Berivan Aymaz: „Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Seenotrettung

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sie alle können sich sicherlich noch an das Bild des kleinen Jungen mit dem roten T-Shirt und der blauen Hose erinnern, das vor über drei Jahren um die Welt ging – das Bild des zweijährigen Aylan Kurdi, dessen Leichnam im Mittelmeer an die türkische Küste nahe des Touristenortes Bodrum gespült wurde.
Die Familie floh vor dem Bürgerkrieg in Syrien und hoffte auf Schutz in Europa. Dafür blieb ihnen nur die gefährliche Route auf einem Schlepperboot über das Mittelmeer, die für Aylan, seinen fünfjährigen Bruder Galip und seine Mutter Rehan tödlich endete. Nur der Vater überlebte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Einzelschicksal. Laut UNHCR ertranken allein im Jahr 2018 mindestens 2.275 Menschen während ihrer Flucht. Das sind durchschnittlich sechs Menschen pro Tag, und die Dunkelziffer der Toten dürfte weitaus höher sein.
Das Versagen der Europäischen Union, der es bislang nicht gelungen ist, sich auf eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik zu verständigen, ist verantwortlich für diese humanitäre Katastrophe, die sich tagtäglich vor den Toren Europas ereignet. Stattdessen kooperiert die EU mit Libyen, einem instabilen Land, in dem Krieg, Mord, Folter und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind. Das ist eine moralische Bankrotterklärung, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur Menschenleben kostet, sondern auch das Vertrauen der Menschen in den Rechtsraum und die Handlungsfähigkeit der EU nachhaltig beschädigt. Das wollen wir nicht hinnehmen.
(Beifall von der SPD)
Diese Abschottungs- und Abschreckungspolitik muss beendet werden.
Dafür sind in den letzten Monaten 10.000 Menschen auch in NRW auf die Straße gegangen, getragen von einem breiten Bündnis aus Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und – ich betone, liebe Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen von der CDU – großartig getragen von den Kirchen.
Im Sommer letzten Jahres schlossen sich die Oberbürgermeisterin von Köln und die Oberbürgermeister der Städte Bonn und Düsseldorf zusammen und forderten von Bundeskanzlerin Merkel, die Seenotrettung im Mittelmeer zu ermöglichen und die Aufnahme von geretteten Geflüchteten durch die Kommunen zu sichern, bis eine europäische Lösung gefunden sei.
Inzwischen haben sich über 20 weitere Städte und Gemeinden aus NRW ebenso mit Ratsbeschlüssen und Resolutionen für die Aufnahme von Geretteten aus der Seenotrettung ausgesprochen. Mit ihrer Haltung verkörpern diese Kommunen die europäischen Grundwerte. Unsere Kommunen in NRW machen damit deutlich, dass ihr Verständnis von Europa ein gänzlich anderes ist als das der Salvinis und Orbans, und das ist auch gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist jetzt Ihre Aufgabe, Herr Minister Stamp, diesen solidarischen Kommunen auch zur Seite zu stehen. Werden Sie endlich aktiv! Schalten Sie sich auf Bundesebene ein! Schaffen Sie die Möglichkeit für unsere Kommunen, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen, und ergreifen Sie die Initiative für ein humanitäres Landesaufnahmeprogramm!
(Beifall von den GRÜNEN)
Wie drängend diese Frage ist, erleben wir ganz aktuell. Das einzig noch verbliebene zivile Seenotrettungsschiff, übrigens benannt nach dem ertrunkenen Aylan Kurdi, muss seit einer Woche mit 64 geretteten Menschen an Bord auf offener See ausharren, weil die verantwortlichen Länder ihnen keinen sicheren Hafen gewähren. Die Lage auf der „Aylan Kurdi“ spitzt sich in diesem Moment wegen schlechter Wetterverhältnisse dramatisch zu. Die Nahrungsmittel- und Wasservorräte werden knapp.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst im März habe ich die Crew der „Aylan Kurdi“ von der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye in Palma getroffen. Es hat mich zutiefst beeindruckt, was diese Menschen auf den Rettungsschiffen ehrenamtlich leisten. Sie springen da ein, wo die EU ihrer Pflicht nicht nachkommt. Ich finde, dafür gebührt ihnen unser aller Respekt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dass diese zivilen Helferinnen und Helfer dafür jetzt auch noch kriminalisiert werden, ist schlichtweg erbärmlich. Denn die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und somit auch europäisches Recht, und das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar. Stimmen Sie unserem Antrag zu.
(Beifall von den GRÜNEN)