Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wieder stehen wir hier, um über das humanitäre Totalversagen vor den Toren und im Herzen Europas zu debattieren. Die katastrophale Lage im griechischen Flüchtlingslager Moria, mit der wir uns im letzten Jahr bereits hier im Parlament mehrfach befasst haben, wiederholt sich nun auf dramatische Art und Weise auch in Bosnien.
Uns erreichen täglich erschreckende Bilder aus dem Flüchtlingslager Lipa. Dort war am 23. Dezember ein Brand ausgebrochen und zerstörte die letzten Behausungen der Geflüchteten. Bis heute fehlt es an Strom, Heizung und fließendem Wasser und auch an Lebensmitteln. Rund 1.000 Menschen leben jetzt ohne Obdach und sind regelrecht dem Kältetod dort überlassen.
Die Situation an der bosnisch-kroatischen Grenze ist aber schon lange prekär, liebe Kolleginnen und Kollegen. Seit Jahren häufen sich Berichte über illegale Pushbacks, die Asylsuchende brutal an der Grenzüberschreitung in die Europäische Union hindern. Somit hat die EU die humanitäre Notlage in Bosnien überhaupt auch erst geschaffen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde, wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass die europäische Flüchtlingspolitik immer mehr auf Elend und Tod als Abschreckungsinstrument setzt und Räume der Rechtlosigkeit wie zum Beispiel an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien setzt. Das dürfen wir einfach so nicht hinnehmen.
In den Zeltbehausungen im neuen Lager Kara Tepe auf Lesbos ist die Lage nicht anders. Laut Menschenrechtsorganisation ist die Lage dort sogar schlimmer als im berüchtigten Lager Moria. Die Unterkünfte sind nicht winterfest, es mangelt am Nötigsten, gewaltsame Übergriffe gegen besonders Schutzbedürftige sind an der Tagesordnung. Unter diesen Bedingungen leiden ganz besonders die vielen Kinder. Ich muss sagen, ich bringe es nicht übers Herz, die ganzen Berichte, die von „Ärzte ohne Grenzen“ dazu verfasst worden sind, hier noch einmal zu erwähnen. Die Zustände dort sind einfach viel zu grausam.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist natürlich gerade in diesen Coronazeiten ein unhaltbarer Zustand. Nach Moria und Kara Tepe steht jetzt auch das Lager Lipa als Sinnbild für eine europäische Asylpolitik, die es in Kauf nimmt, ihr eigenes Recht, europäisches Recht, und ihre eigenen Werte über Bord zu werfen.
Ich finde, das ist eine moralische Bankrotterklärung, die nicht nur Menschenleben kostet, sondern auch das Vertrauen in den Rechtsraum und die Handlungsfähigkeit der EU nachhaltig beschädigt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was ist aus den Versprechungen der Großen Koalition im Bund geworden, Geflüchtete aus Griechenland, Menschen, die in Not sind, aufzunehmen? – Blicken wir schnell noch einmal zurück. Erst nach massivem Druck aus der Zivilgesellschaft, aus den Kommunen sagte die Bundesregierung im September letzten Jahres endlich zu, 1.553 Menschen von den griechischen Inseln aufnehmen zu wollen.
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Inzwischen kennen wir die ernüchternde Bilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Bislang sind lediglich 291 Menschen aufgenommen worden. Ich finde, das ist bitter.
(Beifall von den GRÜNEN)
Während zahlreiche Kommunen aber weiterhin bereit sind, Geflüchtete in Not aufzunehmen – es sind übrigens über 43 in NRW, 174 bundesweit –, und die engagierte Zivilgesellschaft, Verbände und vor allen Dingen auch Kirchen, und ein Großteil der Bevölkerung dieses Leid in Europa und an den Außengrenzen nicht länger hinnehmen will –, verbietet Bundesinnenminister Seehofer den aufnahmebereiten Kommunen und Ländern wie Thüringen und Berlin die solidarische Aufnahme. Das ist schlichtweg schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das wollen wir auch nicht länger hinnehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben daher immer wieder eingefordert, dass die NRW-Landesregierung endlich die Initiative ergreift und sich an die Spitze der solidarischen Bewegung von Zivilgesellschaft, Kommunen und Kirchen stellt. Außer wohlklingenden Absichtserklärungen, Herr Minister Stamp, ist bislang leider nicht viel passiert. Auch wenn jetzt gerade Ministerpräsident Laschet nicht zugegen ist, möchte ich die Gelegenheit doch nutzen, persönlich an ihn zu appellieren.
Herr Ministerpräsident Laschet, Sie stehen jetzt in Ihrer neuen Rolle als Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union Deutschlands in besonderer Verantwortung, unter Beweis zu stellen, wie ernst Sie es mit einer humanitären Politik meinen und wie ernst Sie die Werte Europas tatsächlich nehmen. Wenn die Bilder von Ihrer Reise nach Lesbos nicht zu einer einfachen PR-Aktion verkommen sollen, dürfen Sie sich jetzt nicht mehr länger wegducken. Gehen Sie mutig voran, beenden Sie die CDU-Blockade gegen die Aufnahme von Geflüchteten in Not, legen Sie in NRW ein Aufnahmeprogramm auf und setzen Sie damit ein klares Zeichen in die Republik, ein Zeichen für Humanität, Solidarität, Verantwortungsübernahme und für unsere europäischen Werte! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)