Widersprüchliche Positionierung der Landesregierung bei Syrien-Abschiebungsstopp – wer hatte das letzte Wort bei der IMK?

Kleine Anfrage von Berivan Aymaz

Portrait Berivan Aymaz 2021

Die Debatte um die Aufhebung des Abschiebungsstopps nach Syrien beherrschte die Tagesordnung der vergangenen Innenministerkonferenz (IMK), die in der Woche vom 9. bis 11. Dezember 2020 stattfand.

Trotz der verheerenden Lage im Bürgerkriegsland Syrien, in dem systematisch gefoltert und gemordet wird, und trotz der fehlenden diplomatischen Beziehungen hat die Innenministerkonferenz insbesondere auf Initiative von Bundesinnenminister Seehofer und weiteren Unions-Politikern beschlossen, den Abschiebungsstopp in dieses Land nicht weiter zu verlängern.

Zuvor hatte der interne Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Syrien festgestellt: „Ungeachtet des relativen Rückgangs der Kampfhandlungen kommt es laut den Vereinten Nationen in allen Landesteilen weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure.“ (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschiebungen-nach-syrien-alles-nur-symbolik-17074255.html), womit Abschiebungen nicht mit menschenrechtlichen Grundsätzen vereinbar sind. Ebenso verbietet Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ganz klar Abschiebungen in einen Folterstaat. Dies gilt demnach für alle Menschen, ungeachtet dessen, ob sie Gefährder sind, oder nicht.

Dennoch kündigte bereits im Vorfeld Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann an, dass sich die Unions-Politiker in dieser Frage einig seien, allerdings lehnten die SPD-Innenminister dies ab. Der schleswig-holsteinische Innenminister (CDU) enthielt sich bei der Abstimmung. (https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-kiel-abschiebestopp-nach-syrien-enthaltung-schleswig-holsteins-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201209-99-630745)

Die Positionierung der schwarz-gelben Landesregierung in NRW ist in dieser Frage hingegen undurchsichtig, sie fährt einen nicht nachvollziehbaren Schlingerkurs. Ihr Handeln ist geprägt von widersprüchlichen Positionierungen, unterschiedlichen Aussagen und einem intransparenten Abstimmungsverhalten:

Für die NRW-Landesregierung nahm Innenminister Herbert Reul (CDU) an der IMK teil. Im Vorfeld hatte die NRW-Landesregierung eigens ein Rechtsgutachten zum Thema „Anforderungen für Rückführungen insbesondere von Gefährdern in Länder mit schlechter Sicherheitslage und verbreiteten Menschenrechtsverletzungen für das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen“ in Auftrag gegeben.

Das Gutachten von Prof. Daniel Thym kommt zu der Feststellung, dass eine Abschiebung nach Syrien weiterhin faktisch fast unmöglich ist. „Besonders schwierig wären Rückführungen islamistischer Gefährder, denen besonders häufig Folter oder unmenschliche Behandlung drohen“ so der Völkerrechtler. Medienberichten zufolge erklärte der stellvertretende Ministerpräsident und Flüchtlingsminister Joachim Stamp, dass es riskant sei, öffentlich zu suggerieren, dass solche Rückführungen stattfinden können, wenn dies weiterhin rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Er plädierte daher dafür, das generelle Abschiebeverbot nach Syrien zunächst für weitere sechs Monate zu verlängern.

Einem Artikel aus der Rheinischen Post vom 16.12.2020 ist jedoch zu entnehmen, dass CDU-Innenminister Reul bei der IMK dem Vorstoß seines Kabinettskollegen Stamp nicht folgte und mit anderen CDU- und CSU-Politikern darauf hingewirkt habe, den Abschiebungsstopp zum Jahresende auslaufen zu lassen.

Bereits seit 2017 gibt es immer wieder unterschiedliche Positionierungen innerhalb der Landesregierung hinsichtlich der Frage zu Abschiebungen nach Syrien, insbesondere zwischen dem Flüchtlingsminister und dem Innenminister. Während Minister Stamp 2017 Abschiebungen nach Syrien kategorisch ablehnte, solange Assad an der Macht sei, hielt Innenminister Reul Abschiebungen für möglich.

In der Sitzung des Integrationsausschusses des Landtags vom 6.12.2017 antwortete Minister Stamp auf die Frage, wie er gewährleisten wolle, dass Minister Reul in seinem Sinne bei der damaligen IMK zum Thema Abschiebungsstopp nach Syrien abstimmen werde: „Wir haben ein Gespräch geführt und die Abstimmungslinie des Landes Nordrhein-Westfalen gemeinsam besprochen. […] Aufenthaltsrechtliche Fragestellungen gehören nach der Umressortierung zum fachlichen Geschäftsbereich des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. In Fragen des Aufenthaltsrechts leite ich nach dem in Art. 55 der Landesverfassung verankerten Ressortprinzip als zuständiger Minister den Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung. Das gilt auch für die Themen, die auf der Tagesordnung der IMK stehen.“ (APr 17/118 vom 6.12.2017, S. 14)

Weiter führte Minister Stamp aus, dass der Letztentscheid bei ihm liege und es gebe weder Kompromisse noch Abstriche. (APr 17/118 vom 6.12.2017, S. 15)

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie ist die Positionierung der NRW-Landesregierung in der Frage zu Abschiebungen nach Syrien?
  2. Wie hat sich Innenminister Reul bei der IMK vom 9. – 12.2020 bei dieser Abstimmung verhalten?
  3. Inwieweit erfolgten Absprachen zwischen dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Flüchtlingsminister Stamp mit Innenminister Reul bezüglich der Entscheidung über die Verlängerung eines Abschiebungsstopps nach Syrien?
  4. Wird die Landesregierung trotz der verheerenden Sicherheitslage und fehlenden diplomatischen Beziehungen zum Assad-Regime Schritte in Bezug auf mögliche Abschiebungen in das Zielland Syrien unternehmen?