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Wibke Brems: „Wer aus der Kohle aussteigt, muss in erneuerbare Energien einsteigen“

Zum Antrag u.a. der GRÜNEN im Landtag auf eine Aktuelle Stunde zum Hambacher Wald

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Schade, dass der Ministerpräsident bei einem solch zentralen Thema, auf das er gestern in seiner Regierungserklärung mit neuen Richtungen eingegangen ist, gar nicht da ist. Das finde ich schon bemerkenswert.

Heute hätte der neue Ministerpräsident eine Chance gehabt. Gestern haben wir von ihm gehört, dass seine Landesregierung auf einmal zu einem Kohleausstieg 2030 bereit sei. Wir haben auch gehört, dass er so viele Dörfer wie möglich retten möchte. Heute hätte er die Chance gehabt, nicht nur anzukündigen, sondern auch Konsequenzen aus diesen Sätzen zu ziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie müssen entscheiden: Meinen Sie es ernst und wollen Brücken bauen im Rheinischen Revier, oder setzen Sie die Tradition des Spaltens fort, die Herr Laschet zu verantworten hat? Denn in der Bilanz des Ex-Ministerpräsidenten Laschet und seines Kabinetts im Hambacher Wald

(Zuruf von der FDP: Forst!)

steht der größte und teuerste Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, ein völlig unsinniger Einsatz, bei dem Polizistinnen und Polizisten unnötig gefährdet wurden. Ein Mensch kam ums Leben.

Auf Gedeih und Verderb wurde innerhalb der Landesregierung danach gesucht, wie man die Menschen aus dem Hambacher Wald bekommt,

(Zuruf von der FDP: Forst!)

um ihn zu roden. Da wurde Lüge an Lüge gereiht, Druck auf Kommunen ausgeübt. Ein juristischer Winkelzug nach dem anderen wurde angewandt, Rechtsbeugung wurde betrieben.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD] – Ralph Bombis [FDP]: Das ist Unsinn! – Der Ministerpräsident betritt den Saal.)

– Schön, Herr Ministerpräsident, dass Sie jetzt den Weg in unser Haus gefunden haben. Herr Ministerpräsident, Sie hätten …

(Zurufe von der CDU und der FDP: Ah! – Zuruf von Ralph Bombis [FDP] – Unruhe – Glocke)

– Dass ich Sie schon mit solchen Sachen treffe, ist ja kurios.

(Weitere Zurufe)

Ich warte einfach ein bisschen ab, bis Sie sich alle ein wenig beruhigt haben.

(Fortgesetzt Zurufe)

Kommen Sie klar?

Präsident André Kuper: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Redezeit vorhin gestoppt und werden, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, der Kollegin die Chance geben, weiter vorzutragen. – Bitte.

Wibke Brems (GRÜNE): Danke schön. – Herr Ministerpräsident Wüst, Sie haben die Chance, es anders zu machen. Ich sage Ihnen, was Sie machen könnten: Sie könnten schnell dafür sorgen, dass der Hambacher Wald

(Zurufe von der CDU und der FDP: Forst!)

in öffentlichen Besitz übergeht. Die NRW-Stiftung wäre sofort bereit, Verantwortung für den Wald zu übernehmen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Forst!)

Ich sage Ihnen ganz klar: Dann gäbe es schlicht und einfach keinen Grund mehr, den Wald zu besetzen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Forst!)

Dann könnte endlich Ruhe im Hambacher Wald einkehren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Forst! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Den gibt es jetzt schon nicht mehr! Den gab es vorher schon nicht!)

Wenn Ihr einziges Problem ist, ob es der Hambacher Forst oder der Hambacher Wald ist,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Für die FDP!)

dann hätten wir nur ein kleines Problem. Meine Güte! Es geht doch darum, endlich eine Befriedung hinzubekommen,

(Unruhe – Glocke)

und Sie hängen sich an solchen Wörtern auf.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie tun das doch! – Weitere Zurufe)

Zur Befriedung der Situation vor Ort gehört auch, dass Sie, Herr Wüst, Ihrer Bauministerin ins Gewissen reden sollten.

(Heiterkeit von der FDP)

Machen Sie Schluss mit juristischen Winkelzügen, um das vorgeschobene Argument des Brandschutzes zur Räumung des Hambacher Waldes im Nachhinein zu legitimieren.

(Ralf Witzel [FDP]: Forst! – Weitere Zurufe: Forst!)

Die Landesregierung hat die Beiladung zum Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln selbst nicht beantragt, sondern die Stadt Kerpen einfach alleingelassen. Die Stadt Kerpen hat verloren. Nun weist die Landesregierung sie an, dass sie die Berufung beibehalten soll, obwohl es einen anderslautenden Ratsbeschluss gibt. Das ist doch der Offenbarungseid dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es geht Ihnen eben nicht um die Befriedung der Situation, sondern um Machtdemonstration und um Rechthaberei.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Es geht um den Rechtsstaat! – Christian Dahm [SPD]: Rechtsstaat?)

Herr Wüst, Sie haben gestern gesagt, Sie brauchen Klarheit über die zukünftige Energieversorgung, Klarheit für die Menschen in den von Umsiedlung bedrohten Dörfern. Ich kann Ihnen diese Klarheit gerne geben: In Glasgow trifft sich gerade die Welt.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Es soll ein Weg gefunden werden, wie die durchschnittliche Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad begrenzt wird.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Dafür ist entschlossenes Handeln von allen Staaten und allen Regierungen notwendig. Damit Deutschland sein Versprechen und damit das 1,5-Grad-Ziel einhält, dürfen in den Tagebauen Hambach und Garzweiler nur noch 200 Millionen Tonnen Kohle gefördert werden; das zeigt eine DIW-Studie. RWE und die geschäftsführende Bundesregierung möchten aber bis 2038 noch 780 Millionen Tonnen Kohle fördern.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Es ist klar und einfach: bis 2030 aus der Kohle aussteigen, Dörfer retten und den 1,5-Grad-Pfad einhalten.

Geben Sie sich einen Ruck, und knüpfen Sie nicht die so dringend notwendige Leitentscheidung an krude Vorwürfe, die Sie mit nichts belegen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

Wer aus der Kohle aussteigt, muss in erneuerbare Energien einsteigen. Das haben Sie gestern gesagt, das sagen wir schon lange, das ist nichts Neues.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Dabei brauchen Sie auch nicht auf andere zu zeigen, denn nicht wir blockieren die Windenergie, sondern das machen Sie selbst. In Nordrhein-Westfalen werden aktuell pro Jahr etwa 300 MW Windkraft zugebaut. Notwendig für den 1,5-Grad-Pfad wären 1.000 MW. Ihre unsinnigen Abstandsregelungen sorgen dafür, dass nicht ausreichend Flächenpotenzial zur Verfügung steht.

(Widerspruch von der FDP)

In Nordrhein-Westfalen stehen 0,8 % der Landesfläche zur Verfügung, in Schleswig-Holstein beispielsweise sind es 2 %.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das ist Ihre Verantwortung, die Sie nicht auf Berlin abschieben können.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

Herr Wüst, ist Ihnen das jetzt Klarheit genug? Ich befürchte, dass Sie immer noch weitere offene Fragen und Aspekte haben. Deswegen habe ich Ihnen etwas mitgebracht.

(Die Rednerin hält eine Unterlage hoch. – Widerspruch von CDU und FDP)

– Ich weiß nicht, warum es Sie so aufregt, dass ich hier eine Studie hochhalte, die ich dem Ministerpräsidenten gerne überreichen möchte.

Weil Sie Ihre Arbeit nicht gemacht haben, hat unsere Landtagsfraktion in einer Studie die Frage gestellt, wie Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen kann.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Darin steht, wie die Energieversorgung der Zukunft aussehen muss. Darin steht, mit welchen Maßnahmen wir die Industrie in Nordrhein-Westfalen erhalten und wie wir trotzdem das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Das ist die Arbeit, die eigentlich die Landesregierung hätte machen müssen. Wir haben sie gemacht. Ich gebe das gerne gleich an den Ministerpräsidenten weiter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu guter Letzt: Herr Wüst, als neuer Ministerpräsident haben Sie die Chance, in diesem langen Streit die Gräben zuzuschütten und neue Brücken zu bauen. Nutzen Sie diese Chance!

(Beifall von den GRÜNEN – Die Rednerin übergibt dem Ministerpräsidenten eine Unterlage.)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. –

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte noch einmal auf die Fragen und Aspekte eingehen, die eben aufgeworfen wurden, vor allen Dingen auf das entsprechende Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. September 2021. Es wurde schon an unterschiedlichen Stellen dargestellt – Frau Ministerin Scharrenbach ist auch darauf eingegangen –, dass es bisher mehrere Urteile gegeben hat, die sich mit dem Hambacher Wald und allem, was damit zusammenhängt, beschäftigen, unter anderem damit, wie dort bei der Räumung vorgegangen worden ist. Es ist aber das erste Urteil, das sich im Detail mit der Weisung und der Begründung auseinandersetzt. Deshalb ist es schon etwas Besonderes.

Sehr bemerkenswert fand ich Ihre Äußerung, Frau Ministerin, dass man nicht beigeladen wurde. Ich glaube, Sie wissen selbst sehr gut, dass die Landesregierung selber einen Antrag auf Beiladung hätte stellen können. Es wäre für die Landesregierung in der Zeit zwischen der Kenntnis des Urteils und der Rechtskraft wirklich genug Zeit gewesen, diesen Antrag zu stellen. Sie haben es aber nicht gemacht. Das ist doch die Frage, um die es hier geht.

Sie haben bereits 2018, als die Stadt Kerpen selber nicht aktiv werden wollte, die Stadt Kerpen angewiesen. Deswegen stand die Stadt Kerpen vor Gericht. Jetzt, da es vor Ort einen Ratsbeschluss zum Zurückziehen der Berufung gibt, gehen Sie rein und weisen wieder an, statt an anderer Stelle, an der Sie selbst hätten aktiv werden können, aktiv zu werden.

Ich finde, dass das sehr viel über Ihren anscheinend mangelnden Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung aussagt. Das ist gerade für eine Kommunalministerin doch bemerkenswert und auch erschreckend.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auch noch einmal auf Ihre Äußerung eingehen, Frau Ministerin, es gebe keine Auseinandersetzungen mehr. Ehrlich gesagt, nehme ich das schon anders wahr. Ich nehme das auch vor Ort und in den Dörfern anders wahr. Die Menschen in den Dörfern warten immer noch darauf, zu erfahren, was ihre Perspektive ist. Sie haben gestern Aussagen vom Herrn Ministerpräsidenten gehört. Aber mehr wissen sie jetzt immer noch nicht. Da gibt es natürlich eine klare Auseinandersetzung politischer Art. Diese Auseinandersetzung müssen wir doch führen und sollten wir deswegen auch hier führen.

Ein weiterer Aspekt ist folgender: Der Hambacher Wald ist immer noch nicht in öffentlichem Besitz. Erst wenn das der Fall ist – das habe ich gerade schon einmal deutlich gemacht –, gibt es eine Lösung. Die gibt es dann aber auch. Dann gäbe es nämlich keinen Grund mehr, den Hambacher Wald zu besetzen. Dann könnte dort Ruhe einkehren.

Das sind doch die breiten Brücken, die jetzt vor Ihnen stehen. Die Frage ist ja, ob Sie über diese breiten Brücken gehen, das Gerichtsurteil anerkennen, den Hambacher Wald in öffentlichen Besitz überführen und endlich dort für Ruhe sorgen. Das ist Ihre Verantwortung. Diese Möglichkeit besteht jetzt. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie über diese Brücken gehen.

(Beifall von den GRÜNEN)