Wie bewahrt die Landesregierung bei der strategischen Neuausrichtung des Kommunalen Integrationsmanagements (KIM) das Subsidiaritätsprinzip?

Kleine Anfrage von Berivan Aymaz und Sigrid Beer

Portrait Berivan Aymaz 2021

Nordrhein-Westfalen ist geprägt von einer langen Tradition der Zuwanderung und einer Integrationspolitik, die stets auf einem breiten, parteiübergreifenden Konsens gründete. NRW verfügt über eine ausdifferenzierte integrationspolitische Infrastruktur.
Dabei blicken die Träger auf eine lange Zusammenarbeit mit den Kommunen zurück: Neben den Kommunalen Integrationszentren (KI)s sind seit 2007 Integrationsagenturen und zahlreiche freie Träger an der Integrationsarbeit beteiligt, nicht zu vergessen, die bundesgeförderten Dienste der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) und die Jugendmigrationsdienste (JMD). Sie haben mit ihrer Kompetenz, ihrem Engagement und Eigenmitteln gerade in der Situation verstärkter Zuwanderung 2015/2016 entscheidend dazu beigetragen, dass die Aufnahme der Menschen gelingen konnte und die Integrationsprozesse gut angelegt wurden. Das Prinzip der Subsidiarität hat sich hier noch einmal in besonderer Weise als wertvoll erwiesen.
Der Prozess zur Weiterentwicklung der Integrationsarbeit, wie ihn die Landesregierung zur Zeit betreibt, wirft aber grundsätzliche Fragen bezüglich dem in der Teilhabe- und Integrationsstrategie formulierten Anspruch und dem tatsächlichen Umsetzungsprozess des Kommunalen Integrationsmanagements (KIM) auf.
Die Teilhabe- und Integrationsstrategie 2030 formuliert den Anspruch, „die Zivilgesellschaft von Beginn an aktiv einzubinden“ und wurde mithilfe eines neuen „Beirats der Landesregierung für Teilhabe und Integration“ formuliert, dem Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft angehören. Die Strategie zielt auf die Förderung des Zusammenhalts in den Sozialräumen in einer Gesellschaft der Vielfalt ab. Institutionen der Wohlfahrtspflege und weitere relevante zivilgesellschaftliche Akteure spielen bei der strategischen Ausrichtung eine unverzichtbare Rolle. So heißt es zur Zielrichtung der Teilhabe- und Integrationsstrategie:
Es „handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Strategie für mehr Teilhabe und Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen. […] Nordrhein-Westfalen lebt von einer starken Zivilgesellschaft und dem Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger.“ Als übergreifende Anforderungen für eine gelingende Integrations- und Teilhabestrategie wird Stärkung der
Kooperation und Koordination auf allen Ebenen und Feldern sowie der kontinuierliche Dialog mit allen beteiligten Akteuren genannt. Darüber hinaus sollen Entscheidungs- und Verwaltungsprozesse vereinfacht, beschleunigt und flexibilisiert werden.
Denn es gibt durchaus Optimierungsbedarf der integrationspolitischen Infrastruktur, beispielweise in Bezug auf die Vermeidung ineffektiver Parallelstrukturen, Schaffung von Angeboten auf Augenhöhe und die Identifizierung von eventuellen Angebotslücken. Diese Optimierungsbedarfe benennt auch die Freie Wohlfahrtspflege in ihrer Stellungnahme selbst (https://www.diakonie-rwl.de/sites/default/files/aktuelles/fw-integrationsarbeit-kommune-2019.pdf). Die genannten Absichten, die eine Stärkung der kommunalen Strukturen und die Einbindung der Zivilgesellschaft und der Freien Wohlfahrtspflege vorsehen, sind zu unterstützen. Denn nur vor Ort kann Integration gelebt werden. Nur durch den Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure kann ein umfassendes niedrigschwelliges, diverses und zielgruppenspezifisches Angebot geschaffen werden, das die verschiedenen Anliegen und Nöte von Betroffenen in den Blick nimmt. So würde auch dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen werden.
Mittlerweile ist die Landesregierung in ihrer Planung eines sogenannten „Kommunalen Integrationsmanagements“ (KIM) weiter fortgeschritten. Die Einrichtung eines neuen „kommunalen Integrationsmanagements“ soll unbefristet und flächendeckend für alle 54 Kreise und kreisfreien Städte in NRW ab 01.07.2020 als Fortführung des Modellprojekts „Einwanderung gestalten“ starten. Bereits für das 2. Halbjahr 2020 sollen dafür 25 Mio. Euro im Landeshaushalt (Haushalt EP 07 080 Titel 633 30) zur Verfügung gestellt werden, im Jahr 2021 50 Mio. Euro und 2022 75 Mio. Euro (https://www.diakonie-rwl.de/themen/migration-und-flucht/austausch-staatssekretaerin-serap-gueler). Die Mittel seien in den Kommunen insbesondere für die Einrichtung weiterer Personalstellen vorgesehen. Die Mittel gehen dabei an die antragsberechtigten Kommunen, die eigenständig über den Mitteleinsatz befinden. Staatssekretärin Serap Güler betont in einem Austauschtreffen mit der Diakonie RWL, dass jede Kommune selbst entscheide, welche Träger wie stark eingebunden würden (https://www.diakonie-rwl.de/themen/migration-und-flucht/austausch-staatssekretaerin-serap-gueler).
Eine fehlende Einbindung der Zivilgesellschaft und der Freien Wohlfahrtspflege durch die Landeregierung wäre vor dem Hintergrund der Fülle an Aufgaben und Herausforderungen in der kommunalen Integrationsarbeit mindestens verwunderlich, wenn nicht sogar in Bezug auf eine vertrauensvolle Arbeit auf Augenhöhe besorgniserregend.
Zudem legt die Kommentierung des Einzelplans 07 080 Titel 633 30 nahe, dass die kommunalen Integrationszentren (KI) zukünftig im Rahmen des individuellen Case- Management selbst operativ tätig werden können.
Eine zusätzliche Übernahme von Aufgaben auf operativer Ebene durch die Kommune, etwa in der Beratungsarbeit und im Sozialraum, schafft neue Doppelstrukturen.
Es gilt, die bewährte ausdifferenzierte integrationspolitische Infrastruktur mit einer Pluralität von Akteuren aus der Integrationsarbeit vor Ort zu erhalten – mit der Freien Wohlfahrtspflege und weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen als kooperative Mitgestalter des Sozialstaats mit hoher Expertise.
Es bleibt zu befürchten, dass aufgrund der geplanten Entwicklungen eine zunehmende Asymmetrie in der Finanzierungs- und Personalausstattung zugunsten der Kommunen gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren entsteht, insbesondere in denjenigen Kommunen, in denen bisher keinerlei Zusammenarbeit mit sozialen Trägern bestand.
Die Subsidiarität gilt es weiter zu achten und die Freie Wohlfahrtspflege und Zivilgesellschaft dürfen in einem solchen Prozess nicht ins Abseits gestellt werden.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
1.      Welche Absprachen in Bezug auf die Gesamtstrategie, Konzeption und Personal gibt es zwischen den zuständigen Ressorts der Landesregierung und im MKFFI über eine Weiterentwicklung der Kommunalen Integrationsarbeit, insbesondere hinsichtlich des geplanten Kommunalen Integrationsmanagements?
2.      Wie garantiert die Landesregierung auch zukünftig, dass Träger der Freien Wohlfahrtspflege von Anfang an und auf Augenhöhe gemäß dem Subsidiaritätsprinzip in die Konzeption und in die Entscheidungsprozesse des Kommunalen Integrationsmanagements eingebunden werden?
3.      Inwieweit werden die Freie Wohlfahrtspflege und die Zivilgesellschaft an dem Neuausrichtungsprozess einschließlich der Erarbeitung der Förderrichtlinien für das Kommunale Integrationsmanagement beteiligt?
4.      Welche konkreten Planungen verfolgt die Landesregierung hinsichtlich der Landeskoordinierungsstelle Kommunaler Integrationszentren (LaKI)?
5.      Welche Änderungen plant die Landesregierung am Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW?