Wibke Brems: „Antisemitismus lässt sich nicht mit Islamfeindlichkeit und Rassismus bekämpfen“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der "AfD"-Fraktion zu Antisemitismus

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! In der vergangenen Woche haben wir mit einigen grünen Abgeordneten die Kölner Synagoge besucht. Für mich war das ein ganz besonderer Besuch, denn in meiner Heimatstadt Gütersloh gibt es seit dem 9. November 1938 keine Synagoge mehr. Sie wurde wie in fast allen deutschen Städten zerstört.

Antisemitismus ist der Kern des Nationalsozialismus. Antisemitismus wurde auch anerzogen und war Normalität. Mit dem Ende der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus am 8. Mai 1945 war Deutschland aber nicht automatisch vom Antisemitismus befreit. Menschenverachtende Einstellungen wie Antisemitismus verschwinden nicht einfach von heute auf morgen. Sie aus den Köpfen herauszubekommen, ist eine Daueraufgabe in unserer Demokratie.

Erst seit 1996 – über 50 Jahre nach dem Ende der Schoah – ist der 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Als ich davon erfahren habe, war ich erschrocken darüber, dass es im Land der Täter 50 Jahre lang keinen offiziellen Gedenktag für die Opfer gab. Das jährliche Gedenken, die Mahnung an die Schoah, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und unsere Verantwortung für das „Nie wieder!“ sind so unfassbar wichtig. Die Erinnerungskultur ist ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung mit und der Prävention von Antisemitismus.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Erinnerungskultur allein kann Antisemitismus jedoch nicht bekämpfen, denn er ist in unserer Gesellschaft auch heute weitverbreitet. Antisemitische Bilder ziehen sich bis heute durch unsere Sprache. Alte antisemitische Verschwörungserzählungen werden in neuen Kontexten bzw. in neuem Gewand aufgegriffen. Antisemitismus ist Teil des kollektiven Wissensbestandes unserer Gesellschaft.

Er ist aber nicht nur als Ideologie vorhanden, sondern Alltag für viele Jüdinnen und Juden. Antisemitische Ressentiments und Anfeindungen kommen aus allen gesellschaftlichen Milieus, aus dem Rechtsextremismus, aus linken und auch aus migrantischen Milieus. Aber eine Aktuelle Stunde zum Antisemitismus zu nutzen, um Hass gegen Muslim*innen zu schüren, ist einfach nur durchsichtig und schlicht menschenverachtend.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP –Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Denn die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität sprechen eine sehr deutliche Sprache. Die meisten antisemitischen Straftaten haben ein rechtsextremes Motiv.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja, genau!)

Ja, es gibt Antisemitismus auch unter Muslim*innen und in migrantischen Communitys.

(Zurufe von der AfD – Zuruf von Dr. Christian Blex [fraktionslos])

Das wird aktuell als Reaktion auf den Krieg im Nahen Osten nach dem Angriff der Hamas auf Israel besonders sichtbar.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Das bedeutet aber nicht, dass der Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft abnähme. Im Gegenteil! In den vergangenen zwei Jahren sind die antisemitischen Einstellungen deutlich häufiger geworden. Die aktuelle Mitte-Studie zeigt: 5,7 % der Befragten stimmen antisemitischen Aussagen zu.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

15,3 % antworten im Graubereich, lehnen also antisemitische Aussagen nicht grundsätzlich ab. Auch bei allen anderen Phänomenen misst die Studie höhere Zustimmungswerte zu demokratie- und menschenverachtenden Aussagen. Diese Entwicklungen sind besorgniserregend.

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus zählt für den Zeitraum zwischen dem 7. Oktober und 9. November dieses Jahres bundesweit 994 antisemitische Vorfälle. Jeder dieser Fälle ist einer zu viel.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und Dirk Wedel [FDP])

Gleichzeitig werden auch Musliminnen und Muslime aktuell deutlich häufiger angegriffen als zuvor. Die CLAIM-Allianz, die antimuslimische Vorfälle dokumentiert, zählt drei muslimische Vorfälle pro Tag. Verantwortlich dafür ist ganz eindeutig auch die rechtsextreme Hetze, die von der antragstellenden Fraktion heute betrieben wurde.

(Lachen von der AfD – Zuruf von Christian Loose (AfD])

Ich sage hier ganz klar: Antisemitismus lässt sich nicht mit Islamfeindlichkeit und Rassismus bekämpfen. Das kann nur gemeinsam bekämpft werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Henning Höne [FDP])

Der Besuch der Synagoge in Köln in der vergangenen Woche und die Gespräche, die wir mit Abraham Lehrer führen durften, haben mich sehr tief bewegt.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen dort beschämen mich. Es beschämt mich auch, zu hören,

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

dass sich Gemeindemitglieder wieder vermehrt sorgenvolle Gedanken machen – Gedanken um ihre Sicherheit; Gedanken um ihre Erkennbarkeit auf der Straße; Gedanken, auszuwandern.

Alle Menschen in Nordrhein-Westfalen sollen sich sicher fühlen, ihre Religion ausüben können und tragen können, was sie wollen, ob das nun Kippa, Kreuz, Kopftuch oder nichts dergleichen ist. Das Wesen einer Demokratie misst sich an der Freiheit und Sicherheit von gesellschaftlichen Minderheiten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir tragen eine besondere Verantwortung für die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in diesem Land. Zu dieser Verantwortung stehen wir als Demokratinnen und Demokraten.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir tun alles in unserer Macht Stehende für die Sicherheit und Freiheit jüdischen Lebens.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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