Wibke Brems: „Die Kommunen brauchen mehr Handlungsspielräume“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Verkehrspolitik von Schwarz-Grün

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin leidenschaftliche Radfahrerin. Man kriegt Bewegung und frische Luft, es ist auch noch klimafreundlich – also eigentlich alles super. Aber auf meiner Strecke vom Bahnhof zum Landtag beispielsweise gibt es eine Stelle, an der mir regelmäßig bewusst wird, wie gefährlich Fahrradfahrende hier immer noch leben.

Auf der Haroldstraße, Höhe Schwanenmarkt, steht ein weißes Fahrrad, ein sogenanntes Ghost Bike. Ghost Bikes sind bleiche Mahnungen am Wegesrand und erinnern an tragische Ereignisse. Sie sind stumme Zeugen tödlicher Fahrradunfälle.

Im vergangenen Jahr sind 101 Radfahrende in Nordrhein-Westfalen im Straßenverkehr tödlich verunglückt. Das heißt, alle dreieinhalb Tage wird eine Radfahrerin oder ein Radfahrer im Straßenverkehr getötet, und jeder Verkehrstote ist einer zu viel.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir Grüne wollen, dass alle Verkehrsteilnehmenden im Straßenverkehr sicher sind und sich auch sicher fühlen – insbesondere diejenigen, die eines besonderen Schutzes bedürfen, weil sie beispielsweise keine Tonne Stahl oder Blech um sich herum haben. Das gilt für die 90-jährige Fußgängerin wie auch für das Rad fahrende Schulkind. Sie sollen sicher sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Bisher sieht die Logik des Straßenverkehrsgesetzes vor, dass Gefahren von den Kommunen dort eingeschränkt werden, wo sie eine Gefahrenlage nachweisen können. Das ist doch irgendwie verrückt: Es müssen also erst Menschen zu Schaden kommen, bevor sie geschützt werden können.

Diese Logik ist so veraltet wie die Ursprünge des Straßenverkehrsrechts selbst. Sie ist Ausdruck einer autozentrierten Verkehrspolitik von vorgestern. Das Straßenverkehrsrecht muss fit für die Zukunft werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein modernes Straßenverkehrsrecht bedeutet für uns Grüne in erster Linie Prävention statt Reaktion. Wir wollen den Straßenverkehr so gestalten, dass es keine Toten und Schwerverletzten mehr gibt. Die Vision Zero ist dabei unsere Richtschnur. Die Richtschnur der FDP haben wir eben gehört: fließender Autoverkehr. Daran sieht man den Unterschied in der Ausrichtung der Verkehrspolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor Ort, in den Kommunen, weiß man am besten, wo die Probleme liegen. Das kennen wir aus vielen Politikbereichen, und im Verkehr ist es nicht anders. Hier weiß man, wo Tempo 30 sinnvoll wäre, zum Beispiel auf Schulwegen. Hier weiß man, wo Zebrastreifen die Verkehrssicherheit erhöhen würden. Hier weiß man, wo emissionsarme und sichere Mobilität durch Umweltspuren sinnvoll gefördert werden kann.

Häufig stehen aber solchen Entscheidungen, diesen pragmatischen Lösungen, strenge Regelungen im Verkehrsrecht des Bundes im Weg. Also brauchen die Kommunen mehr Handlungsspielräume. Diese Freiheit für Kommunen macht ein modernes Straßenverkehrsrecht aus.

Mittlerweile haben sich bundesweit über 1.000 Städte und Kommunen der Initiative für lebenswerte Städte angeschlossen. Aus Nordrhein-Westfalen sind neben den beiden Gründungsstädten Aachen und Münster mittlerweile 150 weitere Städte und Gemeinden beigetreten. Sie fordern einen straßenverkehrsrechtlichen Rahmen, der ihnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten einräumt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das im Oktober vom Bundestag verabschiedete Straßenverkehrsgesetz hat einen Teil der Wünsche aus den Kommunen aufgenommen. Auch wenn wir uns mehr hätten vorstellen können, ist das Gesetz ein erster Schritt in Richtung Verkehrswende. Denn in diesem Gesetz werden die Forderungen der Kommunen ernst genommen. Vor diesem Hintergrund finde ich es weiterhin wirklich bedauerlich, dass der Gesetzentwurf im Bundesrat keine Mehrheit gefunden hat.

Zur Wahrheit, liebe SPD, gehört aber auch: Auch Hamburg hat sich enthalten, weil die SPD das dort so wollte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und jetzt? Jetzt gilt es, nach vorne zu schauen und an einer Lösung zu arbeiten. Das ginge im Vermittlungsausschuss, und ich hoffe sehr, dass dort in den nächsten Wochen noch eine Einigung im Sinne der Kommunen gelingt.

Wir werden als schwarz-grüne Koalition gemeinsam daran arbeiten, dass wir dem Ziel von Vision Zero, von lebenswerten Städten und der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden näher kommen, damit Ghost Bikes zur Mahnung einer überwundenen Vergangenheit werden und in Zukunft weiße Fahrräder sicher und flüssig durch den Verkehr fahren. – Danke schön.

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