Dr. Julia Höller: „Das fängt schon am Stammtisch oder am Küchentisch im eigenen Umfeld an“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag aller Fraktionen zum Thema "Gewalt gegen Politiker*innen"

Portrait Dr. Julia Höller

Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir müssen in dieser Debatte klar die Brandstiftung vom Feuerlöscher unterscheiden. Ich zitiere: „Wir werden Sie jagen!“ So lautete der Aufruf des damaligen AfD-Bundesvorsitzenden Gauland. Das ist Brandstiftung. Aus Worten werden Taten. Die verabscheuungswürdigen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker sind nicht weniger als die logische Konsequenz dieses Hasses und einer rechtsextremen, menschenverachtenden, fast schon alltäglichen Hetze im Netz. Sie sind Konsequenz der Beschädigungen von Parteibüros und verbalen Attacken auf der Straße.

Die brutalen Gewalttaten machen Schlagzeilen. Sie entsetzen uns, aber sie überraschen uns nicht. Denn die Flammen stammen aus einem Brand, der schon lange schwelt: Das Unsagbare wird sagbar gemacht. Die Grenzen von Worten werden überschritten. Die Hemmschwelle sinkt. Die Rechtsextremen zündeln und zündeln. Jedes Wort des Hasses sät einen Keim, der irgendwann in Taten mündet. Das Ziel dieser rechtsextremen Angriffe ist ein Klima der Angst, und es ist die Hoffnung, dass Demokratinnen und Demokraten sich aus dem Diskurs zurückziehen und aus der Öffentlichkeit verschwinden. Aber das werden wir nicht zulassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP und der SPD)

Die Hütte brennt, und dann suchen wir nach dem Feuerlöscher bzw. rufen nach der Feuerwehr. Wer schützt uns vor diesem Feuer? Unsere Sicherheitsbehörden und in diesem Fall die Polizei – mal wieder, natürlich. Es ist doch gar keine Frage, dass es Aufgabe der Polizei ist, die Menschen zu schützen. Unsere Polizistinnen und Polizisten, der Staatsschutz – bleiben wir mal in der Feueranalogie – retten uns vor den Flammen, und das in einer Zeit, in der immer mehr Aufgaben auf die Polizei zukommen und zu Recht irgendwann auch nach einer Belastungsgrenze gefragt wird.

Aber egal, was sonst noch ist, ob Europameisterschaft oder immer weiter steigende Anforderungen an die Polizei – unsere Polizei steht bereit. Sie wehrt Gefahren ab, schützt unsere Grundwerte und eben gerade auch die Meinungsfreiheit. Das macht unseren Rechtsstaat aus. Gleichzeitig gilt: Wenn die Antwort auf die Frage „Was machen wir denn gegen die Angriffe auf Politikerinnen und Politiker?“ lautet: „Die Polizei muss uns schützen“, dann ist das genauso unterkomplex wie der Satz: Um Brandstiftung zu vermeiden, nutzen wir den Feuerlöscher.

Unsere Sicherheitsbehörden stehen bereit. Sie nehmen diese Angriffe ernst, und unsere Justiz muss die entsprechenden Verfahren schnell mithilfe des geltenden Rechts umsetzen. Denn es mangelt hier nicht an guten Gesetzen und hartem Strafmaß. Es ist doch ein komplett alter Hut, dass ein höheres Strafmaß null abschreckend wirkt. Nein, was wir brauchen, ist konsequente Strafverfolgung und schnelle Verurteilungen.

Um den Brand nicht entstehen zu lassen, ist es das Wichtigste, null Toleranz in den gesellschaftlichen Debatten zu üben, wenn es um Gewalt als Protestform geht. Das fängt übrigens schon am Stammtisch oder am Küchentisch im eigenen Umfeld an.

Christina Kampmann hat vorhin die Mitte-Studie zitiert. 13 % der Befragten halten danach Gewalt für ein legitimes Mittel, um Politiker ihre Wut spüren zu lassen. Dem entgegenzutreten und das im eigenen Umfeld nicht unwidersprochen zu lassen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Denn aus Worten werden Taten, wenn sie unwidersprochen bleiben – analog oder im Netz. Diese Worte sind die trockenen Stöckchen, die durch den Funken Hass in Flammen aufgehen.

Deshalb brauchen wir ganz dringend mehr Kontrolle im Netz. Die Möglichkeiten auf der EU-Ebene sind durch den Digital Services Act gegeben. Warum verpflichtet man nicht einfach die großen Plattformen, stärker gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen? Im Gegenteil ermöglichen wir im Moment, dass Algorithmen Hasskommentare lieben. Das kann so nicht sein; dagegen müssen wir vorgehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist an uns hauptamtlichen Politikerinnen und Politikern, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die sich über ihr Ehrenamt in der Kommunalpolitik oder in der Flüchtlingshilfe für die Demokratie engagieren, die Sachbearbeiterin im Bürgerbüro und die Feuerwehrfrau ihren Job machen können, und zwar ohne Angst und Sorge vor Angriffen.

Diese Verantwortung müssen wir ernst nehmen, denn die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität steigen bedenklich an. Dafür brauchen wir gesamtgesellschaftliche Antworten und nicht nur den Feuerlöscher „Innenpolitik“.

Inzwischen leiden auch die Brandstifter unter ihren Zündeleien. So ist das nämlich mit Feuern: Manchmal sind sie nur sehr schwer einzudämmen. Aber selbstverständlich, und das ist der Ausdruck unseres Rechtsstaats, werden auch diejenigen, die unsere Demokratie bekämpfen, von ihr geschützt. Solche Taten sind in keinster Weise zu rechtfertigen. Aber vielleicht denken Sie als AfD-Funktionäre, wie Sie hier sitzen, auch mal darüber nach, was Sie in den letzten Jahren in diesem Land angerichtet haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und Henning Höne [FDP] – Markus Wagner [AfD]: Das müssen gerade Sie sagen!)