Josefine Paul: „Es ist Zeit für mehr Erwachsenensolidarität“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie

Portrait Josefine Paul

Der Antrag

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn 85 % der Jugendlichen in der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie angeben, dass sie unter einer geminderten Lebensqualität leiden, dann ist das alarmierend.

Wir haben heute Morgen ja schon ausführlich über die Situation von Kindern und Jugendlichen in dieser Pandemie gesprochen. Es ist richtig, dass wir jetzt und an den folgenden Tagen auch noch mal konkreter miteinander über die Handlungsnotwendigkeiten diskutieren; denn es gibt einiges, was aufzuarbeiten ist. Es gibt Lernrückstände aufzuholen, es gilt aber auch ernst zu nehmen, wie die aktuelle Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, aber auch von jungen Erwachsenen ist.

Deutlich wird, und das ist auch eine sehr besorgniserregende Analyse, durch die Isolation in der Pandemie steigen auch die psychische Belastung und die Nachfrage und der Bedarf an Psychotherapieplätzen. Diese Nachfrage übersteigt im Grunde genommen auch in „normalen“, also pandemiefreien Zeiten schon das Angebot an Therapieplätzen. In diesem Jahr ist die Nachfrage nach Therapieplätzen noch einmal um 13 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Das heißt konkret, wir brauchen mehr Angebote zur Bearbeitung psychosozialer Belastungen für Kinder, Jugendliche und Familien. Wir brauchen aber auch eine Prüfung dessen, wie wir es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, zeitnah ein Therapie- und Begleitungsangebot zu finden.

Vor allem, und das ist heute Morgen auch schon sehr ausführlich diskutiert worden, brauchen junge Menschen Gleichaltrige, und sie brauchen eigene Räume für eine gesunde und ganzheitliche Entwicklung. Genau das ist es, was seit Monaten stark eingeschränkt ist. Aber es gehört eben elementar zur Entwicklung.

Wir haben so viel über das Für und Wider bezüglich der Schulen gesprochen: Schulen auf, Schulen zu. – Wir haben viel über die Kitas gesprochen. Dabei ist ganz oft ein bisschen hinten runtergefallen, dass Kinder und Jugendliche viel mehr sind als Schülerinnen und Schüler, als Kitakinder oder schlimmstenfalls ein Betreuungsproblem. Wir müssen Kinder und Jugendliche in ihrer ganzen Entwicklung und auch mit ihren ganzen Bedarfen in den Blick nehmen. Sie brauchen Freiräume. Die brauchen sie jetzt vielleicht noch viel dringender als sonst. Darum muss es uns gehen;

(Beifall von Wibke Brems [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

denn Erwachsenwerden und Persönlichkeitsbildung sind eben bei Weitem nicht nur eine Frage von Mathe und Deutsch.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen deswegen einen Stufenplan für die Kinder- und Jugendarbeit. Ich habe heute Vormittag schon gesagt. Ich habe vom Ministerpräsidenten vernommen, dass dort etwas auf den Weg gebracht werden soll. – Der Staatssekretär nickt. Wir werden ihn da beim Wort nehmen, und vor allem werden die Kinder und Jugendlichen Sie da beim Wort nehmen, dass wir endlich einen Stufenplan bekommen.

Jetzt ist Herr Rasche nicht da. Aber selbstverständlich gehört auch die Frage des Jugendsports dazu. Dazu gehören Offene Treffs und die Jugendverbandsarbeit, also Entwicklungsperspektiven und Möglichkeiten für junge Menschen in all ihren Facetten.

Dazu gehört – und auch dazu habe ich die positiven Signale vernommen, aber da ist eben durchaus Eile geboten –, die Rahmenbedingungen zur Förderung von Ferienprogrammen und Ferienfreizeiten müssen jetzt gemacht werden. Die Vorarbeiten sind da. Hygienekonzepte sind ausgearbeitet worden. Jetzt braucht es tatsächlich nur noch die verlässlichen Rahmenbedingungen, aber auch eine verlässliche Finanzierung, damit das so stattfinden kann. Das ist das, was die Jugendlichen in diesen Ferien brauchen.

Sie brauchen nicht nur schulische Aufholprogramme, sie brauchen vor allem auch Ferien, nicht zuletzt auch Ferien von dieser für sie belastenden Situation.

Sehr geehrte Damen und Herren, eine weitere Zahl, die uns aufrütteln muss, ist die Erhebung der JuCo-Studie, die zeigt – das hat Kollege Löttgen ja heute Morgen schon aufgegriffen –, 65 % der befragten Kinder und Jugendlichen hatten den Eindruck und haben nach wie vor den Eindruck, ihre Sorgen würden gar nicht oder eher nicht von der Politik gehört, wahrgenommen und ernst genommen. Kinder und Jugendliche haben aber ein Recht auf Gehör, und sie haben ein Recht auf Beteiligung, auch und gerade in der Pandemie.

Kinder und Jugendlichen sind in besonderem Maße von dieser Krise betroffen, aber sie sind eben keine Coronageneration oder noch schlimmere Worte, die einem da einfallen könnten. Sie sind auch in dieser Situation Expertinnen und Experten in eigener Sache, und sie wollen sich beteiligen. Sie wollen nicht nur Spielball politischer Entscheidungen sein, sie wollen auch in ihrer Leistung, die sie für diese Gesellschaft erbracht haben, gesehen werden. Deshalb brauchen wir jetzt neue Formate für mehr Beteiligung, beispielsweise in Form digitaler junger Bürgerräte. Wir brauchen auch eine Befragung, die sich vor allem darauf konzentriert: Was sind denn nun wirklich die Bedarfe, die auch Ideen junger Menschen Raum gibt, damit genau dieses Fachwissen der jungen Menschen Eingang finden kann in die weitere Pandemiebekämpfung, aber auch Pandemiebewältigung.

Junge Menschen leisten Außergewöhnliches in ihrer Anpassungsfähigkeit, in ihrer Geduld und in ihrer Solidarität. Jetzt ist es allerspätestens an der Zeit, dass wir ihnen unsere Erwachsenensolidarität mit einem breit angelegten Programm, was sich nicht rein auf die schulischen Aspekte konzentriert, sondern was Kinder und Jugendliche in ihrer Ganzheitlichkeit betrachtet, in den Blick nimmt. Es ist Zeit für mehr Erwachsenensolidarität.