Aufruf zur Europawahl 2024: für ein freies und demokratisches Europa!

Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag

Portrait Berivan Aymaz 2021

I. Ausgangslage

Die Europäische Union ist die Grundlage für unsere Freiheit, unseren Frieden und unseren Wohlstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die europäische Einigung unserem Land mehr als ein halbes Jahrhundert Frieden, Freiheit und soziale Sicherheit ermöglicht. Der Landtag würdigt die Gründung der Europäischen Gemeinschaft und die Überwindung des Nationalis­mus als existenzielle Voraussetzung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa. Die Europäische Union ist bis zum heutigen Tag ein Glücksfall, gerade für uns in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen.

Heute sichert der europäische Binnenmarkt hunderttausende Arbeitsplätze für Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. Gerade unsere exportorientierte Wirtschaft und unsere weltoffene Gesellschaft profitieren massiv von der Europäischen Union und ihrem ge­meinsamen Binnenmarkt mit all seinen Vorteilen. Mit den Niederlanden, Belgien und Luxem­burg leben und arbeiten wir in Nordrhein-Westfalen heute in einem gemeinsamen Raum über frühere Grenzen hinweg mit einer gemeinsamen Währung. Mittlerweile verwenden mehr als 340 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger in 20 Ländern den Euro und kommen in den Ge­nuss der damit verbundenen Vorteile. Grenzenlos reisen und arbeiten, telefonieren und surfen wie zu Hause, mit Erasmus+ im EU-Ausland studieren und lebenslange Verbindungen knüp­fen – das und so viel mehr ist nur innerhalb der Europäischen Union möglich. Diese Errungen­schaften und die Stabilität unserer Demokratien sind jedoch herausgefordert wie selten zuvor. Krieg und Terror, Hegemoniestreben autoritärer Akteure, verschärfter internationaler Wettbe­werb und Zuwachs populistischer und rechtsextremistischer Parteien gefährden unsere euro­päische Friedensordnung, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. Gleichzeitig verändert der Klimawandel unsere Umwelt und bedroht damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen.

Vor 45 Jahren fand die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments statt. Diese Wahl wird heute vielfach als „Geburtsstunde des europäischen Parlamentarismus“ bezeichnet. Was als reine Wirtschaftsgemeinschaft begann, ist nun zu einer Organisation geworden, die vom Kli­mawandel über den Umweltschutz und die Gesundheit bis hin zu den Außenbeziehungen und zu Sicherheit, Justiz und Migration zahlreiche Politikfelder abdeckt. Dabei ist die Europäische Union kein europäischer Superstaat, der sich in alle Lebensbereiche der Menschen einmischt, sondern eine starke Einheit, die Aufgaben löst, die die Mitgliedstaaten allein nicht lösen kön­nen. Der Landtag bekennt sich zum Prinzip der Subsidiarität.

Vom 6. bis 9. Juni findet die Europawahl 2024 statt. Die Wahlberechtigten in Nordrhein-West­falen können am 9. Juni ihre Stimmen bei der zehnten Direktwahl zum Europäischen Parla­ment abgeben. Es handelt sich dabei um den umfangreichsten demokratischen Prozess auf unserem Kontinent. Unter den mehr als 400 Millionen wahlberechtigten Menschen werden viele junge Menschen zum ersten Mal ihre demokratischen Rechte ausüben. Auch in Deutsch­land dürfen erstmals 16- und 17-Jährige wählen. In Nordrhein-Westfalen betrifft das ca. 305.000 junge Menschen. Junge Menschen, die am längsten mit den politischen Entscheidun­gen leben werden, gilt es im Besonderen anzusprechen, damit sie von ihrem Wahlrecht bei der diesjährigen Wahl Gebrauch machen. Es sind jedoch alle Wahlberechtigten aufgerufen, sich zu beteiligen, denn die politischen Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, sowie die Existenz der Europäischen Union an sich, haben ganz konkrete Auswirkun­gen auf das Leben der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Um das demokratische Fundament zu stärken, verfolgt die Landesregierung im Vorfeld der Europawahl vielfältige Ansätze, um möglichst viele Menschen für Europa zu begeistern und zu motivieren, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Neben Veranstaltungen in den Landesvertretungen in Berlin und Brüs­sel mit Bezug zur Europawahl, Workshops für Schulklassen und analogen Informations- und Diskussionsangeboten der Landeszentrale für politische Bildung sollen Angebote der politi­schen Bildung auf Social Media verstärkt werden, um gezielt auch junge Menschen anzuspre­chen.

Der europäische Sicherheitsraum ist von innen und außen bedroht. Am 24. Februar 2022 hat Präsident Putin den Krieg zurück nach Europa gebracht. Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine führt uns täglich vor Augen, dass Frieden zerbrechlich ist und die Freiheit verteidigt werden muss. Er ist gleichzeitig auch ein Angriff auf unsere europäischen Werte und dieses freie und demokratische Europa. Die Ukraine verteidigt neben ihrem eigenen Staats­gebiet damit auch die freiheitliche demokratische Werteordnung gegen den Aggressor Putin. Deswegen geht es jetzt mehr denn je darum, Verantwortung zu übernehmen, zusammen zu stehen und die Ukrainerinnen und Ukrainer bei ihrem Kampf für unser Europa zu unterstützen. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine. Um Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand wei­terhin gewährleisten zu können, braucht es mehr denn je eine Europäische Union, die uns allen dient, für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen einen konkreten Mehrwert schafft und auf die globalen Herausforderungen die richtigen Antworten gibt und als geopoliti­scher Akteur handlungsfähig ist. Dieses Europa muss den übrigen Regionen bzw. Staaten der Welt partnerschaftlich und auf Augenhöhe begegnen.

Mit dem Vereinigten Königreich hat erstmals ein langjähriger Mitgliedstaat die Europäische Union verlassen. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) würde ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für Nordrhein-Westfalen einen Einbruch von mehr als fünf Prozent der Wirtschaftsleistung bedeuten und fast 490.000 Arbeitsplätze kosten. Das würde den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen insgesamt hart treffen, vor allem aber die Situation von Menschen mit geringem Einkommen deutlich verschlechtern. Der resultierende Wohlstandsverlust träfe aber alle Menschen in unserem Land. Nordrhein-West­falen profitiert sowohl im Handel als auch in der Industrie deutlich mehr von der Europäischen Union als Deutschland insgesamt. Laut der IW-Studie entfallen in Nordrhein-Westfalen fast 59 Prozent des Handelsvolumens auf die Europäische Union, während es bundesweit etwa 54 Prozent sind. Unter den Waren, die aus Nordrhein-Westfalen in die Europäische Union aus­geführt werden, dominierten Produkte der Chemieindustrie, der Metallindustrie und des Ma­schinen- und Anlagenbaus. Auch der Anteil der Direktinvestitionen von und nach Nordrhein-Westfalen ist im Vergleich viel größer als in Deutschland. Wir profitieren wirtschaftlich von zollfreiem Handel und Fördermitteln der Europäischen Union. Zwischen 2021 und 2027 erhält Nordrhein-Westfalen mindestens 2,5 Milliarden Euro, die zum Beispiel in die vom Strukturwan­del besonders betroffenen Regionen des Ruhrgebietes oder die Entwicklung des ländlichen Raums fließen. Deutschlands und Nordrhein-Westfalens exportorientiertes Wirtschaftsmodell braucht die Europäische Union. Zudem haben die Mitgliedstaaten im Staatenverbund mehr Gewicht, können international Standards setzen. Somit steht für unser Land bei der kommen­den Europawahl viel auf dem Spiel.

Der Landtag beobachtet mit großer Sorge das Erstarken rechtsextremistischer, nationalisti­scher und populistischer Kräfte in den verschiedenen europäischen Staaten, auch in Deutsch­land und in Nordrhein-Westfalen. Desinformationskampagnen nehmen gezielt auch die Men­schen in Europa ins Visier. Rechtsextremisten, Populisten und Nationalisten kämpfen gegen Solidarität, gegen den Zusammenhalt und gegen unsere gemeinsamen europäischen Werte. Statt daran zu arbeiten, dass in der Gesellschaft alle Menschen gleichberechtigt leben, teilha­ben und aktiv mitgestalten können, spalten sie, grenzen gezielt aus, indem sie rassistische und menschenverachtende Positionen verbreiten und versuchen, die Europäische Union zur Projektionsfläche für die Ursache fast aller Probleme zu machen. Die Werte und Errungen­schaften des vereinigten Europas müssen durch eine starke Gemeinschaft verteidigt und fort­geführt werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Landtag, dass hunderttausende Men­schen in Nordrhein-Westfalen bei Protesten für Demokratie und Vielfalt ein deutliches Zeichen gesetzt haben. Es gibt keine vernünftige Alternative zu einer Politik, die auf das Miteinander der Menschen in Europa setzt und eine Einheit in Vielfalt ermöglicht und schützt. Der Landtag erteilt einem Europa des Nationalismus und der Abschottung eine klare Absage. Denn viele aktuelle Herausforderungen und Aufgaben lassen sich nicht national lösen, sondern nur in einem gemeinsamen Zusammenwirken der europäischen Partner. Frieden, Freiheit, Sicher­heit und Wohlstand in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und der Europäischen Union grün­den im besonderen Maße auf dem Zusammenhalt in Europa. Die Zukunft Deutschlands und Nordrhein-Westfalens liegt in einer starken und handlungsfähigen Europäischen Union, die für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte eintritt.

Die Europäische Union lebt aber vor allem auch von den vielen engagierten Menschen, Bür­gerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen, die sich auf vielfältige Weise für ein gemeinsa­mes Europa einsetzen. Dieses Engagement soll weiter unterstützt und gestärkt werden. So werden mit der neuen Landesinitiative „Europa-Schecks“ Vorhaben unterstützt, die sich für Europa und europäische Werte einsetzen, den Europagedanken und seine Werte verbreiten, Wissen über die Europäische Union und ihren Mehrwert vermitteln, den Menschen die unter­schiedlichen Facetten einer lebendigen Demokratie näherbringen und sich gesellschaftlich für Europa in Nordrhein-Westfalen stark machen. Daneben leisten auch zahlreiche parteiüber­greifende Zusammenschlüsse wie die Europa Union oder die Jungen Europäischen Födera­listen einen herausragenden und notwendigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Europäi­schen Gedankens, den es zu würdigen gilt.

Die Europäische Union war von Anfang an ein Friedensprojekt. Sie hat ihren Bürgerinnen und Bürgern Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht. Um den Wesenskern der Eu­ropäischen Union zu erhalten und gegen seine Feinde zu verteidigen, ist die Teilhabe von möglichst vielen Menschen an der Europawahl wichtig. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ermuntert alle Wahlberechtigten in Nordrhein-Westfalen dazu, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und die Demokratie zu stärken.

II. Beschlussfassung

  • Der Landtag begrüßt die erstmalige Möglichkeit, bereits ab einem Alter von 16 Jahren seine Stimme bei den diesjährigen Europawahlen abzugeben und bittet alle wahlberech­tigten Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens, bei der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 zur Wahl zu gehen und das Stimmrecht effektiv zu nutzen.
  • Der Landtag unterstreicht die herausragende Bedeutung der diesjährigen Europawahl für die weitere Entwicklung der Europäischen Union und damit auch der Rolle Nordrhein-Westfalens in der Union sowie die zukünftige Ausgestaltung unseres Zusammenlebens. Es geht um den Erhalt der Stärke Europas, der Stärke der Demokratie und um das Fun­dament unseres Wohlstands. Der Landtag ruft alle Wählerinnen und Wähler auf, mit ihrer Stimme dieses Europa und die Werte, für die es steht, zu bewahren, zu stärken und vor allem gegen Feinde von innen und außen zu verteidigen.
  • Der Landtag unterstützt die Landesregierung und gesellschaftliche Akteure, die sich auf allen Ebenen für ein starkes, vereintes, demokratisches, solidarisches und vielfältiges Europa einsetzen und engagiert dazu beizutragen, dass möglichst viele Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen an der Europawahl am 9. Juni 2024 teilnehmen.
  • Der Landtag begrüßt das Anliegen und Engagement der Landesregierung und gesell­schaftlicher Akteure, mit gezielten Angeboten insbesondere jüngere Menschen in den Blick zu nehmen und für Europa und die Teilnahme an der Europawahl 2024 zu werben.