Berivan Aymaz: „Ich bezweifle, dass der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Ansatz zur Lösung der Probleme in der Einrichtung ist“

Gesetzentwurf der Landesregierung zum Abschiebungshaftvollzugsgesetz

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Christian Loose [AfD]: Danke!)
Lieber Herr Lenzen, die Abschiebehaftanstalt Büren ist in den letzten Monaten tatsächlich mal wieder in die Schlagzeilen geraten. Mal waren es Ausbrüche, Fluchtversuche, dann Berichte über Randale und Gewalt und schließlich auch die traurige Meldung über den Suizid eines Insassen.
Ich persönlich war mehrmals vor Ort, habe mir ein genaues Bild von der Einrichtung gemacht übrigens die größte bundesweit – und habe viele Gespräche mit der Leitung, dem Personal, aber auch mit den Insassen vor Ort geführt. Es sind ungefähr 140 Menschen dort untergebracht, ausschließlich Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren. Sie kommen aus Algerien, Marokko, Tunesien, Afghanistan, Indien, aus den unterschiedlichsten Ländern. Diese Menschen, meine Damen und Herren, sind nicht in der Bürener Einrichtung, weil sie Straftäter sind, sie sind dort, weil sie kein Bleiberecht in Deutschland haben und ausreisepflichtig sind.
(Zuruf von Stefan Lenzen [FDP])
An die Kollegen von CDU und FDP: Ich finde es schon sehr traurig, dass man hier immer wieder darauf hinweisen muss, dass die Abschiebehaftanstalt keine Justizvollzugsanstalt im klassischen Sinne ist, sondern sie ist lediglich ein Zwangsinstrument zur Durchsetzung einer Verhaltenspflicht, in diesem Fall der Ausreisepflicht.
Diese Unterscheidung ist wichtig, die kommt nicht von Ungefähr. Denn der Europäische Gerichtshof hat klargemacht, dass Menschen in Abschiebehaft daher nicht annähernd wie Straftäter behandelt und auch untergebracht werden dürfen.
Lieber Herr Lenzen, hier noch einmal der Hinweis: Das ist der Grund, warum Rot-Grün seinerzeit ganz genau darauf geachtet hat, dass es eben keinen Haftcharakter hat.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
An dieses europäische Grundsatzurteil von 2014 müssen wir uns auch heute noch halten, also auch in Zeiten, in denen Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, vielleicht von dem einen oder anderen schnell mal wie Kriminelle betrachtet werden.
Wir sehen aber auch, dass mit der neuen schwarz-gelben Landesregierung ein deutlicher Kurswechsel im Bereich der Abschiebungshaft im Gange ist. Der Ausbau der Haftplätze geht einher mit einer spürbaren Verschärfung der Unterbringungsbedingungen für die Insassen. Diese Verschärfungen sollen jetzt mit der Änderung des Gesetzes noch einmal zementiert werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich machen: Ja, es gibt auch Probleme in der Einrichtung, und diese dürfen keineswegs unter den Teppich gekehrt werden. Doch ich bezweifle, dass der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Ansatz zur Lösung der Probleme in der Einrichtung ist.
Bezeichnend ist auch, dass bereits die Problembeschreibung eine Schieflage darlegt. Während zum Beispiel Frustration, Perspektivlosigkeit, psychische Erkrankungen, Drogenabhängigkeit, Traumata, langjährige Gewalterfahrung der Insassen kaum Berücksichtigung finden, steht die angeblich gestiegene Anzahl von sogenannten Gefährdern im Vordergrund.
Das wurde auch mehrmals von den Vorrednern der CDU und der FDP, aber auch vom Herrn Minister noch einmal ganz klar in den Vordergrund gerückt. Mit dieser Feststellung soll nun auch die Verschärfung begründet werden.
Die Einrichtungsleitung soll mit einem neu eingeführten Zugangsverfahren das Recht bekommen, darüber zu entscheiden, wer als Gefährder eingestuft werden kann oder nicht, um dann die als Gefährder Eingestuften unter gesonderten Bedingungen unterbringen zu können. Unabhängig davon, dass allein schon dieser Begutachtungsprozess höchst problematisch ist und zahlreiche Fragen aufwirft, bezweifle ich, dass das mit dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2017 vereinbar ist. Denn die Abschiebungshaft soll nun einmal ausschließlich der Sicherstellung der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht dienen und nicht der allgemeinen Gefahrenabwehr.
Ein weiterer, höchst problematischer Punkt im Gesetzentwurf ist das Vorhaben, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf bis zu 16 Stunden auszuweiten. Na ja, ob auch dieser Punkt den Maßgaben der EU-Richtlinien standhalten kann, ziehe ich in Zweifel, meine Damen und Herren.
Ja, vor diesem Hintergrund, aber auch wegen vielen, vielen anderen Fragen werden wir eine Anhörung beantragen, bei der wir genau hinschauen werden, ob international verankerte Menschenrechte sowie EU-Richtlinien hier eingehalten werden.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Berivan Aymaz (GRÜNE): Die geplanten Verschärfungen gehören daher intensiv auf den Prüfstand. Denn wie schnell ein Abrücken von rechtsstaatlichen Prinzipien bei dieser Landesregierung vonstattengehen kann, haben wir kürzlich leider alle bei der rechtswidrigen Abschiebung …
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Berivan Aymaz (GRÜNE): … des mutmaßlichen Gefährders erleben müssen. Daher bleiben wir wachsam, werden aber auch konstruktive Vorschläge für die Lösung der echten Probleme unterbreiten. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN) 

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