Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Atomkraft. Es wäre ja irgendwie schön, wenn das Thema „Atomausstieg“ im kommenden Jahr tatsächlich erledigt wäre. Aber die Realität sieht gänzlich anders aus. Der vollständige Atomausstieg in Nordrhein-Westfalen ist noch immer nicht absehbar, und den Landeshaushalt werden die Altlasten noch sehr lange belasten. Das haben die Antworten der Landesregierung auf unsere etwa 200 Fragen wieder einmal gezeigt. Ich möchte den Minister bitten, meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszurichten, die die Fragen so umfangreich beantwortet haben.
Zum Inhalt: Es ist wichtig, dass wir uns auch im Landtag der Langfristfolgen und ungelösten Probleme dieser Hochrisikotechnologie bewusst bleiben; denn die Gefahren, die Unfälle, die Transporte und die Fragen der Entsorgung werden uns und, insbesondere was die Entsorgung angeht, alle nachfolgenden Generationen beschäftigen.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Was sind also die wichtigsten Erkenntnisse aus den Antworten der Landesregierung?
Erstens. Die Atomwirtschaft ist weiterhin ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Wir müssen diesen Menschen natürlich eine Perspektive bieten, aber ein Ausstieg muss auch hier sein.
Zweitens. Die Atomenergie ist eine Bürde für den Landeshaushalt. Allein der Rückbau der beiden Skandalreaktoren in Jülich und in Hamm hat den Landeshaushalt schon jetzt 265 Millionen Euro gekostet. Wie teuer diese Projekte für das Land am Ende werden, ist vollkommen offen und auch noch Gegenstand von Verhandlungen, zum Beispiel beim ehemaligen Hochtemperaturreaktor in Hamm, bei dem es um veranschlagte Kosten von mehr als 300 Millionen Euro geht.
Drittens. Es lagert immer mehr Atommüll in Nordrhein-Westfalen. Das geplante Logistikzentrum am alten AKW-Standort Würgassen wird diese Entwicklung weiter befeuern, wenn es denn tatsächlich an diesem Standort gebaut wird.
Dann kommen wir als vierten Punkt zu den Atomtransporten. Die sind zwar im vergangenen Jahr zurückgegangen. Das ist aber wahrscheinlich hauptsächlich auf die Coronapandemie zurückzuführen. Die Hauptverantwortung für die Transporte trägt – wie in den Vorjahren auch – die Urananreicherungsanlage in Gronau. Aus dieser Anlage werden Jahr für Jahr Tausende Tonnen von abgereichertem Uran – deklariert als Wertstoff – nach Russland exportiert – unter großem Protest sowohl hier als auch in Russland, denn faktisch handelt es sich eigentlich um verbotene Atommüllexporte. Mehr als 90 % des Materials sind nicht weiter nutzbar.
Informationen über den Verbleib in den abgeriegelten Atomstädten sind schwer zu bekommen. Vieles deutet darauf hin, dass das exportierte Material dort unter freiem Himmel vergammelt. Nichts von dem exportierten Material ist bis heute wiederangereichert nach Deutschland zurückgeliefert worden.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Zudem hat ein Rechtsgutachten bestätigt, dass diese Exporte auch gegen die Russlandsanktionen wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim verstoßen; denn das Material kann theoretisch auch für den Bau von Atomwaffen genutzt werden.
(Dr. Christian Blex [AfD]: Es ist abgereichert!)
Aber die Landesregierung schaut weiterhin einfach zu und verweist auf die Bundesregierung.
In Russland kämpfen Aktivist*innen unter Gefahr für Leib und Leben gegen diese unverantwortlichen Praktiken der deutschen und russischen Atomkonzerne. Einer von ihnen ist Vladimir Slivyak. Ich durfte ihn kennenlernen. Er ist Gründer und Leiter der Umweltschutzorganisation Ecodefense. Für seinen Kampf – auch gegen die skandalösen Atommüllexporte – hat er erst vergangene Woche den Alternativen Nobelpreis bekommen. Seine Kollegin hat im Jahr 2019 in Deutschland politisches Asyl beantragt und auch erhalten.
Das zeigt für mich einmal mehr: Die Landesregierung darf sich hier nicht länger wegducken, sondern muss diese unsäglichen Exporte auch im Sinne der Menschen in Russland verhindern; denn wer regiert, muss Verantwortung suchen, statt sie bei jeder Gelegenheit abzuschieben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zusammenfassend stelle ich fest: Diese Landesregierung kommt bei den wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Atomenergie einer Lösung nicht näher. Die Exporte nach Russland sind nicht das einzige Beispiel. Auch an anderen Stellen ist das so, beispielsweise beim Umgang mit den Jülicher Atomkugeln. Dort herrscht weiterhin Stillstand, statt dass die Landesregierung eine schnelle Entscheidung mit Hochdruck unterstützt.
(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])
Der Neubau eines Zwischenlagers in Jülich wäre die verantwortungsvollste Option. Als Voraussetzung dafür müssten die Anforderungen an den Erdbebenschutz vollumfänglich sichergestellt werden. Alle Beteiligten von Bund, Land und Unternehmen schieben aber seit Jahren die Verantwortung hin und her. Dieses unwürdige Schauspiel muss ein Ende haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch bei der Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau schaut die Landesregierung weiterhin einfach nur zu, anstatt die Bundesregierung zu einer Entscheidung zu drängen. Dabei ist klar: Solange diese Anlage weiterläuft, bleibt der Atomausstieg von Deutschland unvollendet.
Die Große Anfrage hat die Notwendigkeiten des Handelns deutlich gemacht. Wir bleiben dran. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)