Josefine Paul: „Ohne die Community waren auch viele LSBTIQ*-Menschen sehr von Einsamkeit betroffen“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu 25 Jahre Engagement für Vielfalt und für die LSBTIQ*-Community

Portrait Josefine Paul

Der Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Engagement für Vielfalt und für die LSBTIQ*-Community hat in NRW in der Tat eine lange Tradition. Das Land hat eine starke und sehr professionell aufgestellte Community mit Beratungseinrichtungen, Landesverbänden und Einrichtungen für unterschiedlichste Gruppen, die auch Schutz- und Freiräume darstellen und insbesondere auch für Jugendliche wichtig sind.

Mit den unterschiedlichen Initiativen und Vereinen haben wir eine sehr breite queere Kultur, die sich über die Jahre in Nordrhein-Westfalen etabliert hat. In 18 Städten von Münster bis Aachen, von Paderborn über Recklinghausen, Dortmund und Essen bis Siegen und natürlich auch der große CSD in Köln: Überall gehören CSDs mittlerweile zum Stadtkalender. Sie sind Feste der Stadtgesellschaft, die mittlerweile nicht mehr wegzudenken sind.

Sie sind oftmals ganz sichtbar in den guten Stuben der Stadt. Das ist gut so, und das ist richtig so.

Gut und richtig ist auch, dass die Communitiy sich dabei des breiten partei- und fraktionsübergreifenden Rückhalts auch hier im Haus gewiss sein kann.

(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD])

Auch das ist eine sehr gute Tradition, die wir hier in Nordrhein-Westfalen haben und weiterhin pflegen wollen.

Trotzdem müssen wir natürlich feststellen, dass Corona auch die Community schwer getroffen hat. Zum Teil waren Einrichtungen, die auch wichtige Safe Spaces sind, nur sehr eingeschränkt zugänglich. Es war schwierig, Mittelakquise zu betreiben. Die ganzen Charity-Events und was man sonst noch alles übers Jahr tut: All das ist nicht möglich gewesen.

Das bedeutet auch, dass wir natürlich – auch wenn die Landesregierung in der letzten Ausschusssitzung dargestellt hat, dass sie nur zwei finanzielle Hilferufe bekommen hat; das glaube ich ihr auch – trotzdem ein gutes Auge darauf haben müssen, dass queere Kultur jetzt nicht wegbrechen darf, weil Corona dort einiges zerstört hat.

Es gab neue Herausforderungen für die Community. Neue Konzepte mussten erarbeitet werden, die mehrheitlich digital ermöglicht haben, in Kontakt zu bleiben und Beratungs- und Gruppenangebote aufrechtzuerhalten – all das, was Community ausmacht und die Beratungsstruktur so wichtig macht –, aber eben digital. Das war eine große Herausforderung, und es war nicht leicht.

Dazu kommen auch die individuellen Krisen. Wenn Beratungsstrukturen nicht zugänglich sind, bin ich unter Umständen mit meinen Fragen und Problemen sehr alleine.

„Alleine“ ist ein gutes Stichwort. Ohne die Community waren auch viele LSBTIQ*-Menschen durchaus sehr von Einsamkeit betroffen.

All das sind Dinge, die wir in den Blick nehmen müssen. Wir müssen die Coronafolgen in den Blick nehmen, und wir müssen schauen, dass wir dort flexibel zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen, wo bei der queeren Infrastruktur Schäden entstanden sind und wo sich möglicherweise zusätzliche Bedarfe auftun.

(Beifall von den GRÜNEN und Frank Müller [SPD])

Es gibt natürlich auch unabhängig von Corona einiges zu tun. Kollege Müller hat vorhin darauf hingewiesen. Wo ist denn die Diversity-Strategie der Landesregierung? In der Tat steht sie im Koalitionsvertrag. Ich habe es so verstanden, dass das dann für die gesamte Landesverwaltung gelten soll. Bislang haben wir davon leider nichts gehört.

Es gibt viele Kommunen, die sich in der Sache auf einen guten Weg gemacht haben – beispielsweise die Landeshauptstadt Düsseldorf. Auch in Münster und in weiteren Städten wie Dortmund und Köln ist man neue Wege gegangen. Überall gibt es Beispiele dafür, dass Kommunalverwaltungen sich auf den Weg gemacht haben. Daran könnte man sich landesseitig ein Beispiel nehmen und es noch in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen.

Wir brauchen aber auch – darauf wurde schon hingewiesen – die Stärkung von Angeboten im ländlichen Raum. Da muss man sich unter Umständen überlegen, wie man vielleicht mit mobileren Angeboten eine Angebotsstruktur schaffen kann, die sich auch an den Gegebenheiten des ländlichen Raumes orientiert.

Die Diskussion, die wir über die queere Seniorenarbeit in diesem Jahr geführt haben, darf sich nicht wiederholen. Wir brauchen jetzt eine Bestandsgarantie für diese wichtige Arbeit.

(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD])

Sehr geehrte Damen und Herren, eines treibt uns sicherlich alle um. Nordrhein-Westfalen ist ein vielfältiges Land. Wir liegen mitten in Europa und stehen zu den europäischen Werten. Daher bestürzt es uns umso mehr, wenn Rechte von queeren Menschen eingeschränkt werden und wenn diese Menschen staatlichen Repressionen ausgesetzt sind.

Die aktuelle Gesetzgebung in Ungarn beschneidet die Rechte von LSBTIQ*, ist aber auch ein Angriff auf Informationsrechte. In Polen erklären sich Gemeinden und Provinzen zu LSBTIQ*-Ideologie-freien Zonen. Das ist beschämend und tritt europäische Werte mit Füßen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nutzen wir doch die vielen Kontakte, die wir in Nordrhein-Westfalen auch über die lang eingeübten und gut etablierten Städtepartnerschaften aufgebaut haben – zum einen, um Zivilgesellschaft zu stärken, und zum anderen, um im Dialog zu bleiben, klar für Menschenrechte einzutreten und die schwierige Menschenrechtssituation zu benennen.

Setzen wir doch ein Zeichen und erklären Nordrhein-Westfalen – dem Beispiel des Europäischen Parlaments folgend – zu einem Freiraum für LSBTIQ*. Genau das sind wir nämlich in Nordrhein-Westfalen. So leben wir hier. Lassen Sie uns doch einfach dieses Zeichen setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Margret Voßeler-Deppe [CDU])

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