Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ein Mann sitzt in seiner Wohnung in der Hochhaussiedlung in Köln-Chorweiler. Er beugt sich über Reagenzgläser. Er hat den hochgiftigen Stoff Rizin hergestellt, mit dem Ziel, einen Anschlag im Auftrag des sogenannten Islamischen Staates zu begehen. Ein rechtsextremes Netzwerk, das auf Telegram unsere Demokratie aushöhlen will; Influencer, die auf TikTok-Mitglieder rekrutieren; Reichsbürger, die Waffen horten und mit ehemaligem Personal aus Sicherheitsbehörden einen Staatsstreich planen; hybride Kriegsführung durch Russland mit Desinformation, Spionage und Sabotage – dies und nichts weniger sind unsere Herausforderungen.
Ein Mann mit Schlapphut und beigem Trenchcoat läuft im Dunkeln über die Straße. Er legt einen Zettel unter eine Parkbank und verschwindet hinter der nächsten Ecke. – Das sollten nicht die Instrumente sein, mit denen wir diesen Herausforderungen begegnen.
Klar ist: So arbeitet der Verfassungsschutz zum Glück schon lange nicht mehr. Aber genauso klar ist: Neue Bedrohungslagen erfordern eine Weiterentwicklung unserer Sicherheitsbehörden. Wir brauchen einen Verfassungsschutz mit Befugnissen auf der Höhe der Zeit und ebenso Kontrollmöglichkeiten auf der Höhe der Zeit. Denn die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen hat sich verändert, und genau darauf reagieren wir mit diesem Gesetz.
Der Verfassungsschutz ist unser Frühwarnsystem zum Schutz der Demokratie und damit unverzichtbar in unserer Sicherheitsarchitektur. Deshalb geben wir dem Verfassungsschutz neue Befugnisse. Wir ermöglichen dem Verfassungsschutz, dieser digitalen Kommunikation zeitgemäß folgen zu können.
Wir ermöglichen auch, dass Einzelpersonen in den Blick genommen werden, die sich im Netz radikalisiert haben, ohne Teil einer Gruppe zu sein. Wir ermöglichen den Live-Zugriff auf vorhandene Videobeobachtungen, also auf Kameras, die ohnehin im öffentlichen Raum hängen. Mitarbeitende dürfen künftig also hinter diesen Bildschirmen sitzen, anstatt hinter der nächsten Straßenecke rumzulungern.
(Christina Kampmann [SPD]: Das ist ja wohl ein Unterschied! – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Liebe Frau Kampmann, das ist weit weniger skandalös, als Sie das hier darstellen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir ermöglichen, riesige Informationsmengen …
(Zurufe von Carsten Löcker [SPD], Nadja Lüders [SPD] und Stefan Zimkeit [SPD])
– Ich bin dran; Sie dürfen vielleicht auch noch mal.
Wir ermöglichen es, riesige Informationsmengen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu sortieren und auszuwerten – aber immer mit der Letztentscheidung durch den Menschen.
Wir sorgen dafür, dass diese Verfahren wissenschaftlich evaluiert werden, weil sich die technische Welt ständig weiterdreht. Der Verfassungsschutz steht eben nicht mehr mit Schlapphut und Zeitung an der Kreuzung und späht durch ein Loch in den Kleinanzeigen.
Wie der Verfassungsschutz diese neuen Befugnisse konkret umsetzt, regeln wir jetzt klar und verbindlich. Maßnahmen wie der Einsatz von V-Leuten, von verdeckten Mitarbeiter*innen und von virtuellen Agenten, die Wohnraumüberwachung oder längerfristige Operationen greifen wirklich tief in die Grundrechte ein, und das oft eben – wir reden ja vom Verfassungsschutz – noch bevor eine Straftat begangen wurde. Deshalb schaffen wir für diese besonders grundrechtssensiblen Maßnahmen eine unabhängige Kontrollinstanz: den Richtervorbehalt. Für uns gilt der Grundsatz: Gezielter Schutz bei effektiver Kontrolle.
Frau Kampmann hat gerade so sehr auf die Bürgerrechte abgezielt: Mein Eindruck ist, dass Bürgerrechte bei der SPD immer dann aktuell und auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn Sie in der Opposition sind,
(Gregor Golland [CDU]: So ist es!)
und sobald Sie an der Regierung sind, sind die komplett egal.
(Beifall von den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Wenn Sie in der Regierung sind, haben Sie die vergessen! Bei Ihnen ist es genau andersrum! – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Und bei Ihnen ist es genau andersrum! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Dass dieses ganze Gesetz ein Abwägungsprozess war und dass es kein leichter Abwägungsprozess war, ist ja richtig. Ich wehre mich aber entschieden dagegen, wenn Sicherheit und Bürgerrechte hier so gegeneinander ausgespielt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
In diesem Gesetz haben wir die Balance von Schutz und Freiheit gefunden, und das haben die Sachverständigen, anders als von Ihnen dargestellt, auch bestätigt.
(Beifall von den GRÜNEN – Sebastian Watermeier [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)
Einige Maßnahmen, die wir jetzt ausdrücklich ins Gesetz geschrieben haben, wurden zuvor übrigens schon legal angewendet. Die standen eben nur noch nicht im Gesetz. Genau diese Maßnahmen holen wir jetzt aus dem Graubereich; wir schaffen Rechtssicherheit und Transparenz.
Mit dem Änderungsantrag auf Grundlage der Anhörung haben wir beides noch gestärkt: Wir haben das Gesetz etwa bei den Stufen der Beobachtungsbedürftigkeit und beim Kernbereichsschutz präzisiert. Wir haben das gemacht und da behoben, Frau Kampmann.
An dieser Stelle möchte ich meinen Dank an meine Kollegin Dorothea Deppermann richten, die eigentlich heute hier stehen sollte, aber leider krankheitsbedingt ausfällt. Sie hat sich in die Tiefen dieser komplexen Materie eingearbeitet. Liebe Dorothea, von hier aus die besten Genesungswünsche.
Das Ergebnis der Beratungen liegt jetzt vor und kann sich sehen lassen: mehr Befugnisse, mehr Schutz, aber auch mehr Rechtssicherheit, mehr Transparenz, mehr Kontrolle. So schützen wir unsere Demokratie; so schützen wir unsere Verfassung; so schützen wir unsere Grundrechte. Dem Gesetz stimmen wir deshalb sehr gerne zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
