Wibke Brems: „Wir nutzen die Chancen, die sich bieten“

Zu Anträgen der SPD-Fraktion zur Situation der Industrie in NRW

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Antrag der SPD zu dieser Aktuellen Stunde erzählt sie eine Horrorgeschichte. Auch Herr Höne hat eben versucht, sie darzustellen. Sie erzählen, dass es mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft bergab gehe, seit Schwarz-Grün regiert.

Ich habe eine Frage an Sie von der SPD. Lieber Herr Ott, stimmen Sie eigentlich auch dem folgenden Satz zu? Ich zitiere:

„Deutschland ist in der Rezession. Die Verantwortung dafür trägt vor allem die Bundesregierung […].“

Dieser Satz stammt von Friedrich Merz. Ihr Satz über die Landesregierung ist genauso falsch wie der Satz von Friedrich Merz im Bund.

(Frederick Cordes [SPD]: Er hat doch gar nichts gesagt! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Nichts gesagt!)

Sie nutzen hier ein Argument, das Ihre Genossen auf der Bundesebene hart bekämpfen. Ich finde das schon kurios.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Jan Heinisch [CDU])

Es gibt aber auch einen entscheidenden Unterschied zwischen Herrn Merz und Ihnen, Herr Ott. Ich habe festgestellt: Herr Merz hat verstanden, …

(Jochen Ott [SPD]: Das will ich auch schwer hoffen! – André Stinka [SPD]: Das ist auch gut so! – Weitere Zurufe von der SPD – Glocke)

– Ich habe doch noch gar nicht erklärt, was der Unterschied ist. Sie müssen sich nicht jetzt schon aufregen.

Herr Merz hat verstanden, dass er nicht das gesamte Land ständig schlechtreden kann, wenn er bald regieren will. Er hat seine Strategie inzwischen geändert. Das wäre vielleicht auch eine Idee für Sie.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Jan Heinisch [CDU])

Klar ist, dass nicht ab Tag eins einer neuen Regierung auf einmal alles besser wird, weil man die Vergangenheit nicht verändern kann. So muss auch diese Bundesregierung mit den Entscheidungen der Vorgängerregierungen und deren Auswirkungen leben.

Die aktuelle wirtschaftliche Lage, die Entwicklung in manchen Branchen, die angekündigten Werksschließungen und Entlassungen haben Ursachen.

Die Ursachen liegen in vor Jahren und Jahrzehnten getroffenen politischen Fehlentscheidungen, in nicht getroffenen politischen Entscheidungen und auch in Fehlentscheidungen von Unternehmen. Ich nenne nur ein paar Beispiele:

Wenn es um billiges Gas ging, dann verschlossen Wirtschaft und Regierungen auch in Deutschland die Augen. Man machte weiter Geschäfte mit dem Despoten und Kriegsverbrecher Putin. Die schwarz-rote Bundesregierung ließ zu, dass ein Jahr nach der Annexion der Krim deutsche Gasspeicher an eine Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom verkauft wurden, und sie trieb Nord Stream 2 immer weiter voran.

Dieses krampfhafte Festhalten an vermeintlich billigem russischem Gas haben wir mit der Abhängigkeit von Russland teuer bezahlt – eine fatale Fehlentscheidung, die wir alle an den Supermarktkassen und bei der Gasabrechnung spüren!

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine der größten Wachstumsbremsen ist die Schuldenbremse. Diese Entscheidung war in der Ausprägung ein Fehler. Mittlerweile ist die Gruppe derjenigen, die die Schuldenbremse ändern wollen, erdrückend groß: Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Wirtschaftsexpert*innen, Ministerpräsident*innen unterschiedlicher Parteien. Jahrzehntelang wurden dringend nötige Investitionen versäumt.

Es geht bei der Reform der Schuldenbremse jetzt darum,

(Marcel Hafke [FDP]: Die Schuldenbremse gibt es noch keine Jahrzehnte! – Sven Wolf [SPD]: Leider gibt es die viel zu lange!)

unser Land, unsere Wirtschaft und unsere Kinder mit Investitionen für die Zukunft fit zu machen. Es muss Schluss sein mit politischen Spielchen, bei denen man lieber mit einem Problem in den Wahlkampf zieht, statt es jetzt zu lösen und jetzt Verantwortung zu übernehmen, nur damit Kanzlerkandidat Merz dem aktuellen Wirtschaftsminister eins auswischen kann. Ich muss sagen: Nicht jeder BlackRock-Akteur ist automatisch ein Wirtschaftsexperte.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Weitere nicht getroffene Entscheidungen und längeres Nichtstun können wir uns einfach nicht mehr leisten. Es wäre wahre Größe, wenn nun alle das Land vor die eigene Partei stellen und die dringend notwendigen Veränderungen jetzt und nicht erst in einigen Monaten angegangen würden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Deutsche Autounternehmen haben in den letzten Jahren lieber Geld und Ingenieurs-Know-how darauf verbraten, wie sie bei Abgasprüfungen täuschen können, statt neue alternative Antriebe zu entwickeln und kostengünstig zu machen. Was ist dann passiert? Leider genau das, was Robert Habeck schon 2019 prophezeit hat. Die kostengünstigen Elektroautos wurden in anderen Ländern entwickelt und werden jetzt dort produziert. Hier sitzt man auf teuren Elektro-SUVs, die niemand kaufen will. Für diese und andere unternehmerische Fehlentscheidungen in einzelnen Unternehmen die aktuelle Landes- und die Bundesregierung in Haftung zu nehmen, ist schlicht und einfach Bullshit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Seit Jahren ist klar: In Europa investiert kein Unternehmen mehr in einen neuen Kohlehochofen, in eine neue Produktionsstraße für Dieselfahrzeuge oder Ölheizungen, weil darin eben nicht die Zukunft liegt. Wer ist schuld daran? Nein, nicht die Grünen. Es ist so einfach: Unternehmen investieren nicht in veraltete Technik.

Auch wenn manche Politiker dem Verbrenner hinterherweinen oder die Ölheizung anhimmeln, wissen die Beschäftigten längst, was einige in der Politik und auch manches Management leider noch nicht verstanden haben. Die Beschäftigten demonstrieren für ihre Zukunft und die ihrer Branchen – die heißt bei Ford „Elektromobilität“, die heißt bei thyssenkrupp „grüner Stahl“ –,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

und wir stehen an der Seite der Beschäftigten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klar, Veränderungen sind nicht leicht. Sie kosten Kraft, sie kosten Geld und verlangen uns allen so einiges ab. Aber ohne Veränderungen bleibt nicht alles einfach so, wie es ist, sondern ohne diese Veränderungen wird es schlechter, als es jetzt ist. Wer für Stillstand statt Veränderung steht, der gefährdet unseren Wohlstand. Die Arbeitsplätze bei thyssenkrupp und bei Ford stehen auf dem Spiel, weil Unternehmen sich zu langsam verändert haben.

Wenn bei Unternehmen Arbeitsplätze in großem Stil wegfallen, dann muss es natürlich darum gehen, Menschen dabei zu unterstützen, in anderen Unternehmen, Bereichen oder Branchen anzukommen und unterzukommen; denn – das ist ja die Chance an der Stelle – der Fachkräftebedarf ist gleichzeitig enorm hoch. Genau diese Unterstützung, die die Beschäftigten brauchen, bekommen sie von der Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir sind angetreten, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Das ist nicht leicht, und das passiert nicht über Nacht. Aber es ist das richtige Ziel. Denn es ist die Chance für unsere Industrie, zukunftsfähig zu bleiben. Es ist die Chance, für die Beschäftigten attraktive und zukunftssichere Jobs zu erhalten. Es ist die Chance für uns alle, dass unsere Luft noch sauberer wird und weniger Böden verseucht werden. Es ist die Chance, für die Kinder und die nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt zu erhalten.

Wir nutzen die Chancen, die sich bieten, wenn wir Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen. Wir sichern damit Wohlstand.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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