Wird eine ortsnahe und lebensweltorientierte ambulante Versorgung von Kindern und Jugendlichen bei der Förderung der seelischen Gesundheit durch den Zulassungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen unmöglich gemacht?

Kleine Anfrage von Wibke Brems, Mehrdad Mostofizadeh und Josefine Paul

Portrait Wibke Brems 5-23

Der Zulassungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat entschieden, dass die Ambulanzen der kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in Gütersloh geschlossen werden müssen. Diese ambulanten Leistungen sollen zukünftig von der LWL-Klinik in Hamm übernommen werden. Der Kreis und die Stadt Gütersloh haben sich in einem Schreiben an den Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der LWL-Universitätsklinik Hamm deutlich gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen ausgesprochen. Danach dürfen die Tagesklinik in Rheda-Wiedenbrück wie auch die Familienambulanz am LWL-Klinikum in Gütersloh keine ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung mehr anbieten und die bestehenden Angebote vor Ort müssen eingestellt werden. Stattdessen soll das ambulante Angebot von der LWL-Uniklinik in Hamm übernommen werden. Eine solche ambulante Versorgung wäre weder bedarfsgerecht, noch ortsnah, noch für viele Betroffene leicht erreichbar.
Diese Entscheidung hat vor Ort für viel Unverständnis gesorgt. Neben der hierdurch stattfindenden Reduzierung des Angebotes vor Ort, würde diese Entscheidung auch die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den örtlichen Akteuren des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der Jugendhilfe und mit denen der Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen wie Familie, Kita und Schule erschweren oder gar unmöglich machen.
Die Bedarfsplanung für die fachärztliche und psychotherapeutische Behandlung ist nicht originär Sache der Länder, sondern Aufgabe der Selbstverwaltung der Ärzte/Ärztinnen und Kassen. Allerdings gibt es auch ein öffentliches Interesse an einer guten ortsnahen Versorgung und zunehmend auch an einer sektorübergreifenden Planung und Behandlung. Dies gilt besonders bei der Sicherung und Unterstützung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Eine Patientenorientierung in der Behandlung muss im Vordergrund stehen.
Aus der Sicht der Kommunen ist eine wohnortnahe ambulante Versorgung in den kinder- und jugendpsychiatrischen ambulanten Einrichtungen neben den Angeboten von niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychiaterinnen sowie Kinder- und Jugendpsychologinnen und -psychologen unverzichtbar.
Die 19. Landesgesundheitskonferenz (LGK) hat ihrerseits zum Thema psychiatrische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in einer Entschließung auf die notwendige Zusammenarbeit des Gesundheits-, Sozial-, Jugend-, Familien-, Bildungs- und Umweltbereichs abgehoben. Dabei erfordern die vielfältigen Ursachen psychischer Störungen einen ganzheitlichen Ansatz in Prävention und Gesundheitsförderung, die sich eng an der jeweiligen Lebensphase und -situation orientiert. Die Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist somit eine Querschnittsaufgabe von Erziehung und Bildung, Sozial- und Gesundheitswesen. Dies erfordert ein enges Zusammenwirken der Akteure des Gesundheitssystems, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Jugendhilfe.
Die LGK fordert deshalb, die Leistungen der einzelnen Akteure wie Krankenkassen, Familien- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Pädiatrie aufeinander abzustimmen und auch die jeweiligen Settings Familie, Kindergarten sowie Schule einzubeziehen. Zudem soll neben einer hinreichenden Vernetzung der Hilfesysteme auch eine familiennahe und interdisziplinär ausgerichtete Behandlungsstrategie sowie gut erreichbare Versorgungsangebote sowohl in den großstädtischen Ballungsräumen als auch den strukturschwachen ländlichen Regionen aufgebaut werden.
Der aktuelle Landespsychiatrieplan NRW (2016) der Landesregierung fordert seinerseits eine patientenorientierte Ausrichtung der Angebote und bei der Behandlung eine Überwindung der Sektoren (ambulant/stationär). Dies gilt insbesondere bei der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Hier ist eine integrierte Behandlung und Rehabilitation angezeigt. Dies alles spricht für ortsnahe ambulante und tagesklinische Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Die oben genannte Entscheidung des Zulassungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen steht im krassen Widerspruch zu den Handlungsempfehlungen und Vereinbarungen der Landesgesundheitskonferenz zur ortsnahen Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wie auch zu den Aussagen und Zielorientierung des Landespsychiatrieplanes NRW für eine integrierte Behandlung und Rehabilitation zur Sicherung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
Was unternimmt die Landesregierung zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen zur ortsnahen Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und diesem Ziel zuwiderlaufende Entscheidungen der Selbstverwaltung?
Wie sieht die ortsnahe Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in den einzelnen Versorgungsgebieten und runtergebrochen in den kreisfreien Städten und Kreisen aus? Bitte dargestellt für die einzelnen Gebietskörperschaften.
Welche Vereinbarungen wurden seitens der Akteure und Leistungsanbieter im Gesundheitswesen getroffen, um die Handlungsempfehlungen der 19. LGK zur psychiatrischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen umsetzen zu können?
Welche Auswirkungen hat dies bisher für die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Praxis insbesondere in Bezug auf die ortsnahe Versorgung und bei der Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren in den Lebenswelten (Familie, Kita, Schule, Ausbildung, Jugendhilfe etc.) der Kinder und Jugendlichen?
Welche weiteren Schritte verfolgt die Landesregierung gemeinsam mit den zuständigen und beteiligten Akteuren, um in allen Regionen eine ortsnahe und lebensweltorientierte psychosoziale und psychiatrische Versorgung zur Stärkung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen anbieten zu können?