Sie von der SPD denn eigentlich, wie diese großen Aufgaben im Land und in den Kommunen gelöst werden sollen? Herr Ott, für Sie dürfte es ja kein Geheimnis sein: Die SPD ist und die SPD bleibt in Verantwortung im Bund. Statt hier Ratschläge zu verteilen, sollten Sie sich für die Interessen der Kommunen in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Der Bund muss sich dringend an einer Altschuldenlösung beteiligen, wie es auch schon Bundeskanzler Scholz versprochen hat, und das wäre Ihre Verantwortung, sich dafür einzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ja, Sie haben recht, Herr Ott, wenn Sie sagen, nach NRW müsste eigentlich viel mehr Geld fließen. Dann sage ich Ihnen aber auch ganz klar: Wenn das Wort der NRW-SPD noch ein Gewicht haben sollte, dann sollten Sie es auch genau dafür einsetzen und nicht die Forderungen an andere stellen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Änderung der Schuldenbremse und das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen sind ein erster guter Schritt zur Auflösung des Investitionsstaus. Es ist allerdings schon bitter, dass der Klimaschutz nur durch die Intervention von uns Grünen in das Sondervermögen aufgenommen wurde. Wer jetzt meint, mit diesen Geldern lassen sich alle aktuellen Probleme einfach mal eben so lösen, kann schlicht und einfach nicht rechnen. Nehmen wir die 100 Milliarden Euro, über zwölf Jahre verteilt auf 16 Bundesländer und ihre Kommunen. Da bleibt pro Jahr und pro Region einfach nicht viel übrig. Und wenn wir uns dann anschauen, dass alleine die nordrhein-westfälischen Kommunen einen Investitionsstau von 50 Milliarden Euro haben, dann ist ganz klar: Es kann nur ein Anfang sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die aktuellen Änderungen sind also nur ein erster Schritt. Wir brauchen eine Finanzreform, die die Belange von Kommunen und Ländern im Blick hat und ihnen wieder Luft zum Atmen gibt. Wir brauchen endlich eine ordentliche Reform der Schuldenbremse. Wir brauchen zur Finanzierung unseres Gemeinwesens endlich eine höhere Besteuerung von Superreichen, für Steuergerechtigkeit und für einen Staat, der einfach funktioniert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Und wir brauchen jetzt von der Bundesregierung schnell Klarheit über alle offenen Fragen. Wir brauchen schnell die versprochenen 100 Milliarden Euro für Länder und Kommunen. Sie müssen schnell und unbürokratisch und ohne Antragsverfahren verteilt werden.
Und zu guter Letzt sage ich ganz klar: Die Möglichkeit für die Länder, Schulden aufzunehmen, darf nicht dazu führen, dass die neue Bundesregierung Wahlgeschenke verteilt, die wir als Länder und unsere Kommunen hinterher teuer bezahlen müssen. Das darf nicht sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Mittel müssen jetzt schnell dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden, nämlich bei der Sicherheit unseres Landes, beim Klimaschutz, in Schulgebäuden und auf der Schiene, damit auf der Änderung der Schuldenbremse kein Fluch, sondern ein Segen liegt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)