Das Rheinische Revier verdient eine zukunftsfeste Planung für den Ausstieg aus der Braunkohle!

Entschließungsantrag zur Unterrichtung durch die Landesregierung am 25. März 2021

Portrait Wibke Brems 5-23

I. Ausgangslage

Mit Leitentscheidungen hat die Landesregierung ein wirksames Instrument für die langfristige Steuerung der Braunkohlegewinnung in NRW in der Hand. Insbesondere sollen sie einen ver­lässlichen Rahmen für alle Beteiligten gewährleisten, in dem die Planungen konkretisiert wer­den können. Der Ausstieg aus der Braunkohleförderung ist beschlossen und verändert die Voraussetzungen für die Braunkohlepolitik auch in NRW grundlegend. Alle demokratischen Kräfte in diesem Land sollten ein Interesse daran haben, dass die vierte Leitentscheidung auch die letzte Leitentscheidung bleibt.

Die von der Landesregierung beschlossene vierte Leitentscheidung wird dem Anspruch lang­fristiger Planungssicherheit und Verlässlichkeit nicht gerecht. Diese schwarz-gelbe Leitent­scheidung bedient weiterhin einseitig die Interessen von RWE, auf Kosten der Menschen an den Tagebauen, einem nachhaltigen Strukturwandel sowie Umwelt- und Klimaschutz. Statt klarer Perspektiven und eindeutiger Entscheidungen werden der Region weitere Jahre Unsi­cherheit und Bangen um die Zukunft zugemutet.

Ende Januar zog Minister Pinkwart Bilanz der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Entwurf einer neuen Leitentscheidung, kündigte die Auswertung dieser Stellungnahmen und eine Überar­beitung des Entwurfs der Leitentscheidung an. Die GRÜNE Landtagsfraktion ist beeindruckt, wie viele Menschen und Institutionen sich trotz der Corona-Krise mit umfangreichen Stellung­nahmen beteiligt haben und fundierte Änderungsvorschläge gemacht haben. Die Stellungnah­men bestätigen die Bewertung, dass substanzielle Änderungen an dem Entwurf unvermeidbar waren. Nur so hätte eine Leitentscheidung entstehen können, die den Menschen und Unter­nehmen klare Perspektiven aufzeigt und über Legislaturperioden hinweg Bestand haben könnte. In der nun beschlossenen Form, ist sie schon heute überkommen und wird absehbar die Leitentscheidung mit der kürzesten Geltungsdauer sein. Diese Weigerung, Verantwortung zu übernehmen und klare Entscheidungen zu treffen hilft nur dem Unternehmen, das weitge­hend unverändert die Zerstörung der Region vorantreiben kann. Die nach dem Beteiligungsverfahren vorgenommen Änderungen sind in den Auswirkungen auf die Praxis minimal. Damit wird das Beteiligungsverfahren zur Farce.

Bei Umsetzung der Ergebnisse der Kohlekommission wäre die Umsiedlung und Inanspruch­nahme der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath für den Braunkohleabbau nicht mehr erforderlich. Die Ergebnisse des Gutachtens von BET und EY für das BMWi bestätigen diese Einschätzung. Zudem wird ein Braunkohleausstieg 2038 an­gesichts angehobener EU-Klimaziele nicht zu halten sein und auf spätestens 2030 vorgezogen werden müssen. Eine Leitentscheidung muss diesen Fakten Rechnung tragen, wenn sie Pla­nungssicherheit garantieren soll. Ein Aufschieben der Entscheidung über die Zukunft der Dör­fer bis zum Jahr 2026 ist hingegen ein Beispiel aus der Leitentscheidung für die Verlängerung des Zustandes andauernder Unsicherheit. Diese Entscheidung als Entgegenkommen auf die Menschen in den Dörfern darzustellen, ist blanker Zynismus.

Die Menschen, die für die Braunkohle ihre Heimat verlieren sollen, haben ein Recht darauf, dass die Landesregierung eingehend prüft, ob es nicht auch anders geht. Nicht zuletzt ange­sichts grassierender Arten- und Klimakrise muss die Landesregierung versuchen, möglichst viel Landschaft, Heimat und Natur vor den Braunkohlebaggern zu beschützen. Mit der in der beschlossenen Leitentscheidung ergänzten Auswertung aktueller Studien, als vermeintlicher Nachweis der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit, wird die Landesregierung diesem An­spruch nicht gerecht. Im Ergebnis orientiert sich die Landesregierung einzig an den Studien, die ihre politische Position unterstützen und blendet diejenigen Studien aus, die ein früheres Ende der Braunkohle annehmen. Dabei offenbart sich ein grundlegendes Missverständnis in der Fragestellung: Die Landesregierung muss nicht beantworten, wie lange die Braunkohle-verstromung noch möglich ist, sondern in welchem Umfang und bis wann sie noch notwendig ist. Eine belastbare und nachvollziehbare Herleitung der noch notwendigen der Braunkohle-mengen fehlt auch in der beschlossenen Leitentscheidung allerdings weiterhin. Die Behaup­tung der Landesregierung, eine solche Berechnung wäre unmöglich, überzeugt angesichts diverser vorliegender Studien dazu nicht.

Die fehlende Überprüfung der Notwendigkeit, in welchem Maß die Braunkohle noch gebraucht wird, bleibt ein entscheidendes Versäumnis der Landesregierung bei der Erarbeitung einer neuen Leitentscheidung.

Die einseitige Orientierung am Kohleverstromungsbeendigungsgesetz bleibt falsch. Gutach­ten haben die Verantwortung der Landesregierung und ihre Handlungsspielräume bestätigt (https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/2020-09-24_kurzgutach-ten_tagebau_garzweile_ss_48_roda_verheyen.pdf). Ein Rechtsgutachten im Auftrag der GRÜNEN Bundestagsfraktion kommt zu dem Ergebnis, dass die Bestätigung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II nichtig ist. Der Bundesregierung fehlt es an Gesetzgebungskompetenz, diese Feststellung für einen einzelnen Tagebau treffen zu können. Faktisch orientiert sich die Landesregierung bei­spielsweise im Entscheidungssatz 3 aber weiterhin maßgeblich an dieser Feststellung.

Der Ministerpräsident hat wiederholt eine 1:1-Umsetzung des Ergebnisses der Kohle-Kommis­sion zugesagt, diese Zusage wurde nicht eingehalten. Wie zuletzt eine Studie für Bundeswirt­schaftsminister Peter Altmaier belegt hat: Würde man das Ergebnis der Kohlekommission 1:1 umsetzen und die Kraftwerke nach ihrem Alter kontinuierlich abschalten, müsste deutlich we­niger Braunkohle als im Ausstiegspfad festgelegt, gefördert werden. Die Dörfer im Rheinischen Revier könnten ohne Weiteres erhalten werden. Ministerpräsident Laschet steht daher im Wort, in Verantwortung für die Menschen an den Tagebauen und für den Klimaschutz die ihm

zur Verfügung stehenden landesplanerischen Spielräume zu nutzen. Unnötige Umsiedlungen für die Braunkohle darf es nicht mehr geben.

Eine im Jahr 2021 beschlossene Leitentscheidung, die weitere Umsiedlungen für den Braun­kohleabbau zulässt, kann keinen Bestand haben und wird in kürzester Zeit Makulatur sein. Der Beschluss aus dem Dezember 2020 das EU-Klimaziel für 2030 auf mindestens minus 55 Prozent anzuheben, wird Deutschland zu einer Anhebung der nationalen Klimaziele zwingen und den Druck auf eine frühere Beendigung der Braunkohleverstromung erhöhen. Eine Fort­führung des Abbaus bis zum Jahr 2038 darf als ausgeschlossen gelten. Vielmehr wird es allein durch steigende CO2-Preise im EU-Emissionshandel vermutlich zu einem marktgetriebenen Kohleausstieg bis 2030 kommen (https://static.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2020/2020_10_KNDE/A-EW_192_KNDE_Zusammenfassung_DE_WEB.pdf). Es ist absurd, dass die Kohlekonzerne für diesen Kohle-ausstieg im Schneckentempo von der Bundesregierung auch noch Milliardenentschädigungen erhalten sollen. Auch die EU-Kommission meldete zuletzt Zweifel an der Angemessenheit an, die laufende beihilferechtliche Prüfung könnte dazu führen, dass es neue Verhandlungen mit den Kohlekonzernen geben muss. Die Landesregierung muss diese absehbaren Entwicklung antizipieren und den Braunkohleabbau in NRW spätestens bis 2030 beenden.

Durch das Gebiet des Tagebaus Garzweiler führt auch die Trasse des Ersatzneubaus der Bundesautobahn A61n. Änderungen an der Abbauplanungen haben auch Planungsänderun­gen für diese Trasse zur Folge. Viele Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern zur Leiten­tscheidung beziehen sich ebenfalls auf die Trassenplanung oder fordern den kompletten Ver­zicht des Ersatzneubaus. Dieser ist nur unbedeutend kürzer als die bestehende Trasse über die A44n, die wenige Kilometer weiter östlich verläuft. Angesichts der notwendigen Änderun­gen der Tagebauplanung und der Verkehrswende muss dieses überflüssige Autobahnprojekt gestoppt werden. Die durch RWE dafür eingeplanten Mittel müssen zweckgebunden für den Ausbau des Umweltverbundes eingesetzt werden. Die Landesregierung kündigt in der Leiten­tscheidung an, Gespräche mit der Bundesregierung zur möglichen Alternativen zu den derzei­tigen Planungen der A61n führen zu wollen. Warum diese Gespräche nicht spätestens in den letzten sechs Monaten geführt wurden und eine klare Entscheidung getroffen wurde, ist voll­kommen unverständlich.

Eine zukunftsfähige Leitentscheidung, die tatsächlich langfristige Orientierung und Planungs­sicherheit geben kann, muss nicht nur weitere Umsiedlungen ausschließen. Sie muss einge­stehen, dass ein deutlich früherer Ausstieg aus dem Braunkohleabbau klimapolitisch unaus­weichlich ist und muss dafür Vorsorge treffen, auch wenn dieser nicht gesetzlich beschlossen ist.

Das Dorf Manheim mahnt: Es braucht ein Zerstörungsmoratorium für alle Flächen, bei denen die Notwendigkeit der bergbaulichen Inanspruchnahme nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist. Die Landesregierung muss alle Aktivitäten des Bergbautreibenden und seiner Beauftragen im Vorgriff auf die Zerstörung und Inanspruchnahme der Dörfer durch den Kohleabbau stoppen. Die Landesregierung muss erteilte Betriebsplangenehmigungen widerrufen, um zu verhindern, dass unumkehrbare Fakten geschaffen werden.

Die Landesregierung formuliert die Erwartung an das Unternehmen, ihre Betriebsführung be­reits heute an die Zielstellung der neuen Leitentscheidung auszurichten. Wie wenig sich RWE und die Bergbehörde an eine derart weiche Formulierung gebunden fühlen zeigt die Zulassung des neuen Hauptbetriebsplans für den Tagebau Hambach bis Ende des Jahres 2024 exemp­larisch. Hierin hat RWE die Inanspruchnahme von mehr als 250 Hektar Fläche östlich des Hambacher Waldes allein für die Abraumgewinnung beantragt und von der Bergbehörde genehmigt bekommen. Obwohl bisher nicht geklärt ist, ob der Tagebau nicht auch ohne die Zerstörung dieser Flächen sicher rekultiviert werden könnte. Diese Entscheidung muss revi­diert werden und vor einer Zulassung ein überarbeitetes Massenkonzept für den Tagebau Hambach vorgelegt werden, dass ohne die Zerstörung intakter Flächen auskommt. Das Ziel muss es vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Strukturwandels sein, den weiteren Verlust von Flächen auf ein Minimum zu reduzieren.

Es ist zudem unverständlich, warum die Restflächen des Hambacher Waldes noch immer nicht in öffentlichen Besitz überführt wurden. Nur so kann eine endgültige gesellschaftliche Befrie­dung und eine ökologisch hochwertige Entwicklung als ausgewiesenes FFH-Gebiet ermöglicht werden.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die beschlossene neue Leitentscheidung zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten, um eine zukunftsfeste Leitentscheidung vorlegen zu können, die insbe­sondere folgende Anforderungen erfüllt:
  2. Ausschluss der bergbaulichen Inanspruchnahme weiterer Ortschaften
  3. Untersuchung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler unter Beachtung der Auswirkungen verschärfter EU-Klimaziele auf Restkohlebedarfe
  4. Beendigung des Braunkohleabbaus im Rheinischen Revier bis spätestens 2030
  5. Ausschluss einer Verinselung des Hambacher Waldes durch Abraumgewinnung im Bereich Kerpen-Manheim durch klare grafische Festlegungen des Ta­gebaus Hambach
  6. Verzicht auf den geplanten Bau der A61n nach Beendigung des Braunkohleabbaus. Dazu sind Verhandlungen mit RWE und dem Bund zu einer Umwidmung der Gelder für andere verkehrliche Zwecke aufzunehmen.
  7. ein Moratorium gegen die weitere Zerstörung von Heimat und Natur sowie Flächen mit besonderen Potenzialen für den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu erlassen, indem beispielsweise Abrissgenehmigungen ausgesetzt werden, bis eine höchstrichterliche Entscheidung getroffen wurde;
  8. den Hambacher Wald umgehend in öffentlichen Besitz, z.B. der NRW Stiftung, zu überführen und bei der EU-Kommission als FFH-Gebiet nach zu melden.