Als Argument gegen einen ambitionierten Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland werden von Vertretern der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen immer wieder die Arbeitsplätze ins Feld geführt, die durch einen Kohleausstieg bedroht seien.
Für die Braunkohle werden seit Jahren unterschiedliche Beschäftigtenzahlen genannt. 2015 sprach der damalige CDU-Fraktionschef Laschet noch davon, dass ein Kohleausstieg 70.000 Arbeitsplätze gefährde. In der Plenardebatte am 20.12.2017 sagte Wirtschaftsminister Pinkwart, es gehe um 30.000 und mehr Mitarbeiter, die unmittelbar in der Braunkohle beschäftigt seien. Und nur ein halbes Jahr später sprach er in einem Zeitungsinterview (Leipziger Volkszeitung vom 15.06.2018) davon, dass es im rheinischen Revier um rund 10.000 Beschäftigte gehe. Die Landesregierung verfügt offenbar über keine gesicherten Erkenntnisse, wie viele Arbeitsplätze aktuell noch an der Kohleverstromung hängen. Die Zahlen entstammen ganz offensichtlich mehr dem Bauchgefühl Einzelner als einer fundierten Datenerhebung.
Diesen Verdacht legt auch eine aktuelle Ausschreibung des Wirtschaftsministeriums nahe (Vergabenummer 52/2018).
In einem Gutachten sollen u.a. die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung, die im Zusammenhang mit der Kohleverstromung stehen, erhoben werden. Dass offenbar grundlegende Informationen zu diesen Fragestellungen im Wirtschaftsministerium nicht vorliegen und auch durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums nicht erhoben werden können, erstaunt vor dem Hintergrund, da der Verlust der Arbeitsplätze in der Vergangenheit immer eines der Hauptargumente der Landesregierung gegen einen Kohleausstieg gewesen ist. Folglich müssen wir davon ausgehen, dass die Ablehnung des Kohleausstiegs der Landesregierung nicht faktenbasiert, sondern ideologisch motiviert ist.
Überdies scheint die Leistungsbeschreibung zu der oben genannten Vergabe des MWIDE (Vergabenummer 52/2018) so verfasst zu sein, dass in den Ergebnissen die Auswirkungen eines möglichen Kohleausstiegs umfangreicher dargestellt sein werden, als es tatsächlich der Fall wäre. So soll in einem „Basisszenario“ davon ausgegangen werden, dass alle Arbeitsplätze in den entsprechenden Bereichen unmittelbar wegfallen. Eine absurde Vorstellung hält man sich nur die Rückbau- und Tagebaufolgeverpflichtungen der Betreiberin vor Augen. Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern aktuelle marktliche Entwicklungen, die zu einer Reduzierung der Stromerzeugung aus Steinkohle führen, als „Sowieso-Entwicklungen“ berücksichtigt werden. Nach Daten des Vereins der Kohleimporteure wurde in 2017 17% weniger Steinkohle verfeuert als im Jahr zuvor. Auch für 2018 geht der Verband von einem Rückgang der Kohleverstromung von 20% aus. Daraus resultierende Umsatzeinbußen bei den Betreibern der Kraftwerke dürfen nicht dem Kohleausstieg angelastet werden, sondern sind Teil der unternehmerischen Risiken auf dem Energiemarkt.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
- Auf welcher Informationsgrundlage hat die Landesregierung bisher ihre Aussagen zu Beschäftigtenzahlen im Braunkohletagebau, in den Braunkohlekraftwerken und in den Steinkohlekraftwerken in NRW getätigt? (Bitte auch explizit auf die in der Vorbemerkung zitierten Aussagen eingehen)
- Welches Budget ist für die Vergabe Nr. 52/2018 im MWIDE maximal vorgesehen?
- In der Leistungsbeschreibung zur Vergabe Nr. 52/2018 des MWIDE ist die Rede von einem Basisszenario, in welchem durch einen kurzfristigen Kohleausstieg alle Arbeitsplätze und die gesamte Wertschöpfung verloren gingen. Werden in diesem Szenario die Beschäftigungseffekte von Tagebaufolge- und Rekultivierungsmaßnahmen berücksichtigt?
- Nach Daten des Vereins der Kohleimporteure wurde in 2017 17% weniger Steinkohle verfeuert als im Jahr zuvor. Auch für 2018 geht der Verband von einem Rückgang der Kohleverstromung von 20% aus. Inwiefern werden solche, marktbedingten Arbeitsplatz- und Wertschöpfungsverluste in den zu erstellenden Szenarien im Rahmen der Vergabe des MWIDE mit der Nr. 52/2018 berücksichtigt?