Mit den Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ist nun am 10. April 2025 auch der letzte Baustein für die Umsetzung der Reform des Straßenverkehrsrechts in Kraft getreten. Die VwV-StVO legen für die kommunalen Straßenverkehrsbehörden verbindlich fest, wie diese Änderungen in der Praxis rechtssicher umgesetzt werden sollen. Die Änderungen betreffen u.a. die Regelungen zu Fußgängerüberwegen, Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen oder zur Einrichtung von Flächen für Fuß- und Radverkehr.
Der Reformprozess im Straßenverkehrsrecht ist damit vorläufig abgeschlossen, für den sich sehr viele Kommunen, insbesondere aber auch NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz in Zusammenarbeit mit den Grünen Bundestags- und Landtagsabgeordneten stark eingesetzt haben. Schließlich mussten dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), der Straßenverkehrsordnung (StVO) und jetzt den VwV-StVO (hier auch als Synopse) nicht nur das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium und der Bundestag zustimmen, sondern auch der Bundesrat. Wir Grüne hätten uns noch mehr gewünscht, trotzdem bringt die Reform einige wichtige Verbesserungen. Dazu hatten wir Euch bereits im Sommer 2024 in einem Kommunalinfo und einem Webinar informiert.
Hier geben wir Euch einen Überblick über die wichtigsten Änderungen der Verwaltungsvorschriften im Zusammenhang mit dem Straßenverkehrsgesetz und der Straßenverkehrsordnung:
Fußgängerüberwege (§26)
Die Vorschrift, dass Fußgängerüberwege (ugs. „Zebrastreifen”) generell nicht auf Straßen mit einer Grünen Welle angelegt werden dürfen, wurde etwas abgeschwächt („Auch eine eingerichtete Grüne Welle kann dagegensprechen, einen Fußgängerüberweg anzulegen.”).
Die verkehrlichen Voraussetzungen zur Anlage von Fußgängerüberwegen wurden gestrichen, d.h. es ist für die Einrichtung eines Fußgängerüberwegs nicht mehr unbedingt eine Situation erforderlich, dass ohne diesen die Fußgänger*innen nicht sicher über die Straße kommen. Also: Es muss keine Gefahrenlage mehr vorliegen. Die Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ) gilt weiterhin, allerdings ist in den VwV StVO klargestellt, dass die dort vorgegebenen verkehrlichen Voraussetzungen, die oft vor Ort für Diskussionen sorgen, als rechtlich unverbindliche Empfehlungen zu erachten sind. Also: Auch außerhalb der in den R-FGÜ enthaltenen Verkehrsstärken können Fußgängerüberwege eingerichtet werden.
Neu ist, dass Fußgängerüberwege behindertengerecht auszugestalten sind.
Die Straßenverkehrsbehörden und Straßenbaulastträger müssen dafür sorgen, dass Fußgängerüberwege gut beleuchtet sind und die baulichen Vorgaben der R-FGÜ hierzu ggfs. durch eine Anordnung von entsprechenden Lampen eingehalten werden.
Allgemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen (§§39 bis 43)
Die Leichtigkeit (statt bisher Flüssigkeit) des Verkehrs ist für alle Verkehrsarten zu erhalten. Damit gilt diese Zielsetzung eben nicht mehr nur für den motorisierten Verkehr, sondern auch für Rad- und Fußverkehr. Dabei hat die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen weiterhin Vorrang vor der Leichtigkeit, insbesondere sind dabei nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer*innen und Menschen mit Behinderungen besonders zu berücksichtigen. Dies ist eine äußerst bedeutende Änderung, die den bisherigen Vorrang des Autoverkehrs zurücknimmt und die Verkehrssicherheit insbesondere für schwächere Verkehrsteilnehmer*innen betont.
Ladebereich (Zeichen 230)
Das neue Zeichen 230 Ladebereich kann dort angebracht werden, wo damit zu rechnen ist, dass Transport- und Kurierdienste ihre Fahrzeuge in zweiter Reihe oder auf Rad-/Gehwegen unzulässigerweise abstellen. Der Ladebereich kann zeitlich beschränkt und entsprechend markiert werden.
Beginn und Ende einer Fahrradstraße (Zeichen 244.1 und 244.2)
Fahrradstraßen (Zeichen 244.1 und 244.2) können wie bisher aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßen-(Rad-)Verkehrs angeordnet werden, wo es bereits viele Radfahrende gibt oder wo zukünftig mit vielen zu rechnen ist, wenn die Fahrradstraße eingerichtet wurde; außerdem auf Straßen mit lediglich untergeordneter Bedeutung für den Kraftverkehr.
Hinzu kommt jetzt eine neue Kategorie, nämlich dass Fahrradstraßen nicht aus formalen Sicherheitsgründen angeordnet werden, sondern allein auf Basis von entsprechenden Konzepten (s. dazu auch unten zu § 45). Diese Anordnungen können auf einem verkehrsplanerischen Gesamtkonzept (oder auch nur auf einem Radverkehrsplan) beruhen, aus dem sich ableitet, dass die anzuordnende Maßnahme zum Umwelt-, einschließlich Klimaschutz, zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung oder zum Gesundheitsschutz beiträgt. In Fahrradstraßen sollen außer Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge wie z.B. E-Scooter möglichst keine Kraftfahrzeuge fahren und wenn, dann nur ausnahmsweise. Dies gilt ebenso für die Einrichtung von Fahrradzonen. Damit wurden die Voraussetzungen für die Einrichtung von Fahrradstraßen noch einmal deutlich abgesenkt.
Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245)
Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245) können angeordnet werden, um den ÖPNV gegenüber dem Individualverkehr zu fördern. Bisherige Vorgaben wie z.B. das Verhältnis von beförderten Personen und Individualverkehr auf staureichen Straßen, die Prüfung anderer verkehrsregelnder Maßnahmen zur Verlagerung von Verkehren, zwingende zeitliche Beschränkungen oder eine Mindestzahl von Bussen pro Stunde wurden gestrichen. Die Einrichtung von Busspuren wird also mit den Änderungen deutlich erleichtert. Zur Erprobung dürfen Bussonderfahrstreifen auch für E-Fahrzeuge, Carsharing-Fahrzeuge, mehrfachbesetzte Personenwagen oder besondere Mobilitätsformen freigegeben werden.
Zulässige Höchstgeschwindigkeit (Zeichen 274)
Die Aufzählung an Einrichtungen innerhalb geschlossener Ortschaften, die unmittelbar an einer Straße liegen und an denen in der Regel auf Tempo 30 beschränkt werden soll, ist gemäß StVO um Spielplätze und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen (z.B. Wohnheime, Werkstätten etc.) ergänzt worden. Dies gilt auch für klassifizierte Straßen (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) sowie weitere Vorfahrtstraßen. Nur im Fall, dass Tempo 30 negative Auswirkungen auf den ÖPNV hat oder eine Verlagerung des Verkehrs in Wohnstraßen zu befürchten ist, kann auf eine Absenkung der Geschwindigkeit verzichtet werden.
Ganz neu sind die Formulierungen zu Tempo 30 an hochfrequentierten Schulwegen. Auch hier ist in der Regel jetzt auf Tempo 30 zu beschränken, insbesondere auch auf klassifizierten Straßen und Vorfahrtsstraßen innerhalb geschlossener Ortschaften. Hochfrequentierte Schulwege werden so definiert, dass Straßenabschnitte eine Bündelungswirkung hinsichtlich der Wege zwischen Wohngebieten und allgemeinbildenden Schulen haben oder im Zusammenhang mit der Nutzung des ÖPNV stehen. Bei der Anordnung von Tempo 30 muss die Lage begründet dargelegt werden oder sich aus Schulwegplänen ergeben, die von der jeweiligen Schule und der zuständigen Straßenverkehrsbehörde sowie ggfs. Polizei und Straßenbaubehörde erarbeitet wurden.
Neu ist auch, dass im unmittelbaren Bereich von Fußgängerüberwegen Tempo 30 angeordnet werden kann, auch auf klassifizierten Straßen und Vorfahrtstraßen. Die Beschränkung auf Tempo 30 ist insbesondere dann wichtig, wenn Sichtbeziehungen schwierig sind oder ein vorhandener Fußgängerüberweg regelmäßig von Autofahrenden ignoriert wird. Die Anordnung ist auf 300 Meter zu begrenzen und beide Fahrrichtungen müssen nicht gleichbehandelt werden.
Liegen zwei Straßenabschnitte mit Geschwindigkeitsbeschränkung weniger als 500 Meter (vorher waren es nur 300 Meter) auseinander, so dürfen diese verbunden werden. Das steht schon so in der geänderten StVO. Somit verbessert sich die Möglichkeit, über längere Strecken Geschwindigkeitsbeschränkungen anzuordnen. Der Schilderwald kann etwas gelichtet werden und häufige Geschwindigkeitswechsel der Fahrzeuge mit entsprechenden Emissionen können reduziert werden.
Verkehrsberuhigter Bereich (Zeichen 325.1 und 325.2)
Es wird klargestellt, dass auch verkehrsberuhigte Bereiche (ugs. “Spielstraßen”) unter den neuen § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 7b fallen, was in Kombination mit § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO im Klartext heißt: Es ist weder eine einfache noch eine qualifizierte Gefahrenlage erforderlich. Also auch verkehrsberuhigte Bereiche können ohne Gefahrenlage angeordnet werden.
Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen (§ 45)
Eine wesentliche Änderung im Straßenverkehrsrecht wird hier näher ausgeführt. Bisher war es so, dass für regelnde Verkehrszeichen aller Art nach § 45 Abs. 9 StVO entweder eine qualifizierte oder mindestens eine einfache Gefahrenlage vorliegen musste. Dies gilt so nun nicht mehr. Denn § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 StVO sagt aus, dass Straßenverkehrsbehörden
„zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt ist und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird, hinsichtlich
- a) der Einrichtung von Sonderfahrstreifen und bevorrechtigenden Lichtzeichenregelungen für Linienbusse und
b) der Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr”
Anordnungen treffen können. Und diese Anordnungen sind gemäß § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO ausdrücklich von der Bedingung befreit, dass irgendeine Gefahrenlage vorliegen muss.
Die neue VwV-StVO führt nun im Detail aus, wie diese neue Vorschrift zu „leben” ist. Hier die wichtigsten Punkte:
- Anordnungen auf dieser Basis sollen auf einem verkehrsplanerischen Gesamtkonzept beruhen, das auch auf einzelne Verkehrsarten beschränkt sein kann.
- In dem Gesamtkonzept soll sich ableiten lassen, wie die beabsichtigten Maßnahmen zum Umwelt-/Klimaschutz und zu einer geordneten städtebaulichen Entwicklung beitragen. Dabei reicht es aus, wenn mit diesem Konzept eine Verkehrsverlagerung auf ÖPNV und Nahmobilität bzw. mit städtebaulichen Zielen begründet werden kann. Auch Bebauungspläne und informelle Planungen wie Quartierskonzepte sind Anordnungsgrundlagen.
- Die Leichtigkeit des Verkehrs ist in der Entscheidung in die Abwägung einzubeziehen. Wichtig: Es geht um den Verkehr insgesamt, und Nachteile für einzelne Verkehrsarten wie den Kfz-Verkehr können gerechtfertigt sein.
- Im Einzelfall können Anordnungen auch ohne Konzept erfolgen, wobei dann im Einzelfall wieder sehr aufwändige Nachweise zu erbringen sind.
- Als Flächen für den Fuß- und Radverkehr gelten Radfahrstreifen, Schutzstreifen, Fahrradstraßen, Fahrradzonen, verkehrsberuhigte Bereiche, Fußgängerzonen und z.B. auch Fußgängerüberwege.
- Angemessen sind die Flächen, wenn ihre Maße technischen Regelwerken entsprechen. Diese finden sich z.B. in den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) oder den Empfehlungen für Fußverkehrsveranlagen (EFA).
Ebenso wurden hier die Formulierungen zum Bewohnerparken ergänzt. Mit der Reform des Straßenverkehrsrechts ist es nun auch möglich, Bewohnerparkgebiete nicht erst dann auszuweisen, wenn es bereits einen Parkraummangel gibt, sondern auch, wenn er zukünftig anzunehmen ist. Die VwV-StVO führen dazu nun auch näher aus, wie das Verfahren und die Anforderungen aussehen.
Falls Ihr Fragen habt, könnt Ihr Euch gerne an mein Büro oder an unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin für Verkehr, Bettina Tull, wenden.