Sigrid Beer: „Eine Ausweitung von Studienplätzen ohne zusätzliches Personal senkt die Ausbildungsqualität“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Schulpolitik

Der Antrag

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Tagesordnungspunkt müssen wir gleich anschließen an das, was Minister Stamp gestern hier im Plenum gesagt hat. Das war schon der herzige Versuch, die Bilanz der Schulministerin in eine beschönigende Erzählung einzukleiden und davon abzulenken, dass die Ministerin ihr Versprechen gebrochen hat, dass sie es nicht hinbekommen hat, dass sie es versäumt hat, wirksame Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um gerade dem Lehrermangel in der Grundschule und darüber hinaus zu begegnen.

Es wäre nämlich schön, wenn die Ministerin ihre Hausaufgaben umfänglich erledigt hätte. Das ist aber nicht so.

(Marcel Hafke [FDP]: Schön, wenn die Grünen mal ihre Hausaufgaben machen würden!)

Dafür versucht sie aktuell, nicht alle Zahlen auf den Tisch zu legen. Die Ministerin redet von 5.000 nicht besetzten Stellen für Lehrkräfte, aber es sind fast 8.000 Stellen, die nicht besetzt sind. Es zählen nämlich auch die Stellen in multiprofessionellen Teams mit, es zählen auch die Schulverwaltungsassistenzen mit, die nicht besetzt sind. Deswegen kann Entlastung nicht passieren, deswegen kann die Unterstützung der Schulen nicht passieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Grundschulen hängen zurzeit als Zeichen der tiefen Erschöpfung und der Kapitulation vor dieser Schulpolitik weiße Tücher aus den Fenstern. Bis heute keine Reaktion der Ministerin auf diesen Protest! Ich weiß, dass sich viele weiterführende Schulen diesen Protesten anschließen.

Da kommt die Ministerin jetzt wenige Tage vor der Wahl mit der Abschaffung des NC für Lehrämter um die Ecke.

(Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])

Das ist zwar gar nicht ihr Beritt, macht aber nichts. Aber es ist typisch für Ihre Politik und entlarvend, denn dieser Vorstoß hat keine Substanz, Frau Ministerin. Der ist auch mit nichts unterlegt. Nada, niente, das ist das Resultat Ihres Vorschlags.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn an zusätzliche Kapazitäten an den Universitäten ist offenbar nicht gedacht. Die müssten nämlich finanziert werden, Frau Ministerin: Professuren, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Räume, Prüfungskapazitäten.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ja!)

Eine Ausweitung von Studienplätzen ohne zusätzliches Personal senkt die Ausbildungsqualität. Aber darum scheint es sowieso nicht zu gehen, denn der FDP-Staatssekretär hat ja der Ministerin sekundiert – ich zitiere –: „Das Wissenschaftsministerium muss klären, ob die teilweise sehr hohen Anforderungen erforderlich sind.“

Das schwebt der FDP offensichtlich als Konzept vor, damit nicht so viele Studierende abbrechen. Nicht bessere Betreuung im Studium, vorbereitende Assessments, Beratung, Tutoring, Stärkung der Zentren für Lehramtsausbildung, Stärkung der Fachdidaktiken – nein, runter mit den Anforderungen. Das ist ein sehr schlichtes Konzept, Frau Ministerin,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und der einer Bildungsministerin unwürdig. Oder soll eine neue Begründung vorbereitet werden, warum A13 nicht gezahlt werden soll? Was kommt als Nächstes? Runter mit den Anforderungen, runter mit der Studienzeit? – Kein Schelm, der Böses dabei denkt.

Ach, da fällt mir übrigens noch etwas ein. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Ministerin sich dagegen verwahrt hat, dass Lehramtsstudierende aus Niedersachsen hier ihr Referendariat anfangen, weil Leistungspunkte fehlen. Was ist denn nun, Frau Ministerin? Da mussten Sie auch schon zurückrudern, weil das der Situation in Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht angemessen ist, weil Sie offensichtlich kein Bild von der Lage in den Schulen haben,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

und weil das absolut konzeptlose Maßnahmen sind. Dieser Schlingerkurs muss beendet werden, denn so sieht Schulpolitik á la Gebauer aus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und jetzt der nächste zum Scheitern verurteilte Versuch – und es ist doch nicht mehr als der Versuch, einen Befreiungsschlag zu landen, denn Sie stehen doch sehr unter Druck. Der Versuch landet gründlich im Leeren, Frau Ministerin, das war ja noch nicht einmal Luftgitarrenqualität, was Sie hier vorgelegt haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Habe ich gar nicht!)

Dabei hätten Sie längst etwas tun können, nämlich das, was Sie schon im Oktober 2017 versprochen haben: A13 als gleiche Eingangsbesoldung auch für die Grundschulen und die Sek I. Und was ist passiert? Das gleiche Muster: Nada, niente, nichts ist passiert. Sie haben Ihr Versprechen schlicht gebrochen.

Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt, in verbindlichen Absprachen mit den Lehrergewerkschaften in einem Stufenplan dafür zu sorgen, dass auch die, die schon lange im Dienst sind, in dieser Legislatur in die Besoldungserhöhung einbezogen werden und dass dieser Ausbau dann auch bis in diesem Jahr abgeschlossen ist. Das haben Sie abgelehnt. Sie haben nichts dafür getan, gerade auch in den herausfordernden Standorten Unterrichtsverpflichtungen in der Grundschule abzusenken. Das würde nämlich die Tätigkeit an den Grundschulen dort attraktiv machen. Gleiche Bezahlung und verbesserte Rahmenbedingungen – das wäre auch ein Ansatz, um Teilzeitkräfte dafür zu gewinnen, Stunden aufzustocken,

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

denn die Teilzeitquote ist in Grundschulen enorm hoch. Kreativ neu denken – zugegeben, keine Disziplin, die Sie pflegen –, darum muss es gehen.

Wenn ich Teilzeitkräfte gewinnen will, dann muss es zum Beispiel in unmittelbarer Nähe der Schule Betreuungskapazitäten, flexible Kinderbetreuung geben. Der Gedanke von Klaus Klemm, sogenannte Betriebskindergartenplätze zu etablieren, ist genau richtig. Aber in der Phase der höchsten Belastung in der Pandemie haben Sie in den Haushaltsjahren 2020/21 als verantwortliche Ministerin annähernd eine halbe Milliarde Euro an den Finanzminister zurückfließen lassen. Es bleibt dabei: Das größte Sparschwein für den Finanzminister steht im Büro der Schulministerin, und das ist schon ein Skandal.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das Geld wäre besser dafür genutzt worden, die Attraktivität des Berufs gerade in den Grundschulen und in der Sek I zu steigern: durch Besoldungserhöhung, durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.

Sie haben die Vorschläge schnöde abgetan, mit den Hochschulen über eine systematische Unterstützung der Schulen durch Lehramtsstudierende in der Pandemie zu reden. Das hätten Sie auf den Weg bringen müssen. Wie wichtig wäre das für Schülerinnen, für die Schulen, für das Lernen in kleinen Gruppen, gerade auch im Distanzunterricht. Wichtig wäre es übrigens auch für die Studierenden, deren schulpraktische Ausbildung betroffen war und ist, und es wären sinnvolle Jobs möglich gewesen. Sie haben es nicht für nötig befunden, Sie haben es ausgesessen, statt zu handeln.

Und jetzt kommen Sie mit der Aufhebung des NC – ein Vorschlag ohne Substanz. Dabei sage ich auch: Zusätzliche Studienplätze sind gut, aber die müssen schon mit Ressourcen hinterlegt sein.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ah!)

Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Sie Ihre Verhandlungen über zusätzliche Studienplätze mit den Hochschulen überhaupt abgeschlossen haben – bis ins letzte Jahr? Wir wissen doch, wie lange es bei dieser Frage, neue Ressourcen zu gewinnen, gedauert hat.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Sie haben es zwanzigmal verkündet, aber nicht auf den Weg gebracht!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Daniela Beihl [FDP])

Bis zum letzten Frühjahr hat es gedauert, bis Sie die Vereinbarung mit den Hochschulen hinbekommen haben. Das ist Fehlsteuerung. Sie müssen nicht nur Überschriften setzen, Sie müssen auch substanzielle Politik drunterpacken, und das haben Sie bislang nicht geleistet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Brockes [FDP]: Das sagt die Richtige!)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön. – Frau Präsidentin! Herr Kollege Optendrenk, ich war jetzt kurz versucht, nach draußen zu gehen, um zu gucken, wo die Mengen sind, die „Hosianna“ und „Halleluja“ rufen, wie Sie den öffentlichen Dienst hier behandeln.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von der SPD)

Ich habe sie leider nicht gefunden.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich habe sie auch nicht in den Beratungen des Haushalts- und Finanzausschusses gefunden.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Ich habe sie nicht in den Beratungen des Unterausschusses Personal gefunden. Was Sie hier machen, das ist doch Realitätsverweigerung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Lachen von Dietmar Brockes [FDP] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Offensichtlich wollen Sie von diesem Versagen ablenken,

(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist peinlich, Frau Beer!)

genauso wie die Frau Ministerin.

Da wir heute offensichtlich bei Geschichtsstunden sind, müssen wir doch einer kleinen Legendenbildung entgegentreten. Ich mache das mal nur an einem Punkt fest,

(Dietmar Brockes [FDP]: Ja!)

nämlich an den 6.300 Stellen. Frau Ministerin, Sie wissen doch sehr genau,

(Dietmar Brockes [FDP]: Leider können Sie Herrn Dr. Optendrenk nicht ganz folgen!)

dass diese Stellen im Haushalt auch im Rahmen der Zuwanderung aufgestockt worden sind und dass sowohl der damalige Finanzminister, Norbert Walter-Borjans, als auch Sylvia Löhrmann gesagt haben: Das ist jetzt notwendig, und wenn sie weiter notwendig sein werden, dann werden sie im System bleiben. Wenn wir mehr brauchen, dann bauen wir aus, und wenn wir weniger brauchen, reden wir darüber. – Das war die Botschaft im Rahmen der Zuwanderung.

Gleichzeitig hat der Kollege Witzel hier in den Haushaltsberatungen gefordert, 700 Millionen Euro im Personalhaushalt einzusparen. Das wären 14.000 Lehrerstellen gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – André Stinka [SPD]: Oh!)

Sie haben danebengesessen und machen jetzt hier eine solche Inszenierung. Bitte bleiben wir doch bei der Realität; schauen Sie sich die Plenarprotokolle an.

Wir diskutieren heute über eine Idee ohne Substanz. Das ist doch genau der Punkt. Sie scheinen sich noch nicht mal mit der Kollegin Beihl – wissenschaftspolitische Sprecherin der FDP – verständigt zu haben. Oder doch? – Frau Beihl, darf ich Sie daran erinnern, dass nicht der Staat NC-Plätze verordnet, sondern dass die Hochschulen das Ganze aufgrund der Studienkapazitäten festlegen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist genau der Fehler in der Debatte. Sie machen einen Vorschlag ohne Substanz.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Hat sie auch nicht gesagt! – Zurufe von Daniela Beihl [FDP] und Josef Hovenjürgen [CDU])

– Das hilft nicht, Frau Müller-Rech. Gucken Sie sich die Rede Ihrer Kollegin an. Das war schon ein bisschen unterkomplex, was da in diesen Zusammenhängen geboten worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Brockes [FDP]: Das sagt die Richtige!)

Wenn man solche Vorschläge macht, dann muss man sie unterfüttern,

(Dietmar Brockes [FDP]: „Unterkomplex“ sagt die Richtige!)

genauso wie wir das, Frau Ministerin, mit den Hochschulvereinbarungen gemacht haben, die in der Tat bis 2017/18 gültig waren. Sie haben nicht nachgelegt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wir haben mehrfach im Wissenschaftsausschuss nachgefragt, wo die neuen Vereinbarungen bleiben, weil wir das Prozedere ganz genau kennen. Aber sie sind nicht gekommen. Die letzten Hochschulvereinbarungen sind im Frühjahr 2021 für Studienplätze getroffen worden, die dann erst zur Verfügung standen.

Wenn wir gemeinsam der Meinung sind, wir brauchen zusätzliche Studienplatzkapazitäten, dann muss man das unterlegen, und dann kann das in diesem Parlament gemeinsam gelingen, aber nicht mit dieser Art von Verweigerungspolitik. Sie werfen Nebelkerzen und hauen ein paar Wochen vor Ende der Legislaturperiode etwas raus, was nicht mit Substanz unterlegt wird. Das ist der Vorwurf, der Sie leider in vielen Bereichen trifft.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Genau das ist heute Morgen hier vorgetragen worden. Das alles können Sie in der Beantwortung von Kleinen Anfragen usw. schön nachlesen. Aber das wissen Sie eigentlich sehr genau.

Wie sehr Sie mit dem Rücken zur Wand stehen, Frau Ministerin, hat man gerade an Ihrem Redebeitrag bemerkt.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Es kam wieder kein Wort zu den weißen Tüchern der Grundschulen. Was sagen Sie denn endlich mal den Kolleginnen und Kollegen, die vor Ihrer Schulpolitik kapitulieren und die im Erschöpfungsmodus sind?

(Dietmar Brockes [FDP]: Die Tücher müssten grün sein!)

– Sorry, Herr Brockes. Das hat es vorher nicht gegeben. Das ist ein einmaliger Vorgang in Nordrhein-Westfalen,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Brockes [FDP]: Ja, ja! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

und dazu wird noch nicht mal Stellung genommen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Was ist mit dem Versprechen, das Bodo Löttgen gegeben hat? Was ist mit dem Versprechen vom Oktober 2017, das die Ministerin gegeben hat?

(Sven Wolf [SPD]: Das war ein Versprecher!)

Es ist ja richtig – das muss zur Aufrichtigkeit gesagt werden –: Vor der Wahl war die FDP auf den Podien nicht dabei und hat erklärt, sie wolle A13 umsetzen. Das hat dann die Ministerin hinterher gemacht – unter dem Druck, vielleicht auch aus der Erkenntnis heraus. Sie kann nur aus unterschiedlichen Gründen nicht liefern:

Erstens. Es war vielleicht keine Priorität.

Zweitens. Es ist mit dem Finanzminister nicht abgestimmt worden.

Wie auch immer, noch nicht mal einen Stufenplan haben Sie hingelegt, um deutlich zu machen, dass Sie diesen Weg verbindlich gehen.

Ja, das ist eine finanzielle Herausforderung, auch mit den Pensionsrückstellungen. Aber Sie haben seit 2017 nichts dafür getan, überhaupt nichts. Lenken Sie nicht von dem Versagen in Ihrer Regierungszeit ab. Es sind fünf Jahre rum,

(Beifall von den GRÜNEN)

und wir reden über das, was Sie geliefert haben und was Sie nicht geliefert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei sind die Ablenkungsversuche, die Sie heute Morgen wieder probiert haben, höchst untauglich. Die werden Ihnen auch in den nächsten drei Monaten im Wahlkampf nicht helfen, da bin ich mir sicher.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. –

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