Berivan Aymaz: „Das Nadelöhr sind die Produktionskapazitäten“

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir hatten das Thema schon in der vergangenen Plenarsitzung auf der Tagesordnung. Weil es so wichtig ist und weil es jetzt auch neue Entwicklungen gegeben hat, ist es uns wichtig gewesen, das Thema „Impf-schutzpatente“ noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen.

Um die Pandemie dauerhaft zu bezwingen, brauchen wir wirkungsvolle Impfstoffe, und zwar für alle Menschen auf diesem Planeten. Bereits jetzt ist der Impfstoffmarkt leergekauft. Deutschland und andere reiche Länder haben sich 80 % der verfügbaren Impfdosen gesi­chert. Die ärmsten Staaten hingegen haben bis – Stand Anfang Mai – gerade mal 0,3 % der verfügbaren Impfdosen bekommen.

Laut Weltgesundheitsorganisation hat inzwischen einer von vier Menschen in reichen Län­dern eine Impfung erhalten, in ärmeren Ländern dagegen sieht die Lage katastrophal aus. Da hat erst ein Bewohner bzw. eine Bewohnerin von mehr als 500 eine Impfung erhalten. Diese Zahlen verdeutlichen noch einmal, wie ungerecht es gerade weltweit zugeht. Die Zeit drängt, denn Virusmutationen können vor allem dort entstehen, wo der Impfschutz fehlt. Wir bekom­men ja die neuen Mutationen in Indien und die besorgniserregende Situation dort mit.

Daher ist es am Ende des Tages nicht nur ein Gebot der Fairness, der Gerechtigkeit und nicht nur eine ethische Frage, sondern auch in unserem eigenen Interesse, dass alle Menschen ein Impfangebot erhalten können und dass somit auch eine globale Impfgerechtigkeit ge­schaffen werden kann. Denn solange das Virus nicht weltweit bekämpft wird, kann es jeder­zeit zu uns mit aller Wucht mit neuen Mutationen zurückkehren.

Wir als Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen stehen in der Verantwortung, nein, ich finde, sogar in der Pflicht, mit dafür zu sorgen, dass die globalen Produktionskapazitäten gesteigert werden.

Nun hat kürzlich – das ist auch der Grund, warum wir dies wieder thematisieren – die US-Administration von Joe Biden bekanntgegeben, dass sie die Freigabe der Patente unterstützt. Damit gibt es jetzt eine neue Situation, und zwar auch eine große Chance, die Blockadehal­tung westlicher Staaten, insbesondere der EU-Länder, bei der Welthandelsorganisation auf­zuheben. Denn dort beantragten Südafrika und Indien bereits im Oktober letzten Jahres, die Patente auf Impfstoffe zeitweise auszusetzen. Auch Frankreich steht übrigens inzwischen of­fen an der Seite der USA.

Das Nadelöhr sind die Produktionskapazitäten. Und diese müssen schnellstmöglich hochge­fahren werden. Die zeitweilige Aussetzung der Patente ist sicherlich nicht die einzige Antwort, aber eine sehr entscheidende Voraussetzung, damit weltweit die Produktionskapazitäten wirklich schnell aufgebaut werden können, um günstige Impfstoffe zu produzieren.

Immer wieder kommt die Argumentation, Patente alleine aufzuheben, reiche nicht, weil man nämlich die Produktionskapazitäten, das Know-how und die Technologie brauche; viele könn­ten es gar nicht so schnell machen. Das sind wichtige Argumente. Deshalb ist es auch wichtig, immer wieder zu erwähnen, dass es nicht nur um die Aufhebung der Patente geht, sondern auch um die Vermittlung des Transfers, des Know-hows und auch der Technologien.

Übrigens stehen Länder wie Kanada, Bangladesch, Südkorea, Pakistan, Israel, Indien und Südafrika bereits für Produktionen bereit, können aber nicht starten, weil ihnen im Endeffekt die Freigabe der Patente fehlt. Wir wissen übrigens auch, dass BioNTech innerhalb von vier Monaten ganz schnell neue Produktionsstätten hier aufbauen konnte. Also können, wenn die Patente erst einmal freigegeben werden, die anderen Folgeschritte sehr schnell angegangen werden.

Deshalb fordern wir die Landesregierung mit unserem Antrag erneut dazu auf, sich auf Bun­des- und europäischer Ebene dafür stark zu machen, dass die Blockadehaltung der Bundes­regierung aufgegeben wird und sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass auch die EU-Kommission endlich ihre Blockadehaltung in dieser Frage aufgibt.

Ein Punkt ist mir wichtig: Solange es keine rasche Einigung bei der Welthandelsorganisation gibt, müssen wir natürlich auch unser Engagement dafür fortsetzen, dass zumindest den Län­dern des globalen Südens zum Beispiel durch die Kampagne der Weltgesundheitsorganisa­tion ACT-Accelerator ausreichender Zugang zu Impfstoffen und auch zu weiteren wichtigen Dingen, wie Beatmungsgeräten, Schutzmaterialien usw., zur Verfügung gestellt wird. Wir dür­fen natürlich nicht warten, sondern wir müssen in dieser Zeit die Lücke schließen.

Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende ist. Ich komme zum Schluss.

Damit hier nicht der Eindruck entsteht, dass diese Forderung eine linksextremistische wäre: Nein, diese Forderung wird inzwischen ganz breit getragen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Übrigens habe auch ich am Wochenende gemeinsam mit Misereor an einer Aktion teilgenommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich komme zum Ende, hat sie gesagt.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Übrigens auch Papst Franziskus und unser ehemaliger Bundes­präsident Horst Köhler …

Vizepräsident Oliver Keymis: Schon beim Papst ist sie angekommen.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Ja. … unterstützen diese Forderungen.

Also, bewegen Sie sich in dieser Frage. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)