Wibke Brems: „Damit helfen Sie kein bisschen, mehr Planungssicherheit zu schaffen“

Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung zur Energieversorgungsstrategie

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern Abend die Energieversorgungsstrategie gelesen habe, musste ich, ehrlich gesagt, an Horoskope denken. Horoskope sind ja immer so hinreichend unkonkret verfasst, dass sich jeder Mensch, wenn er das liest, irgendwie darin wiederfindet. Herr Minister, ich habe mir mal angeguckt, wie Ihr Horoskop für heute lautet. Sie sind ja Löwe. Da steht:
Sie fühlen sich sehr wohl in Ihrer Haut. Frohen Mutes beginnen Sie den Tag. Nutzen Sie für sich persönlich den Tag, um Beziehungen zu anderen Menschen, denen sie nicht so nahe stehen, etwas zu verbessern.
(Beifall von der FDP – Zuruf von der FDP: Sehr gelungen!)
–  Ja, ich kann es aber noch toppen. Das Horoskop für mich als Wassermann für heute sagt:
Bei Terminen haben Sie alles im Griff. Man hängt heute förmlich an Ihren Lippen. Sie stecken andere mit Ihrer guten Laune an.
Ich finde, das ist für uns beide die beste Voraussetzung für den heutigen Tag. (Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)
Aber zurück zum Ernst der Lage, zum heutigen Thema. Auch die 68 Seiten Text dieser sogenannten Energieversorgungsstrategie sind so hinreichend unkonkret, dass sich viele darin wiederfinden, und es sind viele Aussagen darin enthalten, die auch wir Grünen unterstützen können. Ich nehme nur ein paar Beispiele.
Sie führen einiges zum Thema Kraft-Wärme-Kopplung aus. Sie gehen mehrmals darauf ein, dass die Energiewende eben mehr ist als nur eine Stromwende. Sie gehen auf das Thema „Wärme“ und auf das Thema „Mobilität“ ein. Bei den konkreten Inhalten sind Sie an vielen Stellen zu unkonkret. Es gibt jedoch viele Dinge, die wichtig und richtig sind. Dazu gehört der Ausbau der Speicher oder der Ausbau von Stromnetzen. Das sind alles richtige und wichtige Aussagen, keine Frage.
Aber es lohnt sich auch ein Blick hinter die Fassade dieser Energieversorgungsstrategie.
Bei den vielen angekündigten Maßnahmen, von denen wir da lesen können, wimmelt es, ehrlich gesagt, nur so davon, Potenziale aufzuzeigen und zu identifizieren. Das hört sich erst einmal so an, als wenn jetzt viele neue Potenzialanalysen zu unterschiedlichen Themen kämen. Guckt man allerdings genauer hin, sind das zum Teil Beratungsangebote.
Es wimmelt nur so von entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die es aber alle schon gibt.
(Unruhe – Glocke)
Es gibt sehr viele Projekte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, die Sie hier erwähnen. Es ist von Dialog- und Beteiligungsformaten und vielfach davon die Rede, dass Sie etwas unterstützen wollen.
Aber was genau heißt es, wenn Sie als Landesregierung bestimmte Sachen unterstützen wollen? Gibt es dann Geld? Oder unterstützen Sie einfach nur ideell? Das ist für uns an vielen Stellen viel zu unkonkret.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte ein Beispiel nennen: Es gibt Maßnahmen wie „NRW-Stärken für die Wärmewände nutzen“. Das hört sich erst mal gut an. Wie im Horoskop geht es dann allerdings unkonkret weiter.
Da steht – und das ist der ausschließliche Text zu dieser Maßnahme –:
„NRW hat große Potenziale im Bereich der effizienten und erneuerbaren Wärme. Um diese Potenziale des Wärmesektors zu heben, wird die Landesregierung die Wärmewende als wesentlichen Teil der Klimaschutzaktivitäten des Landes vorantreiben.“
Das hört sich super an. Wer kann etwas dagegen haben? (Dietmar Brockes [FDP]: Ja, super!)
Aber man muss sich doch mal genau angucken, wie Sie das erreichen wollen. Sie sagen dazu nichts.
Ich habe ein weiteres Beispiel: „KWK-Potenziale nutzen“, also Kraft-Wärme-Kopplung. Das habe ich eben schon positiv genannt. Hier jetzt noch mal ganz konkret. Sie schreiben:
„Die Landesregierung wird mit einer gezielten Öffentlichkeitskampagne der EnergieAgentur.NRW den KWK-Ausbau anreizen und begleiten.“
Ganz ehrlich: Ich glaube, der KWK-Ausbau braucht mehr als nur eine Öffentlichkeitskampagne – nämlich konkrete Maßnahmen. So reicht das nicht.
 (Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sehr geehrter Herr Pinkwart, unsere Erwartungen an eine Energieversorgungsstrategie sind andere. Unsere Erwartungen sind, dass Sie Fragen beantworten – wie zum Beispiel: Wie soll das alles konkret erreicht werden? Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit welchen Maßnahmen? Antworten darauf bleibt die Landesregierung in dieser Strategie an vielen Stellen schuldig.
Als Ingenieurin hätte ich mir gewünscht, dass Sie die Dinge, die Sie eben teils mündlich vor- getragen haben – nämlich Zahlen wie zum Beispiel „Stromimporte von 25 GW bis 2030“ oder „KWK-Ausbau von 30 GW“ – festgeschrieben hätten. Diese Zahlen finden wir in der Energie- versorgungsstrategie so nicht wieder.
Da stellt sich schon die Frage: Warum sind Sie in der Lage dazu, das hier mündlich vorzutragen, aber nicht in einer Strategie aufzuschreiben und ganz konkret zu sagen, wie umfangreich Förderprogramme sind, wie viel Geld Sie einsetzen wollen und was Ihre Ziele sind?
Ich denke, dass es für Sie einfach sehr praktisch ist, weiter so unkonkret zu bleiben. Mit viel Text und wenig Zahlen kann man später auch schlechter dafür haftbar gemacht werden, ob die Ziele erreicht wurden oder nicht.
(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU] – Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Minister, eben haben Sie gesagt, die Energieversorgungsstrategie sei für Sie ein Fahrplan. Wenn das, wie Sie hier benennen, ein Fahrplan ist, dann sind die Verspätungen der Deutschen Bahn dagegen ehrlich gesagt ein Klacks.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Also: Wenn Sie Planungssicherheit schaffen wollen – das haben Sie eben auch erklärt –, dann möchte ich nicht der Fahrgast sein, der da steht und darauf wartet, dass es weitergeht.
Die Ergebnisse der Kohlekommission haben Sie beschrieben. Im nächsten Satz des Textes relativieren Sie allerdings die Ergebnisse direkt wieder.
Was wir in dieser Strategie stattdessen gebraucht hätten, wären die Darstellung eines wirklichen Fahrplans gewesen sowie die Aussage, mit welchen Kraftwerken Sie eine mögliche Versorgungslücke schließen wollen und wie groß diese aus Ihrer Sicht ist, wie man das alles machen kann und wie man dem entgegenwirken will.
Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, das zu liefern. All das bleiben Sie schuldig. Damit helfen Sie kein bisschen, mehr Planungssicherheit zu schaffen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Kommen wir zu den erneuerbaren Energien. Uns beschleicht hier schon die Frage, warum bei einer Energieversorgungsstrategie, die auf Klimaschutz und damit auf erneuerbare Energien ausgerichtet sein soll – darüber steht viel im Vorwort –, ausgerechnet der Ausbau der erneuerbaren Energien an elfter Stelle von 17 Handlungsfeldern steht.
Diese Priorisierung ist wohl leider auch ein Ausdruck dessen, wo das bei Ihnen rangiert und welche Unternehmen und Verbände Sie beteiligt haben. Sie haben nämlich – das ist zunächst positiv – 67 Institutionen von Verbänden über Unternehmen bis zu Instituten und Gewerkschaften beteiligt. Allerdings waren darunter gerade einmal vier aus dem Bereich „erneuerbare Energien“, drei aus dem Bereich „Effizienz“, nur vier aus dem Bereich der Kommunen sowie eine Person aus dem Bereich der Verbraucherschützer.
Ich finde, dass das keine ausgewogene Beteiligung ist. Und das merkt man leider auch immer wieder in Ihrer Energieversorgungsstrategie.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bei allem Lob, das ich am Anfang zu Dingen, bei denen wir an der ein oder anderen Stelle vielleicht gar nicht so weit voneinander entfernt sind, gebracht habe, kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, mal wieder über die Windenergie zu sprechen.
(Dietmar Brockes [FDP]: Das kommt in Ihrer Rede zu spät!)
–  Ich wusste, dass Sie darauf warten, Herr Brockes. Immer wieder gerne, denn schließlich ist es natürlich etwas, wo Sie heute mal wieder etwas nicht geschafft haben.
Zunächst steht in der Energieversorgungsstrategie der Satz, der Ausbau der erneuerbaren Energien solle technologieoffen und kosteneffizient erfolgen. Wenn Sie das ernst nehmen würden, dann würden Sie automatisch bei der Windenergie landen.
(Marc Herter [SPD]: So ist es!)
Der legen Sie aber lieber Steine oder wohl eher riesige Brocken in den Weg – und das ist diesbezüglich das riesige Problem.
Sie haben heute Ihre Chance vertan, zu erklären, wie Sie mit dem Abstand von 1.500 m, der die Potenzialfläche um zwei Drittel reduziert, eine Verdopplung der installierten Leistung erreichen wollen. Das haben Sie mal wieder nicht erklärt, und das kritisieren wir deutlich.
(Beifall von den GRÜNEN, Inge Blask [SPD] und Carina Gödecke [SPD])
Ich möchte noch erwähnen, dass wir da nicht alleine sind. Dass ein Landesverband Erneuer- bare Energien das vielleicht kritisiert, überrascht uns nicht unbedingt. Ich nehme aber mal den BDEW, die Vertretung der Energie- und Wasserwirtschaft. Er schreibt ganz klar:
„Kritisch sieht der BDEW die aus seiner Sicht weiterhin zu geringen Ambitionen der Landesregierung in Bezug auf den nötigen weiteren Ausbau der Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik.“
Man muss klar sagen: Das, was Sie vorab nennen – ihre Bekenntnisse, Ihre Aussagen –, passt einfach nicht mit dem zusammen, was Sie hinterher an Maßnahmen und unkonkreten Dingen versprechen.
Herr Minister, zum Schluss möchte ich noch an Sie appellieren: Wenn Sie Ihre Ankündigungen zur Planungssicherheit ernst nehmen, dann müssten Sie liefern. Nehmen Sie Ihre eigenen Bekenntnisse zum Klimaschutz und zum Kohleausstieg ernst und machen Sie eine Kehrtwende bei Ihrer Windenergiepolitik; wagen Sie weniger Horoskop, mehr Strategie, konkrete Maßnahmen und konkrete Zahlen! Herzlichen Dank.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Thema von
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf einen Punkt möchte ich noch einmal zu sprechen kommen. Herr Brockes hat eben gesagt, unsere Kritik sei nur gewesen, an welcher Stelle die erneuerbaren Energien vorgekommen seien. Da haben Sie leider wieder mal nicht bis zum Ende zugehört. Denn unsere Kritik war hauptsächlich, dass das, was in der Energieversorgungsstrategie als Maßnahmen tituliert wird, viel zu ungenau ist.
Ich möchte gerne noch einmal auf diesen Punkt zu sprechen kommen und ganz klar sagen: Da haben wir wieder nichts von Ihnen gehört, was ich schon schade finde. Natürlich sind wir bereit, auf Basis dieser Vorlage zu diskutieren. Das ist keine Frage. Schließlich sollten wir alle miteinander im Blick haben, wie es in Nordrhein-Westfalen mit der Energieversorgung, deren Sicherheit und der Energiewende weitergeht.
Aber dafür müssten mehr Fragen beantwortet und nicht nur Prosatext vorgetragen werden. Ich möchte die Fragen noch einmal wiederholen.
Sie reden immer davon, es gebe eine Versorgungslücke. Sie sagen aber nicht genau, wo sie ist, wann sie eintreten soll und auf welcher Grundlage Sie zu dieser Einschätzung kommen. Wie groß ist sie denn wirklich?
Nächster Punkt: Sie haben hier etwas zu Stromimporten gesagt. Textlich lesen wir dazu nichts. Wir wissen nicht, auf welcher Basis Sie solche Aussagen tätigen.
Außerdem stellt sich die Frage, welche Zielwerte Sie nicht nur für ein Jahr, sondern für einzelne Jahre für den Zubau erneuerbarer Energien vorgesehen haben und wie das konkret passieren soll.
Ein weiterer Punkt: In Ihrer Einleitung lesen wir, dass NRW bisher schon Energieimportland gewesen sei; das sei man auch weiterhin. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Sie da schon fast die Hände in den Schoß legen. Denn eigentlich könnten die erneuerbaren Energien das ändern.
Beim Strom haben bisherige Potenzialanalysen gezeigt, dass wir in Nordrhein-Westfalen ausreichend Potenzial haben, um unseren gesamten Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, sodass wir eigentlich nicht auf andere angewiesen sind. Dieses Potenzial reduzieren Sie jetzt beim Thema „Wind“ natürlich maßgeblich.
Sie gehen auf den Aspekt ein, dass in den Bereichen der Erneuerbaren, der Effizienz, der Mobilität und der Wärme Potenziale bestehen. Jetzt müsste es doch darum gehen, diese Potenziale darzustellen und zu fragen, was sich ändern könnte.
Ich finde es sehr schade, dass nur ein kleines Unterkapitel mit dem Titel „Verkehrswende“ überschrieben ist. Es findet sich aber nichts dazu, wie eine Verkehrswende wirklich gelingen kann. Sie sagen etwas zu Elektro- und Wasserstoffautos, aber nichts dazu, wie man Mobilität verändert und wie sich Mobilität auch selbst ändert, etwa durch autonomes Fahren, den öffentlichen Personennahverkehr und Fahrradfahren. Zu diesen Themen führen Sie nichts aus. Das fehlt ganz entscheidend.
(Beifall von den GRÜNEN)
An allen diesen Aspekten und allen diesen Zahlen müssen Sie arbeiten. Wir brauchen wissenschaftliche Gutachten und eine Basis, damit wir miteinander darüber diskutieren können, welche Maßnahmen konkret erfolgen sollten. Das wäre etwas, worüber wir ganz konkret reden könnten. Aber das, was Sie hier geliefert haben, sind 68 Seiten Prosa. Sie sind nett und an der einen oder anderen Stelle unterstützenswert, aber leider auch nicht mehr.
Ich wünsche mir, dass wir doch mehr bekommen und dann darüber auch diskutieren können.
–  Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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