NRW handelt nach dem Terrorangriff in Solingen – das Maßnahmenpaket zu Sicherheit, Migration und Prävention

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Wibke Brems 5-23

Liebe Freundinnen und Freunde,

der islamistische Terroranschlag von Solingen ist eine Zäsur. Am 23. August wurden drei Menschen ermordet und acht Menschen teils schwer verletzt. Das lässt uns alle nicht los. Die Berichte von Augenzeug*innen und Helfer*innen sind erschütternd.

Expert*innen gehen davon aus, dass wir angesichts der deutlichen Zunahme von verübten und vereitelten Anschlägen in Europa vor einer neuen islamistischen Terrorwelle stehen. Dazu gehören die Anschläge von Solingen, Mannheim und München sowie der vereitelte Anschlag auf das Taylor Swift-Konzert in Wien oder die Anschlagspläne auf den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom Ende vergangenen Jahres. Wir Demokrat*innen müssen alles dafür tun, um diese Terrorwelle zu brechen.

Der Islamismus bedroht unsere offene und vielfältige Gesellschaft. Wir gehen als schwarz-grüne Koalition deshalb entschlossen gegen den Islamismus vor.

Aufarbeitung und Beantwortung der Fragen zum Solinger Terroranschlag
Die Landesregierung und die Ermittlungsbehörden arbeiten mit großem Einsatz daran, die Motive und Radikalisierung des mutmaßlichen Attentäters von Solingen sowie seine nicht gelungene Rücküberstellung nach Bulgarien gemäß der europäischen Dublin-III-Verordnung zu rekonstruieren. Unsere Grüne Ministerin Josefine Paul hat den Weg des Asylverfahrens des Solinger Täters intensiv nachzeichnen können und bereits landesseitige Verbesserungen der Rückführungsverfahren eingeleitet.

Wir haben uns als Grüne Landtagsfraktion kurz nach dem Anschlag gemeinsam mit der CDU-Fraktion entschieden, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, um einen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten. Angesichts der großen Bedeutung, sollten alle Demokrat*innen zusammenarbeiten. Über die Ausgestaltung des Untersuchungsausschusses sprechen wir daher gerade intensiv mit der demokratischen Opposition aus SPD und FDP.

Als schwarz-grüne Koalition halten wir unsere Versprechen. Wir klären auf und wir ziehen Konsequenzen, um mehr Sicherheit für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. An diesem Dienstag hat die Landesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket mit den Schwerpunkten Sicherheit, Migration und Prävention beschlossen. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat den Landtag darüber an diesem Mittwoch unterrichtet.

Die drei Säulen Sicherheit, Migration und Prävention im Überblick:

Stärkung der Inneren Sicherheit
Wir stehen aktuell vor einer neuen Bedrohungslage durch den Islamismus. Gleichzeitig bleibt die Bedrohung für unsere Demokratie durch den Rechtsextremismus weiterhin hoch. Der sogenannte Islamische Staat ruft wieder vermehrt zu Anschlägen in Europa auf und instrumentalisiert den Krieg in Gaza infolge des terroristischen Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zur Mobilisierung. Diese veränderte Gefährdungslage zeigt, wie wichtig es ist, dass die Behörden aktuelle Entwicklungen und Veränderungen besser in ihre Analysen einbeziehen. Deshalb ist im Maßnahmenpaket die Einrichtung einer „Koordinierungsstelle Radikalisierungsforschung“ verabredet, die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zielgerichtet an die betreffenden Stellen weiterleitet.

Islamistische Radikalisierung findet heute in erster Linie in den sozialen Medien statt. Deshalb muss sich die Arbeit der Sicherheitsbehörden auf die Entwicklung islamistischer Terrorgruppen einstellen. Die Sicherheitsbehörden werden den digitalen Raum zukünftig stärker mit virtuellen Ermittler*innen bestreifen.

Verschlüsselte Kommunikation in Messangerdiensten ist wichtig und die informationelle Selbstbestimmung hat zu Recht Verfassungsrang. Aber auch Terroristen nutzen verschlüsselte Kommunikation für ihre Planungen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, dass der Verfassungsschutz NRW analog zum Bund die Möglichkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung erhalten wird, um laufende Kommunikation anlassbezogen und unter engen rechtlichen Voraussetzungen mitlesen zu können. Damit bringen wir die Sicherheitsbehörden auf die Höhe der Zeit. Zugleich werden wir die Kontrolle des Verfassungsschutzes stärken, denn ein wichtiger Grundsatz in unserem Rechtsstaat ist, dass Grundrechtseingriffe durch die Sicherheitsbehörden einer strengen Kontrolle unterliegen.

Beschleunigung von Asylverfahren
Die öffentliche Diskussion nach dem Anschlag in Solingen und die Verengung auf die Migrationspolitik ist unterkomplex und gefährlich. Ein Generalverdacht gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen ist diskriminierend und es ist auch sicherheitspolitisch fahrlässig, die Terrorismusgefahr allein auf Geflüchtete zu beschränken. Rechtsextreme versuchen längst den Anschlag in Solingen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diesem Hass stellen wir uns entschieden entgegen.

Wir stehen weiterhin zum Grundrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention und setzen uns für rechtsstaatliche und humanitäre Verfahren ein. Wer ein Anrecht auf Schutz hat, bekommt ihn gewährt. Wir wissen aber auch, dass nicht jeder, der hierherkommt, auch bleiben kann. Es ist für uns Grüne eine Selbstverständlichkeit, dass Gesetze und Regeln gelten und eingehalten werden müssen. In der Realität scheitern die sogenannten Dublin-Rücküberstellungen, also die Rückführung in das europäische Land, in das die oder der Geflüchtete zuerst eingereist ist, oft an den sehr restriktiven Vorgaben des aufnehmenden Landes. Josefine Paul hat zu Recht von einem „dysfunktionalen System“ gesprochen. Das Land macht seine Hausaufgaben, damit Rücküberführungen durchgeführt und geltende Regeln umgesetzt werden. Zudem arbeitet die Landesregierung daran, die Asylverfahren zu beschleunigen. Denn von schnellerer Klarheit im Asylverfahren profitieren sowohl die Geflüchteten als auch die Kommunen.

Wir stärken die Präventionsarbeit
Ganz zentral im Maßnahmenpaket der Landesregierung sind für uns die Vereinbarungen zur Verbesserung der Prävention und Intervention. Um der Verbreitung von dschihadistischer Ideologie wirksam zu begegnen, brauchen wir starke Strukturen der Präventionsarbeit. Wir müssen noch stärker demokratische Werte vermitteln und Radikalisierung frühzeitig erkennen, um sie zu verhindern. Das Ziel ist, dass die Sicherheitsbehörden nicht aktiv werden müssen, weil sich Menschen gar nicht erst radikalisieren oder wir es schaffen, frühzeitig zu intervenieren. Dabei ist klar, dass wir genau unterscheiden zwischen Islam und Islamismus. Der Islamismus ist eine radikale politische Ideologie, die versucht jeden zu fangen und nicht auf Staatsangehörigkeit, Herkunft oder den familiären religiösen Hintergrund achtet. Präventionsangebote müssen sich also an alle richten und nicht allein an bestimmte Gruppen.

Wir wollen die Präventionsarbeit durch die Ausrichtung auf Strategien gegen Turbo-Radikalisierung im Netz stärken. So ist zum Beispiel ein landesweites Kompetenz- und Beratungsnetzwerk von qualifizierten pädagogischen Fachkräften geplant, das auch auf neue Phänomenbereiche wie „islamistische Ansprachen im Netz“ spezialisiert ist. Um junge Menschen besser zu erreichen und stärker für Desinformation zu sensibilisieren, ist die Zusammenarbeit zum Beispiel mit Content Creatoren und Influencern wichtig. Aber auch die Internetplattformen müssen stärker in die Pflicht genommen werden, gegen Hass, Hetze und Desinformation vorzugehen.

Zudem werden wir als Koalition die Demokratiekompetenz an Schulen weiter stärken, damit Kinder und Jugendliche frühzeitig selbst Demokratie erleben und demokratische Werte schätzen lernen. Das macht sie widerstandsfähiger gegen antidemokratische und menschenverachtende Einstellungen.

Darüber hinaus sind auch Angebote für Geflüchtete und Mitarbeitende in Unterbringungseinrichtungen wichtig. Die Landesregierung hat vereinbart, die Fortbildungen von Beschäftigten zur frühzeitigen Erkennung von Radikalisierung zu verstärken.  Ein Schwerpunkt des Maßnahmenpakets liegt zudem auf der Prävention in der Sozialen Beratung und den Programmen zur Demokratiebildung, die sich speziell an junge Geflüchtete richten.

Bundesratsinitiativen, Erlasse und Gesetzesänderungen
Wie geht es jetzt weiter? Um das Maßnahmenpaket in die Tat umzusetzen, bedarf es Änderungen an Landesgesetzen sowie Erlasse und Bundesratsinitiativen der Landesregierung. Landesgesetze müssen durch das Parlament beschlossen werden. Selbstverständlich werden wir uns als Abgeordnete sehr intensiv mit den Gesetzesänderungen auseinandersetzen. Wir werden Euch über die Verfahren auf dem Laufenden halten.