Abrissmoratorium für Garzweiler-Dörfer jetzt – das Rheinische Revier braucht eine zukunftsfeste Leitentscheidung!

Antrag der GRÜNEN in Landtag

Portrait Wibke Brems 5-23

I.       Ausgangslage

Anfang Juli dieses Jahres hat der Bundestag die Gesetze zum Kohleausstieg und zur Unterstützung des Strukturwandels in den besonders betroffenen Regionen beschlossen. Seit der Vorlage der Ergebnisse der Kohlekommission sind damit eineinhalb Jahre vergangen. Die Festlegungen zum Kohleausstieg auf Bundesebene erfordern die Anpassung von planerischen Festlegungen auf allen Ebenen von einer Leitentscheidung über Braunkohlepläne bis zu genehmigten Betriebsplänen. Um Rechts- und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu erhalten, ist der Zeitdruck für diese Anpassungen hoch. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass vom Bergbautreibenden Tatsachen geschaffen werden, die gegen später beschlossene Planungen oder Genehmigungen stehen. Die Interessen der Menschen in den Umsiedlungsdörfern und rund um die Tagebaue und von Umwelt- und Naturschutz verdienen die Berücksichtigung der Landesregierung. Auch vor dem Hintergrund der Optimierung von Strukturwandelpotenzialen gilt es, die vorzeitige und unnötige Flächeninanspruchnahme zu verhindern.
Wir als GRÜNE Landtagsfraktion haben die Landesregierung bereits Anfang Oktober 2018 mit dem Antrag „Gesellschaftlichen Konsens zum Kohleausstieg ernst nehmen: Rodungsmoratorium und neue Leitentscheidung jetzt!“ (Drucksache 17/3791) und in der Folge wiederholt aufgefordert, eine neue Leitentscheidung vorzubereiten, die im Einklang mit den Klimazielen steht. Mit einer vorausschauenden Vorbereitung hätte die Landesregierung in den vergangenen fast zwei Jahren eine gründliche Prüfung nicht nur der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit bestimmter Abbaumengen im Spannungsfeld mit klimapolitischen Zielsetzungen, sondern auch aller weiteren offenen Fragen im Zusammenhang mit der geordneten Beendigung des Braunkohleabbaus im Rheinischen Revier vornehmen können. Auch hätte sie einen transparenten und breiten Beteiligungsprozess aufsetzen können, um die Akzeptanz für diese vierte Leitentscheidung zu erhöhen. Denn nur wenn Rahmensetzungen der Landesregierung für die Menschen in der Region nachvollziehbar und akzeptabel sind, besteht die Chance, dass die jetzt getroffene Leitentscheidung tatsächlich bis zum Ende des Braunkohlentagebaus Bestand haben wird.
Mit Verweis zunächst auf ausstehende Ergebnisse der Kohlekommission, dann auf ausstehende bundesgesetzliche Grundlagen für den Kohleausstieg hat die Landesregierung unsere Forderungen bis Anfang dieses Jahres wiederholt abgelehnt. Eine Konsequenz daraus ist schon heute absehbar: Ein Beschluss wie geplant noch in diesem Jahr dürfte kaum mehr möglich sein, die Verunsicherung in der Region wird länger andauern als notwendig.
Mit dem Antrag „Ergebnisse der Kohlekommission umgehend umsetzen – Landesregierung muss Klarheit für alle Beteiligten schaffen!“ (Drucksache 17/5050) hat die GRÜNE Landtagsfraktion die Landesregierung zudem bereits im Februar 2019 und in der Folge wiederholt aufgefordert, die ungebremste, in vielen Fällen sogar beschleunigte Zerstörung von Heimat, Natur und Infrastruktur durch RWE zu stoppen. Es kann nicht sein, dass Häuser und Kirchen abgerissen, Bäume gefällt und Straßen zerstört werden, bevor endgültig klar ist, dass es für den Fortgang der Tagebaue unbedingt notwendig ist.
Als direkte Konsequenz des Nichtstuns der Landesregierung ist in der Zwischenzeit ein Großteil des Ortes Merzenich-Morschenich durch RWE zerstört worden, unter den Augen der Landesregierung. Obwohl früh klar war, dass dieser Ort bei einem Erhalt des Hambacher Waldes vom Tagebau verschont bleiben wird. So etwas darf sich nicht wiederholen, darum dürfen Abrissarbeiten in Zukunft nur noch in Orten erfolgen, in denen tatsächlich niemand mehr lebt und deren Zerstörung endgültig entschieden ist. Ein weiteres Beispiel ist der Rückbau der L277, der aktuell von intensiven Protesten begleitet stattfindet, schließlich ist es angesichts noch anstehender Gerichtsverfahren mehr als fraglich, ob der Tagebau noch jemals diese Linie überschreiten wird.
Es ist unverantwortlich, dass die Landesregierung hier ihrer Verpflichtung dem Allgemeinwohl gegenüber nicht nachkommt und stattdessen nach den Interessen eines einzelnen Unternehmens handelt. Die obigen Beispiele zeigen, dass die Landesregierung nicht länger abwarten darf, sondern endlich ein Moratorium gegen die weitere Zerstörung von Heimat und Infrastruktur erlassen muss. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster vom 5. Oktober 2018 zum Rodungsstopp im Hambacher Wald sollte der Landesregierung Mahnung sein. Eine Landesregierung darf unangenehme Entscheidungen nicht den Gerichten überlassen, sondern muss die ihr übertragene Verantwortung bereit sein zu tragen und Entscheidungen auch gegen die Interessen von RWE treffen und durchsetzen.
Eine zukunftsfeste Leitentscheidung erfordert mehr als Copy-and-Paste
Die neue Leitentscheidung muss sich auf das gesamte Rheinische Revier beziehen, denn es sind Festlegungen zu allen drei Tagebauen notwendig. Diese Festlegungen werden einerseits durch die auf Bundesebene getroffenen Beschlüsse zum Kohleausstieg notwendig. Andererseits ist eine Überprüfung der Leitentscheidung aufgrund weiterer energiewirtschaftlicher und klimapolitischer Entwicklungen seit Erarbeitung der letzten Leitentscheidung notwendig. So heißt es in der Leitentscheidung von 2016: „Die heutige, der Genehmigung zugrundeliegende energiewirtschaftliche Einschätzung stellt eine Grundannahme dar, deren wesentliche Änderungen unzweifelhaft zu einer Planüberprüfung führen.“ Diese wesentlichen Änderungen haben sich seitdem ergeben und somit müsste die Landesregierung eine eingehende Überprüfung der Annahmen, die zur Leitentscheidung im Jahr 2016 geführt haben, vornehmen.
So ist die Stromerzeugung aus den Braunkohlekraftwerken im Rheinischen Revier zwischen 2016 und 2019 um mehr als 30 Prozent gesunken, während der Anteil Erneuerbarer an der Bruttostromproduktion im selben Zeitraum von etwa 29 Prozent auf etwa 40 Prozent gestiegen ist. Maßgebliche Gründe dafür waren die steigende Produktion von Strom aus Erneuerbaren Energien, niedrige Erdgaspreise und stark gestiegene Preise für Emissionszertifikate im europäischen CO2-Emissionshandel.
Aufgrund der getroffenen klima- und energiepolitischen Zielsetzungen, wie einem Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung im Jahr 2030 von 65 Prozent, dürfte die Auslastung der Braunkohlekraftwerke, trotz Atomausstiegs und steigendem Stromverbrauch, auch in den kommenden Jahren weiter zurück gehen. Nicht zuletzt das Pariser Klimaabkommen und daraus folgende, anstehende Zielverschärfungen auf europäischer Ebene, werden weitere Zielverschärfungen im Energie- und Klimabereich auch auf Bundesebene notwendig machen.
Daraus wird sich zwangsläufig nicht nur eine geringere Auslastung der Braunkohlekraftwerke in ihrer Restlaufzeit, sondern auch eine Vorverlegung des geplanten Ausstiegsdatums Ende des Jahres 2038 ergeben. Klimapolitisch vertretbar wäre nur noch eine Verstromung von maximal 300 Millionen Tonnen Braunkohle, RWE plant jedoch auch mit dem Kohleausstiegsgesetz noch etwa 900 Millionen Tonnen bis 2038 zu fördern. Daran zeigt sich, dass dieses Gesetz klimapolitisch nicht ambitioniert genug ist und wesentliche Empfehlungen der Kohlekommission in puncto Klimaschutz und Sozialverträglichkeit nicht umsetzt.
Eine Leitentscheidung im Jahr 2020 darf sich demnach nicht nur am Kohleausstiegsgesetz orientieren, sondern muss im Einklang mit völkerrechtlich verbindlichen klimapolitischen Zielsetzungen stehen, um dauerhaft Bestand haben zu können.
Die Landesregierung hat dafür gesorgt, dass die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II im Kohleausstiegsgesetz festgestellt wurde und verweigert mit Verweis darauf eine notwendige, eigene Überprüfung. Wir als GRÜNE Landtagsfraktion erwarten vor diesem Hintergrund ein unabhängiges Gutachten der energiewirtschaftlich notwendigen und klimapolitisch vertretbaren Restfördermengen. Ohne ein solches Mengengerüst fehlt weiteren Umsiedlungen jegliche Legitimität. Auf Basis bisher veröffentlichter Studien sind wir als GRÜNE Landtagsfraktion davon überzeugt, dass ein Erhalt aller noch zur Zerstörung vorgesehen Ortschaften mit einem aus Kohleausstieg, der die klimapolitischen Notwendigkeiten anerkennt, möglich wäre. Es ist an der Landesregierung, dafür die politischen Entscheidungen zu treffen und planerischen Grundlagen zu schaffen. Es ist beschämend, dass die Landesregierung den versprochenen Dialog mit den Menschen in den Umsiedlungsdörfern auch nach fast zwei Jahren nicht wie versprochen aufgenommen hat. Die Landesregierung ist es diesen Menschen schuldig, transparent zu begründen, warum eine Zerstörung ihrer Dörfer für den Tagebau alternativlos sein soll, warum beispielsweise nicht vornehmlich unbesiedelte Flächen in Anspruch genommen werden können.
Für den Erfolg des Strukturwandels im Rheinischen Revier ist der Erhalt und die Nutzbarkeit von Flächen. Es ist daher ein zentraler Aspekt einer neuen Leitentscheidung, dass diese die Grundlage für eine Tagebauplanung inklusive Abraumgewinnung unter Schonung besiedelter Bereiche und wertvoller Flächen legt. Dazu gehört auch, ein möglichst schnelle Rekultivierung inklusive der Befüllung der Restseen beispielsweise durch eine Verringerung der bisher geplanten Seetiefen.
Außer Frage steht für uns, dass die Leitentscheidung eine detaillierte Untersuchung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des weiteren Braunkohleabbaus insbesondere im Tagebau Garzweiler II enthalten muss. Ein bloßer Verweis auf die Feststellung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit im Kohleausstiegsgesetz wäre aus unserer Sicht vollkommen unzureichend. Denn auch der Bundesgesetzgeber begründet nur oberflächlich, warum er zu dieser Feststellung gekommen ist. Vielmehr verweist er maßgeblich auf die Festlegungen in der Leitentscheidung aus dem Jahr 2016, deren Grundannahmen sich aber, wie oben dargestellt, maßgeblich geändert haben. Daher ist eine erneute, umfassende Prüfung zwangsläufig notwendig.
Spätestens wenn es in Gerichtsverfahren um die Rechtmäßigkeit von Enteignungen geht, dürfte die mangelnde Darstellung der Notwendigkeit des Braunkohletagebaus die Planungssicherheit nicht nur der von Umsiedlungen bedrohten Menschen, sondern auch des Unternehmens gefährden. Denn das Bundesverfassungsgericht stellte schon 2013 fest: „Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits.“ (Leitsatz Nr. 3 im Urteil zu – 1 BvR 3139/08 – und – 1 BvR 3386/08 -)
Erklärtes Ziel der Landesregierung ist es, insbesondere in der Region Akzeptanz sowohl für die Festlegungen zum Kohleausstieg als auch für die Gestaltung des Strukturwandels zu er- langen. Um eine Akzeptanz für die mit der Leitentscheidung umzusetzenden Festlegungen zum Kohleausstieg erreichen zu können, ist ein breiter und transparenter Beteiligungsprozess unabdingbar. Dies bedeutet nicht nur, die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme, sondern u.a. eine transparente Darstellung warum wie mit welchen Anregungen umgegangen wurde.
Nicht zuletzt muss eine neue Leitentscheidung bestehende Ökosysteme besonders schützen und eine Vernetzung ermöglichen. Dazu gehört u.a., den Hambacher Wald langfristig vor der bergbaulichen Inanspruchnahme schützen, indem er schnellstmöglich in öffentlichen Besitz überführt wird. Darüber hinaus muss die Landesregierung sicherstellen, dass die Schaffung eines großflächigen Biotopverbundsystems im Rheinischen Revier ermöglicht wird, in das der Hambacher Wald sinnvoll eingebunden werden kann. Neben der Braunkohle gilt es hier auch andere flächenintensive Nutzungen wie den Abbau nicht-energetischer Rohstoffe in den Blick zu nehmen und die Ökosysteme vor diesen zu schützen.

II.      Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.      ein Moratorium gegen die weitere Zerstörung von Heimat und Natur sowie Flächen mit besonderen Potenzialen für den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu erlassen, indem beispielsweise Abrissgenehmigungen ausgesetzt werden, bis eine höchstrichterliche Entscheidung getroffen wurde;
2.      ein unabhängiges Gutachten zu energiewirtschaftlich notwendigen und klimapolitisch verantwortbaren Restkohlebedarfen vorzulegen;
3.      die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler im Zuge der Anpassung der Leitentscheidung entsprechend Landesplanungsgesetz und Landesentwicklungsplan detailliert zu untersuchen;
4.      zu prüfen, wie die im Kraftwerk Weisweiler nicht mehr benötigten Kohlemengen aus dem Tagebau Inden in anderen Kraftwerken im Rheinischen Revier genutzt werden können;
5.      den Erhalt aller noch zur Zerstörung vorgesehenen Ortschaften in der neuen Leitentscheidung sicherzustellen;
6.      über detaillierte grafische Festlegungen in der Leitentscheidung eine Verinselung des Hambacher Waldes auszuschließen und stattdessen eine Biotopvernetzung des Hambacher Waldes mit umliegenden Waldökosystemen sicherzustellen, indem den RWE-Planungen für die Gewinnung von Abraum im Bereich Kerpen-Manheim eine klare Absage erteilt wird;
7.      den Hambacher Wald umgehend in öffentlichen Besitz, z.B. der NRW Stiftung, zu überführen.