I. Ausgangslage
Die Europäische Union ist die Grundlage für unsere Freiheit, unseren Frieden und unseren Wohlstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die europäische Einigung unserem Land mehr als ein halbes Jahrhundert Frieden, Freiheit und soziale Sicherheit ermöglicht. Der Landtag würdigt die Gründung der Europäischen Gemeinschaft und die Überwindung des Nationalismus als existenzielle Voraussetzung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa. Die Europäische Union ist bis zum heutigen Tag ein Glücksfall, gerade für uns in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Heute sichert der europäische Binnenmarkt hunderttausende Arbeitsplätze unserem Land. Gerade unsere exportorientierte Wirtschaft und unsere weltoffene Gesellschaft profitieren massiv von der Europäischen Union und ihrem gemeinsamen Binnenmarkt. Mit den Niederlanden, Belgien und Luxemburg leben und arbeiten wir in Nordrhein-Westfalen heute in einem gemeinsamen Raum über frühere Grenzen hinweg mit einer gemeinsamen Währung. Mittlerweile verwenden mehr als 340 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger in 20 Ländern den Euro und kommen in den Genuss der damit verbundenen Vorteile: Grenzenlos reisen und arbeiten, telefonieren und surfen wie zu Hause, mit Erasmus+ im EU-Ausland studieren und lebenslange Verbindungen knüpfen – das und so viel mehr ist nur innerhalb der Europäischen Union möglich.
Diese Errungenschaften und die Stabilität unserer Demokratien sind jedoch herausgefordert wie selten zuvor. Krieg und Terror, die reaktionären Bestrebungen autoritärer Akteure, verschärfter internationaler Wettbewerb und Zuwachs populistischer und rechtsextremistischer Parteien gefährden unsere europäische Friedensordnung, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. Gleichzeitig verändert der Klimawandel unsere Umwelt und bedroht damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen.
Vor 45 Jahren fand die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments statt. Diese Wahl wird heute vielfach als „Geburtsstunde des europäischen Parlamentarismus“ bezeichnet. Was als reine Wirtschaftsgemeinschaft begann, ist zu einer Organisation gewachsen, die vom Klimawandel über den Umweltschutz und die Gesundheit bis hin zu den Außenbeziehungen und zu Sicherheit, Justiz und Migration zahlreiche Politikfelder abdeckt. Dabei ist die Europäische Union kein europäischer Superstaat, der sich in alle Lebensbereiche der Menschen einmischt, sondern eine starke Einheit, die Aufgaben gemeinschaftlich löst, die die Mitgliedstaaten allein nicht lösen können. Der Landtag bekennt sich dabei insbesondere zum Prinzip der Subsidiarität.
Am 9. Juni findet bei uns die Europawahl 2024 statt. Es handelt sich dabei um den umfangreichsten demokratischen Prozess auf unserem Kontinent: Insgesamt sind mehr als 400 Millionen Menschen wahlberechtigt, allein bei uns in NRW können ca. 13,8 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben. Viele von ihnen werden zum ersten Mal ihre demokratischen Rechte ausüben: Auch in Deutschland dürfen erstmals 16- und 17-Jährige wählen. In Nordrhein-Westfalen betrifft das ca. 305.000 junge Menschen.
Junge Menschen, die am längsten von den politischen Entscheidungen betroffen sein werden, gilt es im Besonderen anzusprechen, damit sie von ihrem Wahlrecht bei der diesjährigen Wahl Gebrauch machen. Es sind jedoch alle Wahlberechtigten aufgerufen, sich zu beteiligen, denn die politischen Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, sowie die Existenz der Europäischen Union an sich, haben ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Um das demokratische Fundament zu stärken, verfolgt die Landesregierung im Vorfeld der Europawahl vielfältige Ansätze, um möglichst viele Menschen für Europa zu begeistern und zu motivieren, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Neben Veranstaltungen in den Landesvertretungen in Berlin und Brüssel mit Bezug zur Europawahl, Workshops für Schulklassen und analogen Informations- und Diskussionsangeboten der Landeszentrale für politische Bildung sollen Angebote der politischen Bildung auf Social Media verstärkt werden, um gezielt auch junge Menschen anzusprechen.
Der europäische Sicherheitsraum ist von innen und außen bedroht. Am 24. Februar 2022 hat Präsident Putin den Krieg zurück nach Europa gebracht. Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine führt uns täglich vor Augen, dass Frieden zerbrechlich ist und die Freiheit verteidigt werden muss. Er ist gleichzeitig auch ein Angriff auf unsere europäischen Werte und dieses freie und demokratische Europa. Die Ukraine verteidigt neben ihrem eigenen Staatsgebiet damit auch die freiheitliche demokratische Werteordnung gegen den Aggressor Putin. Deswegen geht es jetzt mehr denn je darum, Verantwortung zu übernehmen, zusammen zu stehen und die Ukrainerinnen und Ukrainer bei ihrem Kampf für unser Europa zu unterstützen. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine. Um Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand weiterhin gewährleisten zu können, braucht es mehr denn je eine Europäische Union, die uns allen dient, für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen einen konkreten Mehrwert schafft und auf die globalen Herausforderungen die richtigen Antworten gibt und als geopolitischer Akteur handlungsfähig ist. Dieses Europa muss den übrigen Regionen bzw. Staaten der Welt partnerschaftlich und auf Augenhöhe begegnen.
Mit dem Vereinigten Königreich hat erstmals ein langjähriger Mitgliedstaat die Europäische Union verlassen. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) würde ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für Nordrhein-Westfalen einen Einbruch von mehr als fünf Prozent der Wirtschaftsleistung bedeuten und fast 490.000 Arbeitsplätze kosten. Das würde den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen insgesamt hart treffen, vor allem aber die Situation von Menschen mit geringem Einkommen deutlich verschlechtern. Der resultierende Wohlstandsverlust träfe aber alle Menschen in unserem Land. Nordrhein-Westfalen profitiert sowohl im Handel als auch in der Industrie deutlich mehr von der Europäischen Union als Deutschland insgesamt. Laut der IW-Studie entfallen in Nordrhein-Westfalen fast 59 Prozent des Handelsvolumens auf die Europäische Union, während es bundesweit etwa 54 Prozent sind. Unter den Waren, die aus Nordrhein-Westfalen in die Europäische Union ausgeführt werden, dominierten Produkte der Chemieindustrie, der Metallindustrie und des Maschinen- und Anlagenbaus. Auch der Anteil der Direktinvestitionen von und nach Nordrhein-Westfalen ist im Vergleich viel größer als in Deutschland. Wir profitieren wirtschaftlich von zollfreiem Handel und Fördermitteln der Europäischen Union. Zwischen 2021 und 2027 erhält
Nordrhein-Westfalen mindestens 2,5 Milliarden Euro, die zum Beispiel in die vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen des Ruhrgebietes oder die Entwicklung des ländlichen Raums fließen. Deutschlands und Nordrhein-Westfalens exportorientiertes Wirtschaftsmodell braucht die Europäische Union. Zudem haben die Mitgliedstaaten im Staatenverbund mehr Gewicht, können international Standards setzen. Somit steht für unser Land bei der kommenden Europawahl viel auf dem Spiel.
Der Landtag beobachtet mit großer Sorge das Erstarken rechtsextremistischer, nationalistischer und populistischer Kräfte in den verschiedenen europäischen Staaten, auch in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Desinformationskampagnen nehmen gezielt auch die Menschen in Europa ins Visier. Rechtsextremisten, Populisten und Nationalisten kämpfen gegen Solidarität, gegen den Zusammenhalt und gegen unsere gemeinsamen europäischen Werte. Statt daran zu arbeiten, dass in der Gesellschaft alle Menschen gleichberechtigt leben, teilhaben und aktiv mitgestalten können, spalten sie, grenzen gezielt aus, indem sie rassistische und menschenverachtende Positionen verbreiten und versuchen, die Europäische Union zur Projektionsfläche für die Ursache fast aller Probleme zu machen. Deshalb verurteilt der Landtag von Nordrhein-Westfalen Sprache, die Hetze, Gewalt und Hass schürt statt Respekt und Wertschätzung im Wettbewerb um Inhalte und Positionen.
Der Hass und die Hetze, die ungefiltert gerade auf junge Menschen einprasseln, senken die Hemmschwelle zu gewaltsamem Handeln, wie zuletzt der schockierende Angriff auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke gezeigt hat. Es waren Jugendliche, zwischen 17 und 18 Jahre alt, die Matthias Ecke krankenhausreif geschlagen haben.
Das zeigt nochmals in aller Dringlichkeit, die Aufgabe aller politischen Akteure und öffentlichen Institutionen in NRW, junge Menschen über soziale Medien, passende Gesprächs- und Veranstaltungsformate abzuholen, zu informieren und die europapolitische Jugend- und Bildungsarbeit insgesamt zu stärken.
Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, aber auch Ehrenamtliche sowie Menschen, die sich für unsere Gesellschaft und Demokratie einsetzen und engagieren, brauchen die volle Rückendeckung des Staates und der Sicherheitsbehörden, damit unsere Demokratie lebendig bleibt.
Die Werte und Errungenschaften des vereinigten Europas müssen durch eine starke Gemeinschaft verteidigt und fortgeführt werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Landtag, dass hunderttausende Menschen in Nordrhein-Westfalen bei Protesten für Demokratie und Vielfalt ein deutliches Zeichen gesetzt haben. Es gibt keine vernünftige Alternative zu einer Politik, die auf das Miteinander der Menschen in Europa setzt und eine Einheit in Vielfalt ermöglicht und schützt. Der Landtag erteilt einem Europa des Nationalismus und der Abschottung eine klare Absage. Denn viele aktuelle Herausforderungen und Aufgaben lassen sich nicht national lösen, sondern nur in einem gemeinsamen Zusammenwirken der europäischen Partner. Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und der Europäischen Union gründen im besonderen Maße auf dem Zusammenhalt in Europa. Die Zukunft Deutschlands und Nordrhein-Westfalens liegt in einer starken und handlungsfähigen Europäischen Union, die für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte eintritt.
Die Europäische Union lebt aber vor allem auch von den vielen engagierten Menschen, Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen, die sich auf vielfältige Weise für ein gemeinsames Europa einsetzen. Dieses Engagement soll weiter unterstützt und gestärkt werden. So werden mit der neuen Landesinitiative „Europa-Schecks“ Vorhaben unterstützt, die sich für Europa und europäische Werte einsetzen, den Europagedanken und seine Werte verbreiten, Wissen über die Europäische Union und ihren Mehrwert vermitteln, den Menschen die unterschiedlichen Facetten einer lebendigen Demokratie näherbringen und sich gesellschaftlich für Europa in Nordrhein-Westfalen stark machen. Daneben leisten auch zahlreiche parteiübergreifende Zusammenschlüsse wie die Europa Union oder die Jungen Europäischen Föderalisten einen herausragenden und notwendigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Europäischen Gedankens, den es zu würdigen gilt.
Die Europäische Union war von Anfang an ein Friedensprojekt. Sie hat ihren Bürgerinnen und Bürgern Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht. Um den Wesenskern der Europäischen Union zu erhalten und gegen seine Feinde zu verteidigen, ist die Teilhabe von möglichst vielen Menschen an der Europawahl wichtig. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ermuntert alle Wahlberechtigten in Nordrhein-Westfalen dazu, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und die Demokratie zu stärken. Dabei bietet der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung, der die Positionen der Parteien zu 38 Thesen mit europapolitischem Bezug darstellt und seit Kurzem online ist, eine gute Orientierung für die Wahlentscheidung dar.
II. Beschlussfassung
- Der Landtag begrüßt die erstmalige Möglichkeit, bereits ab einem Alter von 16 Jahren die eigene Stimme bei den diesjährigen Europawahlen abzugeben und bittet alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens, am 9. Juni 2024 zur Wahl zum Europäischen Parlament zu gehen und ihr Stimmrecht für die Demokratie einzusetzen.
- Der Landtag unterstreicht die herausragende Bedeutung der diesjährigen Europawahl für die weitere Entwicklung der Europäischen Union und damit auch der Rolle Nordrhein-Westfalens in der Union sowie die zukünftige Ausgestaltung unseres Zusammenlebens. Es geht um den Erhalt der Stärke Europas, der Stärke der Demokratie und um das Fundament unseres Wohlstands. Der Landtag ruft alle Wählerinnen und Wähler auf, mit ihrer Stimme dieses Europa und die Werte, für die es steht, zu bewahren, zu stärken und vor allem gegen Feinde von innen und außen zu verteidigen.
- Der Landtag unterstützt die Landesregierung und gesellschaftliche Akteure, die sich auf allen Ebenen für ein starkes, vereintes, demokratisches, solidarisches und vielfältiges Europa einsetzen und engagiert dazu beizutragen, dass möglichst viele Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen an der Europawahl am 9. Juni 2024 teilnehmen.
- Der Landtag begrüßt das Anliegen und Engagement der Landesregierung und gesellschaftlicher Akteure, mit gezielten Angeboten insbesondere jüngere Menschen in den Blick zu nehmen und für Europa und die Teilnahme an der Europawahl 2024 zu werben.