I. Ausgangslage
Im Jahr 2014 begann die Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS), weite Teile des Iraks unter Anwendung brutaler Gewalt zu kontrollieren. Die Herrschaft war geprägt von Terror, systematischen Menschenrechtsverletzungen und gezielten Angriffen auf Zivilistinnen und Zivilisten. In der Folge mussten hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen, viele wurden Opfer schwerster Verbrechen.
Die ezidische Bevölkerungsgruppe wurde, insbesondere im Distrikt Sinjar, Ziel organisierter Verfolgung, sexualisierter Gewalt, Versklavung und Zwangsvertreibung. Dabei wurden massenhaft Erschießungen, Entführungen und die Zerstörung ganzer Dorfschaften und Heiligtümer durchgeführt. Die von dem IS vertriebenen Menschen waren aus Furcht um ihr Leben zur Flucht gezwungen. Viele Überlebende haben schwere Traumata und Verletzungen erlitten. Auch bei uns in Nordrhein-Westfalen haben Ezidinnen und Eziden in der Folge Zuflucht und Schutz gefunden.
Am 19. Januar 2023 erkannte der Deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP die im Irak begangenen Gewalttaten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ an den Ezidinnen und Eziden im Sinne des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes der Vereinten Nationen, als Genozid an. Der Bundestag fasste mit Blick auf das Leid der Ezidinnen und Eziden folgenden Beschluss: „Der Deutsche Bundestag wird sich mit Nachdruck zum Schutz jesidischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit einsetzen“.1
Die Region Shingal ist bis heute ein militärisch umkämpftes und politisch instabiles Gebiet. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen irakischer Zentralregierung, kurdischen Einheiten, welche eine entscheidende Rolle in der Befreiung besetzter Gebiete spielten, und verschiedenen (para-)militärischen Gruppen sorgen für eine andauernde Gefährdung der Zivilbevölkerung. So kam es im Mai 2022 durch eine Eskalation von Kämpfern erneut zur Vertreibung von ca. 10.000 Bewohnerinnen und Bewohnern Sinjars.2
Der sogenannte Islamische Staat ist zwar militärisch geschwächt, aber nicht gänzlich besiegt: In Shingal und Umgebung existieren weiterhin Schläferzellen, die Anschläge verüben. Ezidinnen und Eziden sind nach wie vor Ziel von Hass, Diskriminierung und Übergriffen und sind nicht von den staatlichen Sicherheitsbehörden geschützt, was eine Rückkehr dorthin für Überlebende des Genozids unzumutbar macht.
Die Umsetzung des sogenannten Shingal-Abkommens von 2020 zwischen der Zentralregierung Iraks sowie der Regionalregierung Kurdistans ist weitgehend ins Stocken geraten3. Das Ziel des Abkommens zur Stabilisierung und Wiederaufbau der Region Sinjar ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erreicht4. Eine funktionsfähige Verwaltung und grundlegende Infrastruktur existieren nicht. Luftangriffe und terroristische Anschläge gehören zum Alltag.5
Die meisten Ezidinnen und Eziden könnten nur in eines der Flüchtlingslager im Nordirak zurückkehren, da ihre Dörfer zerstört, vermint6 oder von fremden Milizen besetzt sind. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) sind etwa 200.000 Ezidinnen und Eziden dort nach wie vor in Lagern untergebracht, in denen teils katastrophale Zustände herrschen.7
Mit der Anerkennung des Völkermords durch den Deutschen Bundestag wurde nicht nur symbolisch, sondern konkret politisch Verantwortung übernommen. Dieser politischen Verantwortung schließt sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen an.
Schon im Dezember 2023 hat das Land NRW einen Abschiebestopp für Ezidinnen und Eziden erlassen. Daran soll eine Bleiberechtsregelung nach § 23 Abs. 1 AufenthG aus humanitären Gründen, sowie die ausdrückliche Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach §23 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, im Rahmen eines Landesschutzprogramms für Ezidinnen und Eziden aus dem Irak anschließen. Die Umsetzung erfordert das Einvernehmen des Bundesministeriums des Inneren und Heimat (BMI) auf Grundlage der Wahrung der Bundeseinheitlichkeit.
II. Der Landtag stellt fest:
- Die Folgen der traumatischen Erfahrungen der ezidischen Gemeinschaft aus dem Nordirak wirken weiter nach und beeinflussen die Lebenssituation der Ezidinnen und Eziden bis heute.
- NRW bekennt sich zu seiner humanitären Verantwortung gegenüber der in Nordrhein-Westfalen lebenden Ezidinnen und Eziden, erkennt das Leid der Mitglieder des Eziden-tums an und übernimmt, im Sinne des Beschlusses des Bundestages zum Genozid der Ezidinnen und Eziden, Verantwortung für diese Personengruppe.
III. Der Landtag beauftragt die Landesregierung:
- Im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die in Nordrhein-Westfalen lebenden Ezidinnen und Eziden mit irakischer Staatsbürgerschaft, welche derzeit ausreisepflichtig sind, sich seit mindestens zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen aufhalten, aber nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels oder sonstigen Bleiberechts erfüllen und bei denen kein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 besteht, sowie keine staatsschutzbezogenen Erkenntnisse vorliegen, einen Aufenthalt nach § 23 Abs. 1 Auf-enthG im Rahmen eines Landesschutzprogramms in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen.
- Beim Bundesministerium des Innern und für Heimat das notwendige Einvernehmen gemäß § 23 Absatz 1 Satz 3 AufenthG herzustellen, um eine Landesaufnahmeanordnung für Ezidinnen und Eziden aus humanitären Gründen in NRW zu ermöglichen.
- Dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1 Satz 4 AufenthG eine Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt ist.
- Sich auf Bundesebene für eine bundesweite menschenrechtsbasierte Bleiberechtsrege-lung für Ezidinnen und Eziden einzusetzen, die ihrer besonderen Verfolgungsgeschichte gerecht wird.
1 BTS Drs. 20/5228
2 BAMF: Länderkurzinformation Irak, Die Situation der Jesidinnen und Jesiden, April 2025, S. 3-4,
3 Human Rights Watch: Iraq: Political Infighting Blocking Reconstruction of Sinjar, June 2023
https://www.hrw.org/news/2023/06/06/iraq-political-infighting-blocking-reconstruction-sinjar abgerufen am 13.08.2025
4 IOM: Protracted Displacement in Iraq: Revisiting Categories of Return Barriers, Januar 2021, S. 23-40
5 The New Humanitarian: In Iraq’s Sinjar, Yazidi returns crawl to a halt amid fears of Turkish airstrikes, February 2022 https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2022/2/10/Iraq-Sinjar-Yazidi-returns-halt-Turkish-air-strikes abgerufen am 13.08.2025
6 Handicap International (HI): No safe recovery: The impact of Explosive Ordnance contamination on affected populations in Iraq, 2021, S. 16, https://www.hi.org/sn_uploads/document/Report2021_EO-Contamination-Iraq-EN-final.pdf abgerufen am 13.08.2025
7 IOM: Sinjar: Challenges and Resilience Ten Years after the Yazidi Genocide in Iraq, August 2024 https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2022/2/10/Iraq-Sinjar-Yazidi-returns-halt-Turkish-airstrikes abgerufen am 13.08.2025
