Sigrid Beer: Pluspunkt Bildung Februar 2022

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freund*innen,

in diesen Stunden und Tagen bewegt uns der brutale Überfall auf die Ukraine.

Der Wahnsinn des Kriegs ist real in Europa. Willentlich nimmt der Aggressor Wladimir Putin Blutvergießen, Leid und Flucht in Kauf. Das Völkerrecht wird mit Füßen getreten. Wir erleben, wie sich offensichtlich ein Staat einverleibt werden soll. Gerade Familien sind auf der Flucht.

Kinder und Jugendliche erleben drastisch eine weitere Verunsicherung, nach der für sie immer noch einschneidenden Pandemie.

„Infektionsschutz und psychische Gesundheit für Kinder und Jugendliche müssen in der Pandemie nicht konträr, sondern gemeinsam gedacht und optimal gefördert werden! Hohe Pandemiedynamik macht psychosozialen Stress, je länger psychosozialer Stress andauert, desto mehr macht er psychisch und körperlich krank.“ Das formuliert das breit von Fachverbänden getragene Expert*innenpapier.

Die sich ausweitende Krisenerfahrung und Konfrontation mit Krisen, das Verarbeiten der Nachrichten und der Austausch darüber brauchen Zeit und Raum in den Schulen.

Kinder und Jugendliche werden ggf. familiäre Kontakte in die Kriegsregion haben.

Es muss Leistungsdruck herausgenommen werden, die Schulen müssen die Möglichkeit zum Aussetzen von Stundentafeln haben, Unterstützungsnetzwerke müssen ausgebaut werden, um psycho-soziale Hilfen anbieten zu können.

Auch der Expertenrat der Bundesregierung beschäftigt sich eingehend und differenziert mit der Situation der Kinder und Jugendlichen (siehe Stellungnahme). Nicht nur Corona mahnt uns, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen endlich ernst zu nehmen und Gesundheit nicht gegen Bildung auszuspielen. Beides gehört untrennbar zusammen.

Und damit geht es auch weiter in der notwendigen schulpolitischen Auseinandersetzung.

Es bleibt dabei. Das Verlässliche in der Schulpolitik der schwarz-gelben Landesregierung ist die Verunsicherung, für die die Schulministerin sorgt.

Der Infektionsschutz wird weiter herunter gefahren und in der Schulwelt der FDP gibt es Schüler*innen, die besonders geschützt werden müssen, offenbar nur in Förderschulen. So ignoriert diese Landesregierung mal wieder Kinder im Gemeinsamen Lernen und Kinder aus Schattenfamilien, die also z.B. wegen Vorerkrankungen im engen Umfeld besonders vorsichtig sein müssen.

Wirkliche Unterstützung für die Schulen, die in der Corona-Pandemie längst am Limit arbeiten – weiterhin Fehlanzeige. Schulleitungen bekommen jetzt zwar eine Supervision oder ein Coaching, aber keine zusätzlichen Lehrkräfte. Zusätzliche Stellen werden erst für die Zukunft versprochen. Statt das Problem von Grund auf anzugehen, betreibt Frau Gebauer wieder nur Mangelverwaltung und redet sich die Lage in den Schulen schön

Mit dem aktuellen Newsletter gebe ich einen Überblick über die letzten Debatten im Landtag.

 

Inhalt:

  • Lehrermangel: Numerus Clausus Debatte soll vom Versagen ablenken
  • Chance vertan – das 16. Schulrechtsänderungsgesetz enttäuscht auf breiter Linie
  • Webschool-Antrag
  • Gutachten Digitalunterricht
  • Termine
  • Zum guten Schluss

Lehrermangel: Numerus Clausus Debatte soll vom Versagen ablenken

Schulministerin Gebauer lud zu einer Pressekonferenz und verkündete ihren Ansatz, um Lehrermangel zu bekämpfen. Sie will den Numerus clausus für das Lehramt senken. Was als Befreiungsschlag wohl gedacht war, erntete Kopfschütteln und Verärgerung. Er zeugt einerseits von peinlicher Unkenntnis. Denn der Numerus clausus wird nicht einfach von der Landesregierung festgesetzt. CDU und FDP waren es, die die Möglichkeit von Rahmenvorgaben und das Instrument des Landeshochschulentwicklungsplans aus dem Hochschulgesetz gestrichen haben. Strategische Ziele aus der Sicht des Landes z.B. in der Lehramtsausbildung wären mit diesen Instrumenten zu unterstützen gewesen. Aber natürlich auch mit Ressourcen u.a. für die Studienkapazitäten. Mehr Professuren, wissenschaftlichem Mittelbau, Räumen, Prüfungskapazitäten, aber z.B. auch Stärkung der Fachdidaktiken.

Die Mühe, ihre Idee mit Ressourcen zu hinterlegen, hat sich die Schulministerin aber erst gar nicht gemacht .

Schon in der zu Ende gehenden Legislatur hat dieses Defizit in den Abstimmungsprozessen der Ressorts und langwierigen Verhandlungen mit den Universitäten dazu geführt, dass die verkündeten neuen Studienplätze (die alle zu begrüßen sind) viel zu langsam in die Umsetzung gekommen sind. die letzten Vereinbarungen kamen erst im Frühjahr 2021 zustande. Und dann  dauert es sieben Jahre, bis die Lehrkräfte auch ausgebildet sind.

Ärgerlich wird der Vorstoß aber vor allem dadurch dass er das Nichthandeln an anderer Stelle verschleiern soll. Das Versprechen die Besoldung in der Grundschule und in der SEK I auf A 13 anzuheben, ist gebrochen worden.

Und selbst die versprochene Entlastung für Lehrkräfte durch Schulverwaltungsassistenz bleibt faktisch aus. Zwar wurden Stellen geschaffen, aber sie blieben zu 85% unbesetzt. Das nicht verausgabte Geld fließt zurück an den Finanzminister. So waren es gerade in der zusätzlich herausfordernden Pandemie in den Jahren 2020/2021 fast eine halbe Milliarde €, die an den Finanzminister zurückgeflossen sind.

Wir hatten zu diesem Vorstoß der Ministerin eine Aktuelle Stunde im Plenum beantragt. Hier meine Rede dazu.

Chance vertan – das 16. Schulrechtsänderungsgesetz enttäuscht auf breiter Linie

Die Landesregierung hat zum Ende der Wahlperiode einen Entwurf für das 16. Schulrechtsänderungsgesetz (16.SchRÄG) vorgelegt. Sie hat es als „Schulfreiheitsgesetz“ gefeiert und wollte damit ein Wahlversprechen einlösen. Doch bei näherem Hinsehen zeigte sich  vor allem Substanzlosigkeit. Nicht nur die Enttäuschung war groß, auch Kritik und Ärger wurden dokumentiert. So haben nicht nur die Kommunalen Spitzenverbände beklagt, dass bei den großen Themen Digitalisierung und Ganztag notwendige Klarstellungen unterbleiben. Die im Bund beschlossene Ganztagsgarantie ab 2026 erfordert jetzt endlich klare Rahmenvorgaben hinsichtlich Qualität und Kompetenzen. Davon findet sich im 16.SchRÄG nichts.

Ein großes Versäumnis ist, dass Schwarz-Gelb digitale Endgeräte wie Tablets nicht in die Lernmittelfreiheit einbezieht und nicht auf die von den Eltern zu zahlenden Anteile wie bei Schulbüchern anrechnet (siehe auch das Rechtsgutachten weiter unten). Trotz allen Selbstlobs bei der Digitalisierung schreibt die Landesregierung zudem weiterhin keine Standards fest, was Schüler*innen sowie die Eltern an digitalen Lernangeboten in Schulen erwarten dürfen. Die Verantwortung für den Datenschutz bei allen Anwendungen lädt Schwarz-Gelb weiter bei der Schulleitung ab, obwohl diese komplexe Aufgabe nicht alleine zu bewältigen ist.

Schulleitungsverbände und Gewerkschaften beklagen, dass das Versprechen von Gestaltungsfreiheit nicht hinterlegt wird. Wirkliche pädagogische Freiheiten, was die Formen der Leistungserbringung und Prüfungsformate sowie Leistungsbewertung angeht, enthält die Schulministerin den Schulen weiterhin vor. Dabei wäre das nicht nur zeitgemäß, sondern angesichts der Pandemielage noch dringender geboten. Der Gesetzentwurf bleibt weit hinter dem Modellprojekt Selbständige Schule von 2001 zurück, bei dem es zum Beispiel auch Personalbudgets für Schulen gab. Deshalb lautete ein Fachartikel zum 16.SchRÄG im Titel „Chance vertan“.

Die Elternvertretungen werden wieder bitter enttäuscht. In den Räten sind sie weiterhin nur optional vertreten und bleiben auf das Wohlwollen der Kommunalpolitik vor Ort angewiesen. Zudem versucht Ministerin Gebauer, das Elternwahlrecht durch eine zwingende Beratung durch die ausgewählte Schule beim Übergang in die weiterführenden Schulen einzuschränken, wenn es eine Abweichung von der Schulformempfehlung gibt. Das schafft vor allem den Gymnasien Möglichkeiten, Schüler*innen indirekt ,abzulehnen‘, obwohl ihre Fördermöglichkeiten durch ein zusätzliches Schuljahr erweitert worden sind.

Dass die Schule für Kranke ohne Einbindung der Betroffenen auf den Begriff der ,Klinikschule‘ reduziert werden soll, löst nur Kopfschütteln aus. Die Expertise dieser Lehrkräfte gerade auch für die Reintegration der Schülerinnen und Schüler in die Heimatschulen und den Hausunterricht wird von der Ministerin grandios verkannt. Einmal mehr agiert sie an den Schulen vorbei. Von den Fachverbänden gab es den Vorschlag der Bezeichnung „Schule für Pädagogik bei Krankheit“. Wir haben versucht mit den Koalitionsfraktionen gemeinsame Änderungen zu erreichen, doch blieb die Koalition stur (siehe unten).

Beim Parlamentarischen Gutachterdienst habe ich ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass zum Ergebnis kommt, dass der Gesetzentwurf  verfassungsmäßig zu beanstanden ist, weil der Ausstattungsanspruch mit digitalen Endgeräten von Schüler*innen, die mit ihrem Familien im Sozialleistungsbezug stehen, nicht geregelt ist (siehe auch weiter unten). Wir haben deshalb die Landesregierung aufgefordert, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und zu überarbeiten. In einem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der SPD haben wir unsere Kritikpunkte nochmals benannt. Hier die Rede von Sigrid Beer.

Webschool-Antrag

Die Corona-Pandemie hat die Defizite in der schulischen Digitalisierung und der gleichberechtigten Teilhabe aller Schüler`*innen am Unterricht offen gelegt. Vor allem bei den zuvor schon benachteiligten Gruppen haben sich die Bildungsungerechtigkeiten verschärft. Die Erfahrungen in der Pandemie bieten aber auch eine Chance, denn sie haben eine veränderte Sicht und einen neuen Umgang mit digitalen Formaten ermöglicht. An dieser Stelle gilt es anzusetzen und diese Möglichkeiten im Sinne der betroffenen Kinder und ihrer Familien zu nutzen. Dies ist unser Ziel, das wir durch einen Antrag angestoßen haben und nach einer sehr guten Anhörung gemeinsam mit der SPD mit einem Änderungsantrag erweitert haben. Es geht um ein staatliches Online-Schulangebot.

Die von uns geforderte staatliche Online-Schule soll flexibel und ohne großen bürokratischen Aufwand für die erkrankten Kinder von Nutzen sein. Diese Webschool soll die bereits bestehenden Möglichkeiten des Fernunterrichts aufgreifen und um neue Aspekte erweitern. Damit schließt sie eine bestehende Lücke im Schulsystem. Die Anhörung mit Sachverständigen und  betroffenen Eltern zu unserem Antrag hat dies eindrücklich gezeigt. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Schüler*innen am Unterricht ist dabei unser Ziel.

Bei der staatlichen Webschool soll es sich nicht um ein reines Online-Format handeln. Wichtig und zielführender ist vielmehr eine Lösung, die die Heimatschulen stärkt und unterstützt, gleichzeitig aber Strukturen für notwendige Distanzangebote als zusätzliche Bildungschance und Gewährleistung von Bildung ausgebaut werden. So lässt sich eine optimale Kombination von Distanz- und Präsenzphasen erreichen, die veränderbar sind und sich damit auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler*innen anpassen lassen. Eine staatliche Online-Schule kann als Gelenkstelle fungieren, die die Reintegration über professionelle Teams koordiniert. Dazu gehört auch eine enge psychosoziale Begleitung der Kinder sowie eine Zusammenarbeit von Pädagogik, Psychologie und Medizin. Langfristig erkrankte Schüler*innen sollen die vielfältigen Lerninhalte nicht selbstständig erarbeiten müssen, sondern mit der notwendigen personellen Unterstützung hinreichend auf die Prüfungsanforderungen vorbereitet werden. Auch die benötigten digitalen Ressourcen müssen bereitgestellt werden. Damit kann eine Chancenungleichheit für die Schüler*innen vermieden werden.

Die Rückführung in die Schule ist ein zentraler Punkt für die Schüler*innen und ein wesentlicher Grundpfeiler für die Errichtung einer staatlichen Online-Schule. Ein schulisches Eingliederungsmanagement sollte aus schulfachlicher Perspektive beleuchtet und hierfür unter einem gesetzlichen Dach auf den Weg gebracht werden. Das Schulgesetz muss ausgeschärft werden, um eine Kultur des Erlaubtseins entstehen zu lassen. Leider wollen die regierungstragenden Fraktionen von CDU und FDP diesen Weg nicht mit uns gemeinsam gehen: Unser Antrag ist im Plenum abgelehnt worden. Gleichwohl hat Schulministerin Gebauer nun auf unsere Initiative hin selbst ein entsprechendes schulisches Angebot gefordert. Das zeigt, wie wichtig unsere Initiative ist. Bleibt zu hoffen, dass das Schulministerium hier keine leeren Versprechungen macht. Wir bleiben an dem Thema dran.

Gutachten Digitalunterricht

Die Corona-Pandemie hat Digitalisierungsprozesse auch mit Blick auf unsere Schulen notwendig gemacht und beschleunigt. Schon lange fordern wir GRÜNEN hierfür die Bereitstellung entsprechender Möglichkeiten und Verfahren. Die Landesregierung hat bislang zu wenig zum Schutz der Rechte von Schüler*innen getan. Die Schulen werden bei Fragen zu digitalem Unterricht alleine gelassen. Dabei macht die Bedeutung der Digitalisierung in allen gesellschaftlichen Prozessen und der individuellen Lebensgestaltung deutlich, dass es um die staatliche Verantwortung und Daseinsfürsorge geht, die umfängliche Teilhabe und alle Anstrengungen unternimmt, um digitale Souveränität zu sichern. Denn digitale Souveränität und Datenschutz sind Schlüsselbegriffe mit Bezug zu selbstbestimmtem Handeln und Entscheiden im digitalen Raum. Gerade in einem sensiblen Bereich wie dem der Schulen ist eine klare Definition der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit von besonderer Bedeutung. Die Landesregierung muss endlich klare Regelungen schaffen, die digital gestützten Schulunterricht rechtlich sicher ermöglichen.

Das von mir in Auftrag gegebenes Gutachten zum Thema „Rechtliche Anforderungen an den digitalen (Distanz-)Unterricht von Schulen“ zeigt nun, wieviel hierbei noch zu tun ist.

Der von der Landesregierung vorgelegte und nun beschlossene Gesetzentwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz hat laut Gutachten deutliche Mängel. Denn die Einführung eines digitalen Unterrichtsangebots führt bei der technischen Ausstattung zu einer finanziellen Mehrbelastung, die Schüler*innen aus einkommensschwachen Familien trifft. Weder wird die erforderliche Hardware in die Lernmittelfreiheit einbezogen, noch wird eine eventuelle Ausstattungspflicht der Eltern rechtlich geklärt, nach der die Eltern ihrem Kind eine Grundausstattung finanzieren müssen (geregelt in § 41 Abs. 1 S. 2 SchulG NRW), um einen regulären Schulbesuch zu ermöglichen. Es muss zudem laut Gutachter sichergestellt sein, dass den Eltern die Anschaffung entsprechender digitaler Geräte und die Bereitstellung des notwendigen Internetanschlusses überhaupt zumutbar ist. All dies fängt das 16. Schulrechtsänderungsgesetz nicht auf. Die technische Ausstattung ist demnach nicht verfassungskonform geregelt. Damit ist das Recht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Bildungsangeboten mit dem Gesetz also nicht gesichert. Außerdem sind die Regelungen des Gesetzentwurfs im Hinblick auf die genaue Umsetzung des Unterrichts und die damit verbundenen Zuständigkeiten präzisierungsbedürftig.

Die bisherige mangelhafte Rechtslage muss dringend erweitert werden, denn die bisherigen Regelungen verfehlen die grundlegenden Anforderungen für das Lernen und den Bildungsanspruch aller Schüler*innen. Die Landesregierung hat mit ihrem unzureichenden Schulrechtsänderungsgesetz eine Chance vertan.

Zum guten Schluss

Denkanstöße und Filmtipps: #WildesSystem

#wissenschaftskommunikation #schule #besser
Prof. Dr. Ferdi Stebner im Gespräch mit …

z.B. Schulleiter Volker Franken (Evang. Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck) im Tiefkeller der Zeche Schlägel & Eisen in Herten: https://www.youtube.com/watch?v=A7E2JhcbN2Q

Oder … ein Film zu individueller Förderung an der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck:  https://youtu.be/zQ25a98pO_M