Simon Rock: „Mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften, stehen wir unter enormem Anpassungsdruck“

Zu den Entwürfen der Landesregierung zum Haushaltsplan 2024 und Gemeindefinanzierungsgesetz 2024 - zweite Lesung

Portrait Simon Rock

Simon Rock (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Folgen der Coronapandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine, der Terrorangriff der Hamas auf Israel, die verschärfte Klimakrise: Jede einzelne dieser Krisen ist für sich genommen schon eine enorme Herausforderung. Aber in der Summe erleben wir eine der herausforderndsten politischen Zeiten dieses Landes.

Und die Liste findet hier noch kein Ende: Inflation, Energiepreiskrise, Biodiversitätskrise, ein enormer Investitionsbedarf für die klimaneutrale Transformation, notwendige Bildungsinvestitionen, der Investitionsstau in unseren Kommunen. Es gilt der Umberto Eco zugewiesene Spruch: Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist garantiert falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klar ist: Mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften, stehen wir unter enormem Anpassungsdruck. Wir Grünen in der schwarz-grünen Landesregierung gestalten die Veränderungen, um eine lebenswerte Zukunft auch für nachfolgende Generationen zu erhalten. Genau deshalb ist es wichtig und richtig, auch in der aktuell schwierigen Haushaltssituation zu investieren. Dazu gehören vor allem auch die klimaneutrale Transformation und der Ausbau erneuerbarer Energien. Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir in dieser Koalition: Wir machen NRW zum ersten klimaneutralen Industrieland.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Eine Haushaltsdebatte im Lichte des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts kommt um einen Aspekt ganz sicher nicht vorbei – Sie ahnen es –: die Schuldenbremse. Wer derzeit Regierungsverantwortung und damit Verantwortung für die Aufstellung von Haushalten trägt, weiß:

„Aus den normalen Haushalten lassen sich die nötigen Investitionen einfach nicht finanzieren.“

– Das könnten meine Worte sein, sie sind es aber gar nicht. Sie stammen von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner. Ich möchte gleich noch ein Zitat von ihm hinzufügen:

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, wie investitionshemmend die derzeitige Schuldenbremse angesichts von Megabedarfen ist: Klimaschutz, bröckelnde Verkehrswege, Investitionsstau in den Schulen, vernachlässigte soziale Infrastruktur, nötiger Umbau der Energieversorgung.

Zitat Ende.

Wer Regierungsverantwortung trägt, kennt die tatsächlichen Herausforderungen dieser Tage. Da hat Kai Wegner zweifellos völlig recht. Das erklärt vielleicht auch das Unverständnis von SPD und FDP hier im Landtag. Ihnen fehlt eben diese Regierungsverantwortung.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Und das erklärt das vollkommen gegensätzliche Handeln von SPD und FDP im Bund.

(Zuruf von Henning Höne [FDP] – Zurufe von der SPD)

Dort, wo die FDP den Bundesfinanzminister stellt, wird die außergewöhnliche Notsituation, ohne mit der Wimper zu zucken, erklärt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich halte die Entscheidung von Christian Lindner für richtig. Aber in NRW klagen Sie jedoch genau dagegen.

(Christian Dahm [SPD]: Ja, aber warum denn? Erklären Sie das doch mal!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ist das nach wie vor Ihr Ernst?

(Christian Dahm [SPD]: Lest die Klage durch! Dann wisst ihr es auch!)

– Ja, ich habe mir die Klage durchgelesen. Da steht genau drin, dass Sie unterstellen, dass es für 2023 keine außergewöhnliche Notsituation gibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zurufe von Christian Dahm [SPD] und Sven Wolf [SPD])

Genau das wird im Bund festgestellt, also sorry, das ist absolut widersprüchlich.

(Anhaltende Zurufe – Glocke des Präsidenten)

Der FDP nehme ich zumindest noch ab, dass sie ein großer Fan der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Ausgestaltung ist.

Immerhin bietet sie Ihnen einen Vorwand, mit der Abrissbirne durch den Sozialbereich zu gehen.

(Henning Höne [FDP]: Oh! – Weitere Zurufe von der FDP)

So fordern Sie es zumindest auf Bundesebene. Herzlichen Glückwunsch zu dieser innovativen Idee!

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Interessant ist nur, dass Sie für den Landeshaushalt das genaue Gegenteil wollen. Denn hier fordern Sie in Ihren Änderungsanträgen mehr Mittel für die soziale Infrastruktur.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Zusammengefasst wollen Sie also im Allgemeinen Kürzungen für den Sozialetat, dann aber im Konkreten doch wieder mehr Mittel für Soziales. – Widersprüchlicher geht es kaum, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aber Jochen Ott hat es geschafft, dem noch einen draufzusetzen. Denn von ihm las ich in der letzten Woche in der Rheinischen Post die Worte: „Die Schuldenbremse muss weg“.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD: Ja!)

In ein paar Worten mehr:

„Um eine Rezession noch abzuwenden, muss es jetzt eine neue Verständigung geben, dass die Schuldenbremse für dieses Jahr ausgesetzt und mittelfristig neu konzipiert wird.“

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ja, das kann man in der Tat so sehen, Herr Kollege Ott.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD

Darum wiederhole ich gerne meine Frage: Ist es nach wie vor Ihr Ernst, genau dagegen in Nordrhein-Westfalen zu klagen?

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Dagegen haben wir nicht geklagt! – Christian Dahm [SPD]: Überhaupt nicht!)

– Doch, dagegen haben Sie geklagt. Lesen Sie Ihre eigene Klageschrift. Da steht das drin.

(Widerspruch von der SPD)

– Da steht das drin, lesen Sie es.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Es tut mir ja leid.

(Zuruf von der SPD: Unredlich! – Weitere Zurufe von der SPD

– Nein, das ist nicht unredlich. Das steht da drin. Es steht in Ihrer Klageschrift.

(Mehrere Zurufe von der SPD)

Ich zitiere:

Aus all diesen Gründen verfehlt die in Rede stehende Kreditermächtigung …

(Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Herr Kollege, bitte unterbrechen Sie einmal Ihre Rede. – Ich fordere alle Kolleginnen und Kollegen noch einmal zu etwas mehr Ruhe auf. Bitte lassen Sie den Redner sprechen und hören Sie zu.

(Mehrere Zurufe)

Simon Rock (GRÜNE): Ich zitiere aus Ihrer Klageschrift, S. 87:

Aus all diesen Gründen verfehlt die in Rede stehende Kreditermächtigung die materiellen Anforderungen der Notlagen-Ausnahmen von der Schuldenbremse.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Mit anderen Worten: Sie bezweifeln, dass es in diesem Jahr eine außergewöhnliche Notsituation gibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD: Nein! – Weitere Zurufe von der SPD)

Richtig ist: Die Schuldenbremse braucht ein Update auf Bundesebene.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Sinnvolle Investitionen in unsere Zukunft und in die unserer Kinder müssen möglich gemacht werden. Sie dürfen nicht an der Finanzierung scheitern. So denkt im Übrigen auch jeder vernünftige Unternehmer. Genau das ist doch Generationengerechtigkeit, unseren Kindern eine funktionierende Infrastruktur, das bestmögliche Bildungssystem und eine wehrhafte Demokratie zu hinterlassen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, und dafür brauchen wir die finanziellen Spielräume. Deshalb darf die Schuldenbremse nicht zur Zukunftsbremse werden,

(Zurufe von der SPD und der FDP)

und deshalb darf sie auch nicht zur Wohlstandsbremse werden. Denn von kaputten Brücken, maroden Schulen und überschuldeten Kommunen kann sich am Ende auch niemand etwas kaufen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Solange die Schuldenbremse gilt, werden wir sie selbstverständlich eins zu eins einhalten.

(Zuruf von der FDP: Aha! – Henning Höne [FDP]: Ah, Sie wollen sich also an die Verfassung halten! – Weitere Zurufe)

– Ja. Und dazu gehört auch, dass 2024 keine Maßnahmen mehr aus dem Sondervermögen „Krisenbewältigung“ finanziert werden. Das war nie geplant, und das wird auch nicht so kommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Und um alle Interpretationsspielräume zu beseitigen, werden wir bis zur dritten Lesung hierzu noch klarstellende Änderungen am Haushaltsplan vornehmen.

(Zuruf von der SPD: Ich bin gespannt! – Christian Dahm [SPD]: Sehr interessant!)

Unabhängig davon schränkt die Schuldenbremse die Handlungsmöglichkeiten des Landes zusätzlich ein. In dieser schwierigen Haushaltslage gilt es, zu priorisieren. Die Landesregierung hat dies im Haushaltsentwurf und in der Ergänzungsvorlage getan.

Weil uns Bildung wichtig ist, sparen wir nicht im Schulbereich. Bei der Kita-Finanzierung hat die Landesregierung eine Erhöhung der Mittel um 550 Millionen Euro ermöglicht. Auch die Umschichtung in den Änderungsanträgen von CDU und Grünen setzen diese Schwerpunktsetzung in den Bereichen Kinder, Jugend und Familie um.

So stärken wir mit zusätzlichen 400.000 Euro das Schulobstprogramm. Wir unterstützen die Jugendfeuerwehren mit weiteren 50.000 Euro, und wir verlängern das erfolgreiche Programm „Students at School“.

Das zeigt: Trotz widriger Rahmenbedingungen investieren wir in die Bildung und in die Zukunft unserer Kinder.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit und auch unserer Haushaltsänderungsanträge ist der Einsatz für unsere Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der offene Antisemitismus in Deutschland ist beschämend und gefährlich. Judenfeindliche Vorfälle haben bundesweit zugenommen. Die Landesregierung hat vor diesem Hintergrund mehr Mittel für den Schutz jüdischer Einrichtungen bereitgestellt. Gemeinsam mit CDU, SPD und FDP erhöhen wir die Mittel für jüdische Gemeinden um weitere 1,5 Millionen Euro.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Das ist ein wichtiges überparteiliches Signal: Wir stehen als Demokraten geschlossen gegen jede Form des Antisemitismus. Hass und Hetze gegen Juden haben bei uns in Nordrhein-Westfalen keinen Platz.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und Henning Höne [FDP])

Außerdem bekommt Nordrhein-Westfalen einen unabhängigen Polizeibeauftragten. Dieser wird als Ansprechperson für alle Bürgerinnen und Bürger fungieren. Gleichzeitig dient er zukünftig als Ansprechpartner für alle Polizeiangehörigen des Landes. Vielleicht gelingt es uns bis zur dritten Lesung, hierüber auch eine interfraktionelle Verständigung zu finden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich freue mich auf jeden Fall auf die Debatte über unsere umfangreichen Änderungsanträge in den Haushaltsdebatten der einzelnen Etats und in der dritten Lesung des Haushalts- und Finanzausschusses.

(Zuruf von der SPD)

Selbstverständlich haben wir uns auch ganz genau angeschaut, was die Oppositionsfraktionen bisher an Änderungen im Verfahren vorgeschlagen haben. Die SPD hat bislang über 185 Millionen Euro Mehrausgabenwünsche – zunächst ohne jegliche Gegenfinanzierung – angemeldet.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! – Zuruf von der SPD: Ist doch gar nicht wahr!)

Sie hat dann im Haushalts- und Finanzierungsausschuss Gegenvorschläge eingebracht – plus 80 Millionen Euro Einnahmeerhöhung bei der Erstattung der Herrichtungskosten von Bundesimmobilien zu Flüchtlingsunterkünften.

Das wäre natürlich super, wenn dieses Geld im kommenden Jahr einzunehmen wäre. – Wir haben im Fachministerium nachgefragt: Mit den Einnahmen ist leider nicht zu rechnen.

(Zuruf von Christian Dahm [SPD]: Doch, Ihr müsst es nur bearbeiten!)

Damit ist diese Seifenblase auch geplatzt.

Ein weiterer Vorschlag ist, die globale Minderausgabe zu erhöhen. Damit hätten wir die als verfassungsgemäß angesehene Grenze von 2 % überschritten. Aus unserer Sicht ist das verfassungswidrig; das können wir so auch nicht mitmachen.

Was bleibt, sind zusätzliche Ausgabenwünsche in dreistelliger Millionenhöhe.

Die FDP hat auch mehr Ausgabenwünsche angemeldet und möchte dafür den Personalverstärkungstitel um 500 Millionen Euro kürzen. Am Ende des Tages werden daraus die Tarifsteigerungen bei den Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes bezahlt. Ich weiß nicht, ob es die richtige Wertschätzung für den öffentlichen Dienst ist, hier den Rotstift anzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dass die AfD erwartungsgemäß an verfassungskonformen Deckungsvorschlägen scheitert, wundert, glaube ich, auch keinen mehr.

Ich freue mich jedenfalls auf die weitere Beratung des Haushaltsentwurfs bis zur dritten Lesung und darauf, die Arbeit in den nächsten Jahren fortzusetzen.

Der Rücküberweisung in den HFA stimmen wir selbstverständlich gerne zu.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

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