Dorothea Deppermann: „Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag auf eine Aktuelle Stunde zu rechtsextremen Straftaten

Portrait Dorothea Deppermann

Der Antrag „Strategische Radikalisierung, digitale Mobilisierung, jugendaffine Ansprache – Die Entwicklungen aus dem Lagebild Rechtsextremismus erfordern eine klare Antwort der demokratischen Mitte“

Dorothea Deppermann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich bin sehr dankbar, dass es das neue Lagebild des Verfassungsschutzes über den Rechtsextremismus gibt. Denn es zeigt sehr transparent und klar: Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie. Darüber zu sprechen, ist wichtiger denn je.

Denn der Rechtsextremismus hat sich auch gewandelt. In den 90er-Jahren wurden von Männern mit Springerstiefeln und Bomberjacken Musik-CDs auf dem Schulhof verteilt. Heute gelangen die Ideologien des Rechtsextremismus über Podcasts und Social Media direkt in die Kinderzimmer, direkt in die Jugendzimmer hinein, und dies oft ganz subtil im Zusammenhang mit alltäglichen Fragestellungen, mit Männlichkeitsbildern oder auch Fitness und Sport.

Die rechte Szene versucht, junge Leute an sich zu ziehen, indem sie sie in sogenannten Active Clubs drillt, Lagerfeuerabende veranstaltet, sich in Social Media als Ratgeber ausgibt. Sie organisiert Fahrten zum Fußball und rekrutiert direkt in den Fankurven die neuen Mitglieder.

Hinter all dem steckt Strategie. Diese Gruppen sollen niederschwellig, anschlussfähig und sozial wirken, immer wieder neue Personen ansprechen, sie aufnehmen und an sich binden. Deshalb wird auch direkt nach der Demo gemeinschaftlich der Mitgliedsantrag unterzeichnet. Bei jeder Veranstaltung, bei jedem Gespräch werden mal unterschwellig, mal sehr offen die Ideologien des Rechtsextremismus geteilt.

Menschen, die in diese Gruppen gelangen, grenzen sich zunehmend von ihrem bisherigen Umfeld ab. Gleichzeitig bringen sie sich immer stärker mit ihrer Zeit, mit ihren Kontakten und auch mit ihrem Geld in der rechten Szene ein.

In der rechten Szene sind auch immer mehr junge Frauen aktiv, sei es als Aktivistin auf einer Demo oder in den sozialen Netzwerken. Hier sprechen sie sehr offensiv und sehr gezielt andere Frauen an. Sogenannte Tradwives präsentieren in den sozialen Medien ihre Alltagsroutine, teils traditionell mit Schürze und Holzschüssel, in der sie gerade das Vollkornbrot anrühren, teils aber auch hochmodern in der Penthouse-Wohnung, wo dem Ehemann das Mittagessen in Stilettos serviert wird.

Beiden Modellen liegen konservative Weltbilder zugrunde, wonach es als natürliche Aufgabe der Frau angesehen wird, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Mit ihnen wird das Bild einer Frau gezeichnet, die sich dem Mann klar unterordnet und sich in eine Abhängigkeit von ihm begibt. Diese Erzählungen werden in rechten Ideologien fortgeführt.

Die Formen des Rechtsextremismus haben sich gewandelt. Das ist wichtig zu wissen. Rechtsextremismus kommt nicht mehr nur in Springerstiefeln und Bomberjacke daher, sondern eben auch in High Heels und mit Backrezepten.

Uns muss besonders alarmieren, dass sich die Größe der Gruppe der 14- bis 17-jährigen Tatverdächtigen verdreifacht hat. Diese Szene ist jünger, dynamischer, digitaler und mitunter sehr gewaltbereit, und sie nutzt genau das, was viele Jugendliche heute prägt: Social Media, Gaming und Sport. Sie gibt den Jugendlichen Gelegenheit, aktiv zu werden, sich selbst als wirksam wahrzunehmen. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen.

(Beifall von den GRÜNEN und Kirsten Stich [SPD] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der demokratische Rechtsstaat muss mit seinen Sicherheitsbehörden konsequent gegen die rechtsextreme Szene einschreiten. Wir brauchen einen hohen Ermittlungsdruck gegen rechtsextreme Umtriebe und eine genaue Analyse der rechtsextremen Strukturen dahinter.

Außerdem müssen wir der Radikalisierung junger Menschen etwas entgegensetzen. Wir brauchen mehr politische Bildung, die wirklich ankommt, und zwar nicht als Pflichtmodul, sondern als ehrliche Einladung zur Mitgestaltung. Demokratie muss im Klassenrat, bei Jugendparlamenten, durch Beteiligungsformate, in denen junge Menschen ernst genommen werden und in den ihnen ehrlich zugehört wird, erlebbar sein. Wir brauchen Projekte, mit denen jungen Menschen gezeigt wird: Du hast hier einen Platz, du wirst gehört, und du kannst etwas bewirken. Dabei geht es nicht um Pädagogik, sondern um einen echten und ehrlichen Austausch.

Um junge Menschen nicht an die rechte Szene zu verlieren, müssen wir ihnen vermitteln, welche Gefahren in rechtsextremen und rassistischen Ideologien stecken. Wir müssen sie stärken, damit sie selbst Fake News erkennen und Informationen einordnen können. Wir müssen sie über die Strategien der rechten Szene aufklären, damit sie sich zur Wehr setzen können.

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir können uns glücklich schätzen, dass unsere Zivilgesellschaft Haltung zeigt. Die Demos der letzten Wochen und Monate – Hunderttausende waren auf den Straßen – haben Mut gemacht. Dieser gesellschaftliche Aufschrei gegen rechts war ein starkes Signal. Dieses Signal brauchen wir weiterhin, denn der Rechtsextremismus darf nicht normalisiert werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Aber auch abseits von großen Demonstrationen brauchen wir Menschen, die klare Haltung zeigen, sei es im Verein, am Stammtisch oder bei der Familienfeier. Auch hier muss menschenverachtenden Äußerungen klar widersprochen werden. Haltung zeigen kann man nicht nur alle paar Jahre an den Wahlurnen, sondern jeden Tag bei solchen Gelegenheiten. Dafür ist es wichtig, dass wir alle für rassistische Narrative, für die Ideologien des Rechtsextremismus sensibilisiert sind, um diese benennen und ihnen argumentativ etwas entgegensetzen zu können.

Die demokratische Mitte hat die Kraft, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, wenn wir gemeinsam Haltung zeigen. Wir lassen Jugendliche nicht mit den einfachen Antworten der Rechtsextremisten allein. Wir stehen für eine offene Gesellschaft ein, in der Respekt, Vielfalt und Zusammenhalt nicht nur Werte auf dem Papier sind, sondern alltägliche, gelebte Realität. Nordrhein-Westfalen ist demokratisch, und das soll auch so bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)