Verena Schäffer: „Es ist gut und wichtig, dass wir uns immer wieder Gedanken darüber machen, wie wir unsere Demokratie stärken können“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum "Selbstverständnis 'Demokratie'"

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU hat beschlossen, dass sie Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine führen will. Dabei ist für mich noch einmal sehr deutlich geworden, dass seit fast zwei Jahren in der Ukraine ein furchtbarer Krieg tobt. Mir macht das noch einmal deutlich, wie wertvoll Demokratie, Frieden und Freiheit sind. Sie sind eben nicht so selbstverständlich.

Diese Demokratie wird auch von innen angegriffen: die Festnahme von mutmaßlichen Mitgliedern der Hamas, der rechtsextreme Terror, die NSU-Anschlagsserie, die rechtsextremen Anschläge von Kassel, Halle und von Hanau, immer wieder das Aufdecken von Reichsbürgergruppen, das Entdecken von Waffen bei Rechtsextremen. Wir wissen alle, wie sehr unsere Demokratie immer wieder bedroht wird.

Ich würde der Analyse von Sven Wolf in weiten Teilen durchaus zustimmen, was den Zustand unserer Demokratie angeht. Ich würde an einer Stelle widersprechen wollen, wenn Sie über die Mitte sprechen, weil wir wissen, dass rechtsextreme, antidemokratische Einstellungen gerade auch in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sind. Die Studien heißen ja gerade deshalb Mitte-Studien, weil es um unsere demokratische Mitte geht.

Wir müssen immer wieder dafür sorgen, dass menschenverachtende Einstellungen zurückgehen, und diesen Einstellungen widersprechen. Ich glaube, im Großen und Ganzen sind wir uns da sehr einig. Es ist gut und wichtig, dass wir uns immer wieder Gedanken darüber machen, wie wir unsere Demokratie stärken können.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Deshalb begrüße ich den Antrag. Ich will dennoch sagen, dass der Antrag für mich einige Fragen offenlässt. Auch in der Rede vorhin sind diese Fragen für mich nicht alle beantwortet worden, weil mir noch nicht ganz klar ist, was Sie sich unter einer Woche der Demokratie vorstellen.

Ich finde: Demokratie gehört in den Alltag unserer Bildungsinstitutionen. Es muss in die pädagogischen Konzepte. Ich will ein Beispiel aus unserer Kita nennen, wo Demokratie gelebt wird. Es gibt eine Kinderkonferenz, bei der die Kinder mitentscheiden dürfen und sagen können, was ihnen nicht gefällt und was sie gut finden; also eine Kinderkonferenz als Teil des pädagogischen Konzeptes in der Kita schon für die Kleinsten. Sie können mit darüber entscheiden, was die sechs Gruppen der Kita zu Mittag essen. Einmal in der Woche gibt es ein Wunschessen einer Gruppe.

(Sven Wolf [SPD]: Nudeln mit Ketchup!)

Das führt dazu, dass es bei uns in der Kita jetzt donnerstags immer Pommes gibt. Pommes sind eine super Sache, aber vor allem ist es super für die Kinder, nicht nur, weil die Pommes gut schmecken, sondern auch, weil es eine Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist und sie sich aktiv dafür entschieden haben, was es als Mittagessen gibt. Sie erlernen schon in der Kita, dass ihre Stimme zählt. Darauf kommt es an.

(Beifall von den GRÜNEN – Sven Wolf [SPD]: Schönes Beispiel!)

Ich will auch sagen, dass es mit aktuellen Themen – wir erleben ja nach dem 7. Oktober einen offenen Antisemitismus –, auch mit dem Nahostkonflikt, eine Auseinandersetzung geben muss. Solche Themen können nicht auf die nächste Woche der Demokratie warten, sondern müssen sehr unmittelbar in den Bildungsinstitutionen besprochen werden. Es muss einen Raum dafür geben, damit solche Themen diskutiert und Fragen gestellt werden können, damit man sich austauschen kann.

Das steht gar nicht im Widerspruch zu dem Antrag. Ich will damit nur verdeutlichen, dass ich glaube, dass es mit einer Woche der Demokratie nicht getan ist. Ich glaube, das werden Sie genauso sehen; ich habe bei Ihnen zum Teil Kopfnicken gesehen. Lassen Sie uns deshalb darüber diskutieren, was genau Sie mit diesem Antrag vorhaben.

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Deswegen soll es in den Ausschuss!)

Wenn wir den Demokratiebericht, den wir im Hauptausschuss gerade auf dem Tisch liegen haben, weiter auswerten, passt das gut zu der Frage, wie wir weiter vorgehen. Wir müssen da auch über Zielgruppen sprechen. Wir sind gerade nicht gut darin, alle Zielgruppen anzusprechen.

Ich fand es interessant, lieber Sven Wolf, dass du gesagt hast, dass du dir ein Buch bei der Landeszentrale bestellt hast. Es ist super, dass es diese Möglichkeit gibt.

Nach der Empfehlung werde ich mir das Buch vielleicht auch bestellen oder einfach bei dir ausleihen, aber ich frage mich: Wer bestellt diese Bücher? Sind das wirklich die Zielgruppen, die wir aktuell nicht erreichen? Ich setze da mal ein sehr großes Fragezeichen.

Wenn es um Demokratiebildung und die Vermittlung von Demokratiekompetenz geht, müssen wir auch darüber sprechen, wen wir aktuell erreichen, und vor allen Dingen müssen wir darüber sprechen, wen wir nicht erreichen. Ich weiß nicht, ob die Publikationen allein der Weg sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Lassen Sie uns das diskutieren; wenn wir über die Stärkung der Landeszentrale für politische Bildung diskutieren, ist das ein Punkt, den wir ebenfalls besprechen können.

Ich will mich am Ende meiner letzten Rede in diesem Jahr dafür bedanken, dass wir insbesondere im Hauptausschuss eine so gute Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen haben. Ich finde das in diesen anstrengenden Zeiten wichtig. Ich will mich aber auch bei allen anderen Abgeordneten der demokratischen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit in diesem Jahr bedanken. Es war nicht immer einfach – wir haben hier anstrengende Diskussionen geführt –, aber auch das gehört dazu, das ist Bestandteil einer Demokratie.

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachtstage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)