Simon Rock (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grunderwerbsteuer ist die einzige Steuer in Deutschland, dessen Steuersatz die Länder autonom beeinflussen können. Insofern ist es auch legitim, hierüber zu debattieren. Der Gesetzentwurf der FDP ist trotzdem aus drei Gründen bemerkenswert.
Zum einen haben Sie fünf Jahre lang in diesem Land mitregiert. Sie hatten fünf Jahre lang die Chance, den Steuersatz der Grunderwerbsteuer zu senken. Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Insofern kann man diesen Gesetzentwurf ein Stück weit als Oppositionsgetöse abtun.
Zum anderen steht Ihr Gesetzentwurf in einem gewissen Widerspruch zum Koalitionsvertrag der Ampel. Den hat die FDP bekanntlich mitverhandelt. Dort heißt es wörtlich:
„Wir wollen den Ländern eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer […] ermöglichen, um den Erwerb selbstgenutzten Wohneigentums zu erleichtern. Zur Gegenfinanzierung nutzen wir das Schließen von steuerlichen Schlupflöchern beim Immobilienerwerb von Konzernen (Share Deals).“
Das ist genau der richtige Weg. Als schwarz-grüne Koalition in NRW warten wir auf genau diesen Schritt: die Entlastung von jungen Familien durch die Einführung eines Freibetrags, und das alles gegenfinanziert durch eine vernünftige Share-Deal-Regelung. Das wäre eine gezielte Entlastung für junge Familien. Sie hingegen wollen eine Steuersenkung mit der Gießkanne. Wir meinen: Wer sich das dritte Ferienhaus kaufen kann, ist nicht auf eine Steuersenkung angewiesen.
Die Frage ist auch, warum Sie mit diesem Gesetzentwurf jetzt um die Ecke kommen; es stellt sich die Frage, ob man das als Misstrauensvotum gegen den Bundesfinanzminister Christian Lindner werten muss. Glauben Sie selbst nicht mehr, dass er einen Referentenentwurf vorlegt, der beides vorsieht, also zum einen eine Freibetragsregelung und zum anderen eine aufkommensneutrale Schließung von Steuerschlupflöchern bei Share Deals?
(Ralf Witzel [FDP]: Wir sehen seit Jahren, dass der Bundesrat das nicht beschließt!)
– Lieber Herr Kollege Witzel, der Bundesrat kann überhaupt keine Steuergesetze beschließen; das obliegt noch immer dem Bundestag. Das sollte eigentlich auch Ihnen bekannt sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Aber noch viel bemerkenswerter finde ich die Ausführungen zu den finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfs. Sie schreiben an drei verschiedenen Stellen drei verschiedene Dinge.
Zum einen behaupten Sie in Ihrem Vorblatt unter Buchstabe F „Auswirkungen auf die Kommunen“, dass keine Steuermindereinnahmen zu erwarten seien.
(Ralf Witzel [FDP]: Genau!)
Das ist der erste Punkt. Ein paar Zeilen darüber ist unter „D Kosten“ aber plötzlich von Steuermindereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe die Rede. Und um noch einen draufzusetzen: In der dritten Lesung zum Haushalt haben Sie einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem Sie plötzlich erstaunlich konkret Mindereinnahmen in Höhe von 450 Millionen Euro benennen können. Das sind drei verschiedene Aussagen der FDP, die sich teilweise widersprechen. Das ist doch keine seriöse Oppositionspolitik, das ist finanzpolitisches Chaos.
(Ralf Witzel [FDP]: Ach!)
Welche dieser Aussage stimmt denn nun? Ich sage es Ihnen: mit hoher Wahrscheinlichkeit keine.
(Lachen von Ralf Witzel [FDP])
– Warten Sie ab.
Rechnen wir mal nach. Ich bin sicher, dass wir das auch in der sechsten Stunde und trotz der PISA-Ergebnisse hinkriegen. Ich entschuldige mich vorab für das folgende Zahlengewitter, aber wir wollen ja einmal vernünftig nachrechnen.
Sie wollen die Grunderwerbsteuer um 1,5 Prozentpunkte senken. Damit verbilligen sich die Immobilienpreise ebenfalls um maximal 1,5 % – in vielen Fällen um wesentlich weniger, aber lassen wir das mal dahingestellt. Ob das tatsächlich zu einer nachhaltigen Belebung der Baukonjunktur führen wird, weiß ich nicht, aber ich unterstelle es jetzt einfach mal.
Momentan beträgt das erwartete Steueraufkommen für 2024 bei einem Steuersatz von 6,5 % 2,8 Milliarden Euro. Das macht – dafür holen wir den Taschenrechner raus – pro Prozentpunkt 430 Millionen Euro. Sie kalkulieren bei einem niedrigeren Steuersatz von 5 % mit einem Aufkommen von 2,35 Milliarden Euro. Das können wir im Kopf ausrechnen: Das sind 470 Millionen Euro pro Prozentpunkt. Folglich steigt nach Ihrer Logik das normierte Steueraufkommen durch die Steuersenkung um 10 %.
Ich übersetze das mal: Die FDP behauptet, eine Preissenkung von 1,5 % führe zu mehr Grundstückstransaktionen in Höhe von 10 %. Und weil Sie eben die Preiselastizität der Nachfrage angesprochen haben: Das wäre ein Wert von 6,7. Ich habe ein bisschen VWL studiert, und mir ist kein Fall bekannt, in dem es diese hohe Preiselastizität gäbe. Das ist eine ziemlich gewagte Milchmädchenrechnung.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Lieber Herr Kollege Witzel, das sollten wir im Ausschuss noch mal genauer nachrechnen. Da haben wir alle Zeit der Welt dafür. Darauf freue ich mich. Dann schauen wir mal, wer recht hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)