Antje Grothus (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Mitbürger und liebe Gäste! Wir sind Mandatsträgerinnen des Landtags von Nordrhein-Westfalen, weil wir demokratisch gewählt und vom Volk legitimiert sind. So will es unsere Verfassung, und so ist es auch gut und richtig. „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, so steht es in Art. 21 Grundgesetz.
Für gemeinschaftlich getragene Entscheidungen braucht es also auch die Bereicherung politischer Meinungs- und Willensbildung durch die Stimme des Gemeinschaftlichen. Innovative Beteiligungsverfahren wie Bürger*innenräte eröffnen die Möglichkeit, Politik offener und responsiver zu gestalten, ohne die verfassungsmäßige parlamentarische Entscheidungsmacht zu schmälern.
Unsere Demokratie ist nichts Abstraktes, sondern sie entsteht immer wieder, indem sie gelebt und gemacht wird. Sie ist kein Selbstläufer, sie ist nicht selbstverständlich.
Deshalb muss es alle Demokratinnen und Demokraten mit großer Sorge erfüllen, dass sich viele, viel zu viele Menschen vom politischen Prozess entfremdet haben und sich nicht gehört fühlen. Bei der Wahl zum diesem Landtag im vergangenen Jahr gaben gerade einmal 55,5 % der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Im ganzen Land gibt es Wahlkreise, in denen nicht einmal die Hälfte der wahlberechtigten Mitbürger*innen gewählt hat.
(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
Um mehr Menschen die politische Teilhabe zu ermöglichen, werden wir in Nordrhein-Westfalen zwei Bürgerräte erproben. Es gibt viele Mut machende Beispiele dafür, wie Bürgerräte die parlamentarische Meinungsbildung bereichern – nicht nur aus vielen anderen Ländern, sondern auch aus Kommunen und von der Bundesebene.
Bürgerräte müssen mit einem klaren Mandat und ausreichend Mitteln ausgestattet werden. Ihre Ergebnisse und Zwischenergebnisse müssen transparent in die gesellschaftliche und parlamentarische Debatte einfließen.
Auf diese Weise schaffen Bürgerräte es, lokale Expertise einzubinden und zur Mitgestaltung an Wandelprozessen zu motivieren. Sie werden so zu Innovationstreibern und Transformationsbeschleunigern. Auf diese Weise steuern sie auch der Politikverdrossenheit entgegen und helfen durch Dialoge und Diskussionen, parlamentarische Entscheidungen zu verbessern. Und auf diese Weise bieten sie einen geschützten Raum für Austausch, Debatte und Verständigung.
(Beifall von den GRÜNEN und Charlotte Quik [CDU])
Sie helfen dabei, Lagerbildung zu überwinden und festgefahrene Diskurse zu lösen und in konsensuale Bahnen zu lenken – ganz abseits von Hass und Hetze in der Internetöffentlichkeit; abseits von Freund und Feind oder Regierungs-Oppositions-Schemata.
Schauen Sie nach Irland. Dort, in einem katholisch geprägten Land, war die Frage von Schwangerschaftsabbrüchen lange nicht denkbar. Der Bürger*innenrat brachte die Wende und einen wichtigen Impuls. Die Bevölkerung des Landes akzeptierte die Empfehlung der Versammlung in einer direktdemokratischen Abstimmung. Diese Frage friedlich und gemeinsam gelöst zu haben, ist ein großer Erfolg für das Land.
Als Sprecherin für Beteiligung meiner grünen Fraktion freue ich mich sehr, dass auch wir diese spannende Möglichkeit, den gesellschaftlichen Willen in politische Entscheidungen zu integrieren, ausprobieren werden. Zu oft wird der Wille zur Mitgestaltung mit dem Verweis auf die Entscheidungsmacht der gewählten Repräsentant*innen abgelehnt; dabei ist die große Transformation eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
In der Regel werden die Empfehlungen von Regierung, Politik, Verwaltungen oder Unternehmen ausgesprochen und danach Planungen veröffentlicht. Erst danach werden Bürger*innen beteiligt. Bürgerräte kehren das um. Bürger*innen erarbeiten dort Empfehlungen, mit denen wir uns dann befassen und auseinandersetzen müssen. Ich bin mir sicher, dass dies uns hier im Landtag neue Perspektiven eröffnen wird.
Ein zentrales Element von Bürgerräten ist, dass diese die Gesellschaft repräsentativ in all ihrer Vielfalt abbilden. So beziehen sie auch und insbesondere strukturell ausgeschlossene Gruppen und Menschen in den verschiedensten Lebenslagen mit ein. Wir wollen unserer pluralen Gesellschaft neue Möglichkeiten der Mitsprache geben; denn so geht echte Demokratie.
(Beifall von den GRÜNEN und Charlotte Quik [CDU])
Aus diesem Grund stimmen wir der Überweisung an den Hauptausschuss zu.
Ich möchte aber noch ergänzen, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Sie muss jeden Tag kultiviert, gefördert, mancherorts erkämpft und überall gelebt werden – von uns allen, für uns alle. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)