Die DITIB (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği – Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) ist der größte Dachverband von türkeistämmigen Muslimen/-innen in Deutschland, der 1984 gegründet wurde. Einzelne Mitgliedsvereine sind älter als der Dachverband. Der Dachverband und seine Mitgliedsvereine bieten für einen Teil der Gesellschaft mit muslimischen Glauben religiöse und soziale Dienstleistungen an.
Die aktuelle Landesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drs. 17/11689) die Problematik der Einflussnahme aus der Türkei auf die DITIB bis hin in Moscheegemeinden klar benannt und stellte die Unabhängigkeit der DITIB dabei in Frage: „UID und DITIB versuchen […], einen eigenständigen und unabhängigen Charakter ihrer Organisationen hervorzuheben und die Verbindungen und Abhängigkeitsverhältnisse zur Türkei herunterzuspielen. Dieses weitläufige Netzwerk aus Personen und Organisationen dient nicht nur zur aktiven Meinungsbildung im Sinne der türkischen Regierung, es bietet dem türkischen Nachrichtendienst auch eine große Zahl potentieller Zuträger und Hinweisgeber.“1
Nicht nur in Bezug auf die Einbeziehung der DITIB in die Kommission für den Islamischen Religionsunterricht sind Zweifel an der Unabhängigkeit berechtigt. Ebenso kritisch müssen Hinweise auf die offensichtliche personelle Verflechtung gewertet werden, die sich z.B. in der Satzung des DITIB-Verbandes Essen abbilden: Unter § 10 ist der zuständige Attaché für soziale und religiöse Angelegenheiten kraft Amtes Ehrenvorsitzender der Gemeinde. Ihm steht damit die Teilnahme an Vorstandssitzungen samt Rederecht zu. Der Ehrenvorsitz ist damit nicht an eine Person, sondern an ein der türkischen Regierung nahestehendes politisches Amt gebunden.
Zudem weist der DITIB-Landesverband Nordrhein-Westfalen Regionalverband Essen personelle Verschränkungen zum DITIB-Bundesverband auf: zwei Vorstandsmitglieder des DITIB-Bundesverbandes sind gleichzeitig Vorsitzende im DITIB-Landesverband Nordrhein-Westfalen Regionalverband Essen.2 So stellt sich die Frage, inwieweit eine Unabhängigkeit des Regionalverbands Essen unter den genannten Umständen überhaupt möglich ist.
Diese Verflechtungen entwickeln dort besondere Bedeutung, wo das türkisch-nationalistische Verständnis der Erdoğan-Regierung Erziehungs- und Bildungsgrundsätze beeinflusst.
Was das bewirken kann, zeigte sich z.B. 2018 in Gedenkveranstaltungen anlässlich des Jahrestages der Schlacht von Gallipoli von 1915, zu denen auch der türkische Bildungsattaché des Generalkonsulats in Köln eingeladen wurde.3 „Das, was die Fahne zur Fahne macht, ist das Blut darauf“, schreibt zum Beispiel der Vorsitzende der DITIB Leverkusen in einem Facebook-Post. Und: „Der Boden, für den man erst stirbt, wird zum Vaterland.“4
Weitere Online-Auftritte mehrerer DITIB-Moscheen in NRW bewarben zudem eine Reise für Jugendliche in die Türkei, während der sie auch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan treffen würden, der in der Einladung als „unser oberster Heerführer“ genannt wurde.5 In dem Facebook-Auftritt der DITIB-Zentralmoschee ist ein nationalistisch zu konnotierender Eintrag zum in der Türkei gefeierten Siegestag des Dardanellen-Krieges zu finden: „Wir werden in diesem Jahr den 106. Jahrestag des Dardanellen-Sieges feiern, bei dem der Welt die Stärke der Türken gezeigt wurde.“6
Als Träger der Jugendhilfe können laut MKFFI „nur solche Träger anerkannt werden, die sich die Entwicklungsförderung junger Menschen und die Erziehung junger Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zum Ziel gesetzt haben.“7
Eine Analyse von mehreren, auf der Seite des DITIB-nahen ZSU-Shops erhältlichen Kinder-und Jugendbüchern, in denen der Islam vermittelt werden soll, legt nahe, dass DITIB eine konservative islamische Erziehungsmethode verfolgt.8 So resümiert der Autor:
„Das dogmatische Religionsverständnis findet sich auch in den Kinderbüchern der DITIB. Ihre Botschaften haben mit einer Pädagogik der Vielfalt nichts gemein. Es geht dabei nicht um Toleranz, Respekt und Gleichheit in der Vielfalt, sondern um Hierarchie, Unterordnung und die Höherbewertung der eigenen Religion, zu deren Verteidigung auch aufgerufen wird; es geht um Dankbarkeit, Unterwerfung und Abgrenzung statt Kritikfähigkeit, Selbständigkeit und Mündigkeit. Diskussionen und Aushandlungsprozesse kommen nicht vor, sind nicht erwünscht.“9 […] „Das ist keine Vorbereitung auf eine Leben in demokratischen pluralen Strukturen, sondern die Prägung auf eine durch eine dogmatische Lehre bestimmte Gesellschaft mit reaktionären Rollen der Geschlechter, ein Kollektiv ohne Fragen, Zweifel oder Diskussionen.“10
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
- Wie kann bei der Anerkennung von Jugendhilfeträgern sichergestellt werden, dass demokratische Bildungsgrundsätze gewährleistet sind?
- Wie bewertet die Landesregierung die strukturelle Verflechtung von potentiellen Jugendhilfeträgern mit Amtsträgern eines Staates mit einem autokratischem und nationalistischem Staatsverständnis, das Integrationsprozesse konterkariert?
- Wie bewertet die Landesregierung die Vereinbarkeit von den tatsächlichen Zielen des DITIB-Bundesverbands, -Landesverbands Nordrhein-Westfalen, den vier Regionalverbänden sowie den NRW Ortsvereinen mit den Zielen des GG?
- Wie bewertet die Landesregierung den Einfluss des DITIB-Landes- und Bundesverbands auf die Ortsvereine, vor dem Hintergrund personeller Verflechtungen?
- Inwiefern ist auszuschließen, dass in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen durch Träger der Jugendhilfe religiös-fundamentalistische und/ oder antidemokratische Haltungen vermittelt werden?
1 Drs. 17/11689.
2 https://www.ditib.de/default1.php?id=5&sid=56&lang=de, eingesehen am 21.01.2022.
3 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ditib-werbung-fuer-recep-tayyip-erdogan-in-deutschland-a-1198649.html, eingesehen am 21.01.2022.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Facebook-Timeline DITB Essen Merkez Moschee, Post vom 17. März 2021, eingesehen am 05.01.2022.
7 https://www.mkffi.nrw/anerkennung-als-traeger-der-freien-jugendhilfe-gemaess-ss-75-sgb-viii, eingesehen am 26.01.2022.
8 Rüttgers, P. (2019): Islamische Religionsvermittlung – konkret: Beobachtungen zur religiösen Ideologie von DITIB in Selbstdarstellungen und Kinderbüchern, Interreligiöse Perspektiven, Bd. 10, LIT, Berlin.
9 Ebd., S. 119.
10 Ebd., S. 121.