Marc Zimmermann: „Quereinsteiger dürfen nicht länger Lehrkräfte zweiter Klasse sein“

Portrait Marc Zimmermann

Der Antrag „Arbeits- und Fachkräfteoffensive – Herausforderungen der Energiewende mit den Potenzialen des handwerklichen und des industriellen Mittelstands begegnen“

Marc Zimmermann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ganz zu Beginn möchte ich meinen Dank an die Bundesregierung richten, die mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen großen Schritt hin zu mehr Erwerbsmigration und damit gegen den akuten Fach- und Arbeitskräftemangel gegangen ist.

Dieser Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Wir haben an dieser Stelle schon mehrfach und für unterschiedliche Ressorts darüber diskutiert. Ziele wie Fotovoltaik auf jedem Dach, Tausend neue Windkraftanlagen, die energetische Sanierung im Bausektor, die Wärme- oder auch Mobilitätswende werden von Menschen umgesetzt, von qualifizierten Menschen. Deshalb brauchen wir im Bereich des Handwerks und Mittelstands klare Rahmenbedingungen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, jetzt und schnell. Das heißt in erster Linie, dass wir alle Potenziale heben müssen.

Jede Person hat das Potenzial zur Fachkraft – jede! Also müssen wir es auch jeder Person ermöglichen, eine Fachkraft zu werden, idealerweise dort, wo er oder sie es werden will oder werden kann, sei es durch bessere Rahmenbedingungen bei Teilzeit- und Teilausbildungen, durch das Auflösen genderstereotyper Berufsbilder, durch eine verbesserte Anerkennung im Ausland erworbener beruflicher Kompetenzen oder durch die eingangs angesprochene erleichterte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.

Es gibt noch vieles mehr; denn es gibt viele Stellschrauben, an denen wir drehen können und drehen müssen, um mehr Arbeits- und Fachkräfte für die Aufgaben von heute und morgen zu akquirieren. Die Anzahl der Beschlusspunkte in diesem Antrag macht das nur allzu deutlich.

Eine der wichtigsten Stellschrauben bei der Suche nach den Fachkräften in Handwerk und mittelständischer Industrie ist die akademische und berufliche Gleichstellung.

Mit 51 % Studierenden ist dessen Anteil bei den Schulabgängern so hoch wie noch nie. Mit welcher Begründung wird gesellschaftlich die akademische Ausbildung gegenüber der beruflichen höhergestellt? Unsere Berufsausbildung bietet viele Chancen – Chancen, die aber leider oftmals nicht mal denen vermittelt werden, die sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden. Wie ist das möglich?

Ich persönlich habe erst während meiner Ausbildung zum Stuckateur, zu der ich schon damals als Gymnasiast nur durch Eigeninitiative gekommen bin, erfahren, welche Chancen sich für mich auftun: Fachabitur, Meister, Selbstständigkeit, Betriebswirt im Handwerk oder doch fachbereichsnah studieren. Nicht im Fokus und auch nicht absehbar war, dass ich jetzt Politiker bin, aber das ist ein anderes Thema.

Aber eines weiß ich: Mein Wissen und meine Kompetenzen im Handwerk nimmt mir keiner mehr, und diese sind in jeder Hinsicht gefragt.

Zurück zu den Schulabgängern von heute. Nur 49 % der abgehenden Schülerinnen und Schüler verteilen sich also auf über 300 Ausbildungsberufe. Davon bleibt jede und jeder Siebte laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung am Ende – auch nach über vier Jahren – ohne eine Ausbildung. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen dafür sorgen, dass kein Kind zurückgelassen wird. Dessen berufliche Laufbahn darf weder mit Arbeitslosigkeit beginnen, noch dürfen ausbildungslose Beschäftigungsverhältnisse eine besonders finanzielle attraktive Alternative darstellen.

Berufsschulen und Kollegs sowie überbetriebliche Bildungseinrichtungen brauchen dringend eine deutlich breitere materielle und personelle Ausstattung, auch damit kleine Fachklassen erhalten bleiben können. Denn gerade in ländlichen Räumen ist es eine riesige logistische Herausforderung, wenn der Sohn oder die Tochter nicht mit den Öffentlichen zur Berufsschule kommen kann und Taxi Mama auch für den 16-Jährigen noch nötig ist. Mein Neffe könnte aus seiner Erfahrung hier so einiges berichten.

Alternativ ist darüber hinaus wichtig, Auszubildendenwohnheime bereitzustellen, um jungen Menschen eine bildungsstättennahe Unterbringung im Blockunterricht zu garantieren.

Solange aber solche Fragen für die jungen Menschen nicht positiv beantwortet werden können, brauchen wir uns nicht über Fachkräftemangel im Handwerk zu wundern. Es ist doch viel einfacher, in der Firma im Ort als ungelernte Arbeitskraft ein gutes erstes Gehalt zu bekommen und mit den potenziellen Schwierigkeiten einer Ausbildung nichts zu tun zu haben.

Was die personelle Ausgestaltung der Bildungseinrichtungen angeht, so müssen wir endlich verstehen, dass der Altmeister oder die Altmeisterin sehr wohl in der Lage ist, mindestens gleichwertig Auszubildende in Berufsschulen in den Fachbereichen zu unterrichten. Diese Quereinsteiger dürfen nicht länger Lehrkräfte zweiter Klasse sein. Wir brauchen das vertiefte praktische Wissen dieser Menschen.

Sie sehen, es gibt viele Stellschrauben, und ich habe hier sicherlich noch nicht alle genannt. Aber eines ist sicher: Ohne eine Attraktivierung und Gleichstellung der dualen Ausbildung mit der akademischen, ohne eine vereinfachte und entbürokratisierte Erwerbsmigration und ohne eine allgemeine Entbürokratisierung und Unterstützung gerade kleiner und kleinster Betriebe im Handwerk werden wir den Fachkräftemangel nicht eindämmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Und wenn es eines braucht, um die aktuellen Herausforderungen, insbesondere die Transformation zur Klimaneutralität zu bewältigen, dann sind das ausreichend Arbeits- und Fachkräfte. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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