Gelebte deutsch-französische Freundschaft in Nordrhein-Westfalen – Fünf Jahre Aachener Vertrag und 20 Jahre Partnerschaft mit Hauts-de-France

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

Portrait Berivan Aymaz 2021

I. Ausgangslage

Die deutsch-französische Freundschaft wird oft als Glücksfall der Geschichte bezeichnet. Aus einer jahrhundertelangen Erbfeindschaft ist über die vergangenen Jahrzehnte eine tiefgrei­fende und weitreichende Freundschaft entstanden. Ausdruck dessen ist der auf dem Élysée-Vertrag von 1963 aufbauende Aachener Vertrag, dessen Unterzeichnung sich am 22. Januar 2024 zum fünften Mal jährt. Noch nie zuvor in der europäischen Geschichte wurde ein Vertrag zwischen zwei Staaten vereinbart, der so intensiv auf allen gesellschaftlichen Ebenen gelebt wird.

Nordrhein-Westfalen unterhält auf regionaler Ebene zu vielen europäischen Staaten freund­schaftliche Beziehungen. Dazu zählt vor allem die Partnerschaft mit der französischen Region Hauts-de-France. Die im Norden Frankreichs gelegene Region ist mit ihren knapp sechs Mil­lionen Einwohnern seit vielen Jahren eng mit Nordrhein-Westfalen verbunden. Einst vom Berg­bau geprägt steht sie heute, ähnlich wie Nordrhein-Westfalen, den Herausforderungen des Strukturwandels gegenüber. Vor zwanzig Jahren startete mit einem Gemeinsamen Arbeits­programm eine bilaterale Zusammenarbeit. Mit der ersten bilaterale Gemeinsame Erklärung , die im Jahr 2014 unterzeichnet wurde, wurde diese zu einer formalen Partnerschaft. Diese wird heute intensiver gelebt denn je. Die letzte gemeinsame Erklärung vom 9. Juli 2021 fokus­siert sich verstärkt auf Zukunftsthemen wie Verkehr, Künstliche Intelligenz, digitale Transfor­mation der Regionen, Klimaschutz und der Förderung Erneuerbarer Energien. Für den kultu­rellen Austausch sind auch Themen wie Jugendmobilität, Schüleraustausche oder Städtepart­nerschaften verstärkt in den Fokus gerückt.

Der bilateralen Erklärung mit Hauts-de-France vorangegangen ist die 2001 erfolgte trilaterale Erklärung der Regionen Hauts-de-France, Schlesien und Nordrhein-Westfalen zur Zusam­menarbeit im sogenannten Regionalen Weimarer Dreieck. Standen in den ersten Jahren der Zusammenarbeit Themen wie die Transformation von Industrieregionen und die Bewältigung des Kohleausstiegs im Vordergrund so richtet man heute den Blick nach vorn und fokussiert sich seit einigen Jahren auf neue Formen des Strukturwandels und nimmt dabei stets Zu­kunftsthemen in den Blick. Diese beispiellosen Formen der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg ist gelebter europäischer Zusammenhalt in Zeiten, wo dies dringender denn je er­scheint.

Seitens des Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen besteht zu­dem eine Kooperationsvereinbarung mit der Académie de Lille. Insbesondere auf den Gebie­ten Fremdsprachenunterricht, bilingualer Unterricht, Mobilität von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulpartnerschaften wird eng zusammengearbeitet. Dazu tragen nicht zuletzt auch die zahlreichen Schulpartnerschaften, Hochschulkooperatio­nen, Städtepartnerschaften mit französischen Kommunen und die fünf französischen Kulturin­stitute in unserem Bundesland bei. Mit keinem anderen Land besteht ein vergleichbar enges Netz an Schul- und Städtepartnerschaften. Zur Vermittlung der immer wichtiger werdenden internationalen Sprachenkompetenz leisten darüber hinaus zahlreiche bilinguale Schulen in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Beitrag. Neben den gesellschaftlichen Verflechtungen sind insbesondere auch die wirtschaftlichen Verbindungen sehr hoch. Französische Unterneh­men zählen zu den stärksten ausländischen Investoren in unserem Land. Um die deutsch­französische Zusammenarbeit in der allgemeinen und beruflichen Bildung auszubauen, be­steht seit dem 31. Oktober 2019 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Nord­rhein-Westfalen und der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer. Wesentli­cher Bestandteil dieser Vereinbarung ist die Internet-Plattform „Ecoles-Entreprises“ („Schulen-Unternehmen“), um Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Unternehmen, Schulen und Berufsschulen zu fördern. Schülerinnen und Schüler haben hierdurch die Mög­lichkeit, sich über Angebote für Praktika in deutschen und französischen Unternehmen zu in­formieren. Auch innerhalb der Europäischen territorialen Zusammenarbeit (Interreg Nordwest­europa und Interreg Europe) bestehen erfolgreiche Kooperationsprojekten zwischen Nord­rhein-Westfalen und Hauts-de-France.

Das Bewusstsein für die gemeinsame Vergangenheit wird auch auf den zahlreichen deutschen und französischen Soldatenfriedhöfen aufrechterhalten. Schon während des Ersten Welt­kriegs kamen bei Schlachten an der Somme Hunderttausende Menschen ums Leben. Daran erinnern bis heute zahlreiche Friedhöfe der beteiligten Nationen. Auf dem deutschen Solda­tenfriedhof Bourdon ruhen Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg, die überwiegend in der Ge­gend um den Fluss Somme gefallen sind. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Volks­bund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ist Pate dieses Friedhofes. Nicht weit entfernt von Bourdon liegt die deutsche Kriegsgräberstätte Fricourt, wo 17.031 im Ersten Weltkrieg gefal­lene deutsche Soldaten ruhen. Diese Erinnerungskultur gilt es am Leben zu erhalten, um bei Schulfahrten gerade der jungen Generation das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Frieden heutzutage alles andere als selbstverständlich ist.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

Unser Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt im Herzen Europas. Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, sind auch unsere Herausforderungen – gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch. Vor dem Hintergrund der Europawahl in diesem Jahr sollte Nord­rhein-Westfalen seinen Beitrag leisten, um gemeinsam mit Frankreich innerhalb der Europäi­schen Union voranzugehen. Die über Jahrzehnte gewachsenen gesellschaftlichen und wirt­schaftlichen Verbindungen gilt es weiter auszubauen und bestehende Problemlagen und Dif­ferenzen gemeinsam anzugehen und zu bewältigen. Jugendaustausch, wirtschaftliche Bezie­hungen, politische Kooperation zwischen Regionen, Ländern, Parteien und Parlamenten sind Ausdruck der gelebten deutsch-französischen Freundschaft und Kooperation.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung aus vorhandenen Mitteln,

  • im Rahmen der Zusammenarbeit mit Hauts-de-France und der anstehenden Erneuerung der Gemeinsamen Erklärung im Regionalen Weimarer Dreieck
  • verstärkt Themen wie Jugendaustausch, Förderung von Spracherwerb in den Fo­kus zu nehmen;
  • die Themen Energiesicherheit und -unabhängigkeit unserer Wirtschaften im Rah­men der Partnerschaft zu verankern, um damit den Wohlstand unserer Bürgerin­nen und Bürger dauerhaft zu sichern;
  • die verschiedenen Akteurinnen und Akteure, die sich auf gesellschaftlicher Ebene für ein gelebtes Miteinander über Grenzen hinweg einsetzen und somit zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen, zusammenzubringen;
  • die bestehende Arbeit der beteiligten Akteurinnen und Akteure über eine öffent­lichkeitswirksame (digitale) Kampagne sichtbar zu machen;
  • neue Zusammenarbeit in Bereichen wie Klimaschutz, Jugendmobilität, Schüler­austausch oder Städtepartnerschaft anzustoßen;
  • anlässlich des Jubiläums den Aachener Vertrag weiter mit Leben zu füllen und weitere Bereiche zu identifizieren, um das Zusammenwachsen aller Generationen auf beiden Seiten weiter aktiv zu fördern;
  • die wichtige Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerks für den interkulturellen Aus­tausch zwischen jungen Menschen weiter zu unterstützen;
  • in der Energie- und Klimapolitik noch enger zusammenzuarbeiten und zu prüfen, ob eine gemeinsame Energiepartnerschaft, ähnlich der mit der Region Flandern, realisierbar er­scheint;
  • auch zukünftig die Kooperationsprojekte innerhalb der Europäischen territorialen Zu­sammenarbeit (Interreg Nordwesteuropa und Interreg Europe) zu unterstützen;
  • Fahrten von Schulklassen zu Gedenkstätten wie die in Bourdon sowie den schulischen und kulturellen Austausch mit Frankreich weiter aktiv zu fördern.