Berivan Aymaz: „Die Bundesrepublik ist auch eine Republik der Gastarbeiter“

Entwurf der Fraktionen von CDU und FDP zu 65 Jahren Werbeabkommen

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter hier ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Man kann also sagen: Die Bundesrepublik ist auch eine Republik der Gastarbeiter.
Meine Vorrednerinnen, meine Vorredner haben schon skizziert, welchen wertvollen Beitrag die sogenannten Gastarbeiter für den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufschwung geleistet haben und mit welcher Kraftanstrengung es ihnen gelungen ist, Deutschland und auch NRW in den Nachkriegsjahren wieder auf die Beine zu bringen.
Es kamen Männer und, was leider viel zu selten erwähnt wird, auch Frauen, meistens zunächst alleine und ohne Familienangehörige, voller Schaffenskraft in jungen Jahren. Das, was diese Menschen geleistet haben, kann gar nicht genügend gewürdigt werden. Wir alle profitieren auch heute noch von den Leistungen dieser Menschen. Und ich als Kölnerin frage natürlich: Was wären die Kölner Ford Werke ohne die Gastarbeiter, die dort Tag und Nacht am Fließband gestanden haben?
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Es ist – Kollegin Wermer hat es bereits erwähnt – der Sohn einer dieser Fließbandmitarbeiter, Uğur Şahin, dem wir vermutlich bald einen CoronaiImpfstoff zu verdanken haben werden. Aber auch in anderen Bereichen wie Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport und auch in der Politik prägen und gestalten Kinder und Enkelkinder der sogenannten Gastarbeiter unser gesellschaftliches Leben.
Wir reden heute auch über die Mutter und den Vater einiger Kolleginnen und Kollegen, die hier mit uns in diesen Reihen sitzen, so auch über die Eltern meines Vorredners Ibrahim Yetim. Deshalb ist es so wichtig, sich mit der Lebenssituation dieser Menschen, die unser Land so sehr geprägt haben, zu befassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss zugeben, dass ich mehr als irritiert war, als ich gesehen haben, um es vorsichtig auszudrücken, wie dünn Ihr Antrag, der Antrag von der CDU und der FDP, dazu ist. Der Antrag besteht, wenn ich es mal zusammenfasse, aus folgenden Aussagen: Gastarbeiter sind gekommen, sie haben geleistet, und das wollen wir feiern. Wie wir es feiern wollen, das wissen wir aber noch nicht. – Ich hätte mir gewünscht, dass zu einer so zentralen Migrationsbewegung nach Deutschland, die unsere Gesellschaft so sehr auch heute noch prägt, mehr Substanz vorgelegt worden wäre.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Zu einer Würdigung der Lebensleistung dieser Menschen aus Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Portugal, Marokko, Tunesien und dem ehemaligen Jugoslawien gehört auch, klar zu benennen, welchen schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen sie ausgesetzt waren, dass ihnen zum Beispiel keine Integrationsmaßnahmen, wie wir sie heute glücklicherweise kennen, durch Integrations- und Sprachkurse zur Verfügung gestellt wurden und dass ihre Bedürfnisse seitens der Politik über Jahrzehnte fast komplett ausgeblendet worden sind.
Der Satz von Max Frisch „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ bringt, finde ich, die Versäumnisse dieser Politik treffend auf den Punkt.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Auch heute noch leidet die erste Generation der Gastarbeiter unter den Folgen dieser erschwerten Lebensbedingungen: niedriges Einkommen, niedrige Renten, schlechte Wohn- und vor allen Dingen Gesundheitssituation. Teilweise prägt auch gesellschaftliche Isolation den Lebensabend dieser älteren Menschen.
Und vergessen wir nicht, so bitter es auch ist: Die Geschichte der Gastarbeiter ist leider auch eine Geschichte von Diskriminierung und Rassismus in unserem Land. Die Gewalttaten von Mölln und Solingen sind der erschreckende Höhepunkt von lange schwelender Ablehnung und Ausgrenzung gegenüber diesen Menschen. Sie haben tiefe Wunden bei der ersten Generation der sogenannten Gastarbeiter, aber auch bei ihren Kindern und Enkelkindern hinterlassen.
Gerade deshalb muss die Würdigung der Lebensleistung dieser ersten Generation der Gastarbeiter auch immer bedeuten, sich weiter für eine offene, plurale Gesellschaft einzusetzen, die Gastarbeiter und ihre Nachfahren endlich als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes anzuerkennen, Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen und Chancengleichheit in allen Lebenslagen zu gewährleisten.
Genau in diesem Sinne bringen wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD einen Entschließungsantrag ein. Ich hoffe sehr, dass Sie da mit uns gehen und wir uns doch noch zusammenfinden können, um gemeinsam die Menschen, die so Großartiges unter so katastrophalen Bedingungen geleistet haben, angemessen zu würdigen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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