Berivan Aymaz: „Symbolpolitik mit klarem Kompass entgegentreten“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu "sicheren Herkunftsstaaten"

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ja, nachdem im Jahre 2017 die GroKo im Bundesrat damit gescheitert ist, die drei Maghrebstaaten Tunesien, Marokko und Algerien als sicher einzustufen, versucht die Bundesregierung nun erneut, die Maghrebstaaten und – neu dazugekommen – Georgien als sichere Herkunftsländer zu erklären.
Unsere Haltung zu dem Thema ist ganz klar. Mit uns wird es keine Anerkennung von Marokko, Algerien, Tunesien und Georgien als sichere Herkunftsländer geben.
(Daniel Sieveke [CDU]: Unfassbar! – Zurufe von der CDU, der FDP und der AfD)
–  Herr Sieveke, hören Sie zu!
Denn wir Grüne lehnen eine derartige Symbolpolitik ab, die zum einen keinerlei Lösungen für die tatsächlichen Probleme anbietet
(Zuruf von der CDU: Das stimmt nicht!)
und zum anderen verfassungsrechtlich höchst fragwürdig ist. (Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Unglaublich!)
In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ forderten Sie, Herr Minister Stamp, die Grünen kürzlich dazu auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Um eines deutlich zu machen:
Es handelt sich hier nicht um eine Blockade
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zurufe von der CDU und der FDP)
–  hören Sie zu? –, sondern um die klare Haltung der Grünen, eine Flüchtlingspolitik zu betreiben, die lösungsorientiert ist und gleichzeitig international verankerte Menschenrechte achtet.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns zunächst einmal die aktuellen Zahlen der Asylanträge aus den genannten Ländern an, um uns ein realistisches Bild von der Lage zu machen. Von allen Asylanträgen, die im Zeitraum von Januar bis Dezember 2018 bundesweit eingegangen sind, kamen 2,5 % aus Georgien und 0,9 % aus Algerien. Marokko und Tunesien sind in den Statistiken erst gar nicht aufgeführt, weil sie sich unter 0,9 % befinden.
Die Zahlen für NRW fallen ähnlich niedrig aus. Daher kann ich es absolut nicht nachvollziehen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, in Ihrer Begründung für die Aktuelle Stunde davon reden, dass besonders NRW von einem Zuzug aus diesen Ländern betroffen sei.
Der drastische Rückgang der Asylsuchenden aus den drei Maghrebstaaten und Georgien zeigt doch, dass der immer wieder behauptete Zusammenhang, warum man angeblich eine Einstufung dieser Länder als sogenannte sichere Herkunftsstaaten dringend brauche, gar nicht besteht. Das Narrativ, das einige Vorredner, vor allen die Kollegen von CDU und FDP, hier vorgetragen haben, dass es ein wirksames Abschreckungsinstrument bräuchte, um die Zuzugszahlen aus diesen Ländern zu verringern, ist doch gerade vor dem Hintergrund der Faktenlage völlig absurd.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im Übrigen sind die Zugangszahlen nach Deutschland für die Einstufung eines Landes als sicher sowieso gänzlich irrelevant. Denn ob ein Land tatsächlich sicher oder eben nicht sicher ist, muss sich ausschließlich nach der dortigen Menschenrechts- und Sicherheitslage richten.
Wie sieht es mit der Menschenrechtslage in den genannten Ländern aus, die auch Sie, Herr Minister Stamp, zu sicheren Herkunftsstaaten machen wollen?
In Algerien wurden insgesamt 280 Angehörige der muslimischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya aufgrund ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt. Gegen viele von ihnen laufen immer noch Verfahren. So sieht es um die Religionsfreiheit in Algerien aus. Das sind keine Einzelfälle.
Darüber hinaus besteht immer noch ein unzureichender Schutz von Frauen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Liebe Abgeordnete, Männer, die in Algerien minderjährige Mädchen vergewaltigt haben, kommen straffrei davon, wenn sie ihre Opfer heiraten.
In Marokko häufen sich Berichte über unverhältnismäßige Gewalt gegenüber friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten, die das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in der Westsahara fordern. Amnesty International hat zahlreiche Hinweise dokumentiert, die auf eine systematische Folter in Marokko hinweisen. Das sind keine Einzelfälle, meine Damen und Herren. Dahinter steht eine Systematik.
Auch Tunesien befindet sich trotz einiger positiver Entwicklungen seit 2015 in einem politischen Ausnahmezustand, in dessen Zuge die Regierung zahlreiche willkürliche Verordnungen verhängt. Zahlreiche Menschen – 537 – wurden festgenommen.
Herr Minister Stamp, ist das der Maßstab, an dem Sie ein sicheres Herkunftsland messen? Schauen Sie doch einmal in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinein.
Auch aus Georgien gibt es zahlreiche Berichte, die auf Folter und Misshandlungen hinweisen, ganz zu schweigen von der Situation der Pressefreiheit.
In Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien werden also grundlegende Menschenrechte – zum Beispiel die Versammlungsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit und das Folterverbot – massiv eingeschränkt.
Nicht zuletzt möchte ich auf die Situation von Schwulen, Lesben und Transgender eingehen. In Algerien, Marokko und Tunesien sind Homosexuelle nicht nur einer massiven gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt. Homosexualität wird dort gesetzlich unter Strafe gestellt und verfolgt. Angesichts dessen von Einzelfällen zu reden, ist wirklich Skrupellosigkeit, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wer auch nur eines dieser Länder zu einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat erklärt, der missachtet nicht nur international verankerte Menschenrechte,
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Es ist unglaublich, was Sie hier vorgetragen!)
sondern auch die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts und des EU-Rechts, nach denen ein Land als ein sicheres Herkunftsland bestimmt werden kann.
(Dietmar Brockes [FDP]: Eine unverantwortliche Politik!)
Das machen wir Grüne nicht mit, meine Damen und Herren. Wir bezweifeln zutiefst, dass das Vorhaben der Bundesregierung, das Sie hier aus NRW unterstützen wollen, überhaupt verfassungskonform ist.
Lassen Sie mich abschließend noch auf ein zentrales und immer wieder aufgeführtes Argument eingehen, eine Einstufung als sogenannter sicherer Herkunftsstaat vereinfache die Abschiebung von vollziehbar Ausreisepflichtigen.
Entscheidend für Rückführungen sind doch bilaterale Abkommen und die Bereitschaft der jeweiligen Länder, die eigenen Bürger zurückzunehmen und dafür auch die notwendigen Dokumente auszustellen. Wer in der Öffentlichkeit dennoch den Eindruck erweckt, mit der Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten seien Abschiebungen schneller möglich, der argumentiert unseriös, setzt die Glaubwürdigkeit der Politik aufs Spiel und arbeitet im Endeffekt den Populisten in die Hände.
Wir Grüne werden mit aller Sorgfalt von populistischer Stimmungsmache getriebener Symbolpolitik mit klarem Kompass entgegentreten, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN – Marc Lürbke [FDP]: Das führt genau zum Gegenteil!)

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