Mit dem Koalitionsvertrag auf Bundesebene ebnete die neue Ampel-Bundesregierung den Weg für einen grundlegenden Paradigmenwechsel in den Themenbereichen Migration und Integration. Damit schafft die Bundesregierung realistische Erleichterungen mit klaren Regeln, die einem modernen Einwanderungsland wie Deutschland gerecht werden. Dazu zählen etwa das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsrecht“ oder die Überarbeitung des § 25a Aufenthaltsgesetz, das zukünftig gut integrierten Jugendlichen im Alter von bis zu 27 Jahren bereits nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland ein Bleiberecht ermöglichen soll.
Einige der Bestimmungen sind in NRW auf Landesebene bereits umgesetzt worden. Dazu zählt der sogenannte Bleiberechtserlass gem. § 25b AufenthG, den Integrationsminister Stamp im März 2019 vorgelegt hatte. Diesen positiven Trend, Personen mit unsicherer Bleibeperspektive Chancen auf ein Bleiberecht zu schaffen, gilt es jetzt, konsequent weiterzuverfolgen.
Das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das die Koalitionspartner auf Bundesebene vereinbart haben, soll Menschen, die bereits mit Stichtag 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und nicht straffällig geworden sind, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe gewähren, um innerhalb eines Jahres die übrigen Notwendigkeiten für ein Bleiberecht zu erfüllen . Damit wird ein effektiver Mechanismus geschaffen, um Kettenduldungen zu unterbrechen und Menschen eine gute Perspektive zu bieten, ein eigenständiges und unabhängiges Leben mit sicherem Aufenthaltsstatus zu führen.
Die Anwendung des „Chancen-Aufenthaltsrechts“ erfordert eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) auf Bundesebene. Bis die Bundesregierung in den kommenden Monaten einen entsprechenden Vorschlag eingereicht hat, ist es möglich und ratsam die Abschiebungen von Personen, die von der Regelung profitieren können, auszusetzen und ihnen und den Ausländerbehörden Rechts- und Planungssicherheit zu gewährleisten. Denn gerade Abschiebungen fordern Betroffenen und Behörden viel ab, besonders dann, wenn die Personen bereits gut im gesellschaftlichen Leben angekommen sind, schon lange hier wohnen, arbeiten oder sich sozial engagieren. Mit der Umsetzung eines Vorgriffserlasses könnte die Landesregierung die Zahl nicht notwendiger Abschiebungen reduzieren und damit auch die Ausländerbehörden stärker entlasten.
Die für Integration zuständigen Landesressorts in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz entschieden sich für diesen Schritt und unterrichteten bereits jetzt ihre Ausländerbehörden über die geplanten Änderungen im Aufenthaltsgesetz. Zudem erließen sie, dass eine Rückpriorisierung von Abschiebungen, die Personen betrifft, die unter die angesprochene Regelung fallen, landesseitig ohne fachaufsichtliche Einwände möglich sind. Damit eröffnen sie den Ausländerbehörden die Möglichkeit, entsprechende Abschiebungen auszusetzen.
Weitere Beispiele für entsprechende Vorgriffsregelungen finden sich auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur Einführung der Beschäftigungsduldung in 2019.
Auch Nordrhein-Westfalen sollte im Hinblick auf das Chancenaufenthaltsrecht proaktiv eine entsprechende Vorgriffsregelung erlassen. Die Ausländerbehörden in NRW könnten sich somit eigeninitiativ auf die neuen Regelungen vorbereiten und würden stärker für ihre zukünftig noch ausgeprägtere Rolle als Integrationsbehörde sensibilisiert. Zudem leben in NRW noch weit über 60.000 (64.701) Personen mit einer Duldung, sodass davon auszugehen ist, dass gerade in NRW die neue Regelung einen großen Effekt auf die Lebenssituation dieser Menschen hat.
I. Der Landtag stellt fest:
Die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Erleichterungen im Bleiberecht schaffen die Bedingungen für ein modernes Einwanderungs- und Integrationsrecht. Gerade Personen, die mittlerweile ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind, brauchen eine sichere Bleibeper-spektive. Die geplanten Bestimmungen auf Bundesebene betreffen gerade hier in NRW viele Menschen und schaffen ihnen Sicherheit. Die Landesregierung muss diesen Prozess daher schon jetzt anstoßen und proaktiv mitgestalten.
II. Der Landtag beschließt:
Die Landesregierung wird daher aufgefordert,
- dem Beispiel der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zu folgen und einen Vorgriffserlass zu verfassen, der
- Ausländerbehörden über die geplante Regelung zum Chancen-Aufenthaltsrecht informiert und
- ihnen die Möglichkeit einräumt Betroffene für Rückführungen rückzupriorisieren, wenn sie für das geplante Chancenaufenthaltsrecht infrage kommen, ohne dass die Behörden fachaufsichtliche Konsequenzen fürchten müssen.
- auf der Homepage des MKFFI aktiv und mehrsprachig über die neuen Regelungen zu informieren.