I. Ausgangslage
Die Gewinnung von Fachkräften ist eine der großen Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der demografische Wandel ist in fast allen Branchen spürbar und wird sich zukünftig noch stärker bemerkbar machen. Der Abschied der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsleben macht sich bemerkbar und wird sich zukünftig noch stärker auf den Arbeitsmarkt auswirken.
Schon seit einigen Jahren sind die Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen aus dem Bereich der Öffentlichen Verkehre mit einem überdurchschnittlichen Fachkräftemangel konfrontiert, der es zunehmend schwieriger macht, das vorhandene Angebot aufrecht zu erhalten. Gerade für die Umsetzung der Verkehrswende und zum Erreichen der Klimaziele ist ein funktionierender ÖPNV essentiell, ebenso als Teil der Daseinsvorsorge.
Mittlerweile sind sogar große Verkehrsunternehmen gezwungen, ihren Fahrplan aufgrund Personalmangels auszudünnen, um zumindest für ein Rumpfangebot die Bedienqualität sicherzustellen. Gerade in ländlichen Räumen, wo die Angebote begrenzt sind, führt dies zu erheblichen Mehrbelastungen.
Durch mehrere Faktoren ist die Fachkräftesicherung im Bereich der Öffentlichen Verkehre besonders schwierig. Zum einen leidet der Bereich unter einer überdurchschnittlichen Überalterung, wie in den kommenden Jahren durch viele neu zu besetzende Stellen ersichtlich sein wird. Mehr als ein Drittel der bei Bussen und Straßenbahnen im Fahrdienst Beschäftigten ist über 55 Jahre alt. Zum anderen ist das Image der Branche durch die hohe Arbeitsbelastung, Schichtdienst und geringe Aufstiegschancen unattraktiv, obwohl sie trotz technischer Fortschritte hohe Arbeitsplatzsicherheit bietet.
In den kommenden Jahren soll das Angebot im Öffentlichen Personennahverkehr deutlich ausgeweitet werden. Ziel der Bundesregierung ist es, die Fahrgastzahlen im Bahnfernverkehr zu verdoppeln. Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen hat es sich zum Ziel gesetzt, das Angebot im Öffentlichen Nahverkehr um 60 Prozent bis 2030 auszuweiten. Schon jetzt ist auf den wichtigen Pendelstrecken in NRW das Angebot vor allem im Schienennahverkehr zu knapp sowie in ländlichen Räumen kaum vorhanden. Durch das Deutschlandticket werden die Fahrgastzahlen voraussichtlich weiter steigen. Um die gemeinsam gesteckten Ziele verlässlich zu erreichen und den Bürgerinnen und Bürgern Busse und Bahnen als verlässliches Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen, bedarf es auch mehr Personal. Denn eine zuverlässige und flexible Mobilität bestimmt unsere Lebensqualität und ist eine wichtige Voraussetzung für das wirtschaftliche Wachstum, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt.
Damit dies gelingt und die bereits heute vorhandene Personallücke nicht noch größer wird, sind von allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren verstärkte Anstrengungen notwendig. Das Land NRW hat mit dem Programm „Fokus Bahn NRW“ im SPNV bereits wichtige Grundlagen geschaffen, um dem Personalmangel im Bereich der Öffentlichen Verkehre zu begegnen. Diesen erfolgreichen Ansatz gilt es nun weitervoranzutreiben und auch für den straßengebundenen Öffentlichen Verkehr zu nutzen.
Dazu gilt es, strukturelle Probleme aufzuarbeiten und auch neue Handlungsfelder zu identifizieren, die dem wachsenden Bedarf nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblen Arbeitszeitmodellen und – wo betrieblich möglich – dem Wunsch nach Homeoffice gerecht werden. Auch die Angleichung von aktuell bestehenden Gehaltsunterschieden ist ein entscheidender Faktor, um den Anteil von Frauen bei den Beschäftigten in der Branche zu steigern. Deshalb sollen bestehende Unterschiede der Vergangenheit angehören. Um der Herausforderung des Fachkräftemangels adäquat zu begegnen, ist der gleichberechtigte Zugang von Frauen und Männern zu allen Arbeitsfeldern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Ein weiteres strukturelles Problem der Branche ist der unterdurchschnittliche Anteil von Menschen unter 35 Jahren. Dieser liegt bei nur rund 13 Prozent (Schnitt aller Erwerbstätigen 30 Prozent). Um mehr junge Menschen und vor allem Berufsanfängerinnen und -anfänger für einen Arbeitsplatz im Bereich Öffentliche Verkehre zu gewinnen, bedarf es einer intensiveren Kooperation aller Akteurinnen und Akteure im Bildungswesen und bei den Verkehrsunternehmen. Entsprechende Öffentlichkeitsarbeit an Schulen und bei Veranstaltungen zur Berufswahl sowie vielfältige Praktikumsangebote sind entscheidende Faktoren, um frühzeitig an junge Menschen heranzutreten und zukunftssichere berufliche Perspektiven zu eröffnen. Die Branche kann echte Chancen auf dauerhafte Beschäftigung bieten. Dazu sind entsprechende Formate mit zielgruppenspezifischen Ansätzen notwendig.
Um junge Menschen als dringend benötigte Fachkräfte im Ingenieur- und Technikbereich für Bus und Bahn zu gewinnen und längerfristig zu binden, kommen auch duale Studiengänge als ein Instrument der Personalgewinnung in Betracht.
Gerade für Quereinsteigerinnen und -einsteiger bieten die Öffentlichen Verkehre vielfältige Möglichkeiten für eine dauerhafte Beschäftigung. Gerade Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, die bereits berufliche Qualifikationen aus anderen Bereichen mitbringen, kann die Branche durch gezielte Qualifizierungs- und Sprachfördermaßnahmen dauerhafte Berufs-und Integrationsperspektiven bieten. Hierfür müssen entsprechende zielgruppenspezifische Angebote eingerichtet werden sowie die Zusammenarbeit mit den Behörden und der Arbeitsverwaltung intensiviert werden.
Ebenso wie die verstärkte Integration bereits hier lebender Menschen mit Einwanderungsgeschichte in die Berufsfelder der Öffentlichen Verkehre, sollte auch das gezielte Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland sowie die Vereinfachung bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse Teil der Fachkräfteoffensive unter Wahrung der im Verkehrsbereich wichtigen Sicherheitsstandards sein. Die Landesregierung erarbeitet diesbezüglich bereits eine eigene Fachkräfteoffensive. Zudem ist vor allem der Bund gefragt, für weitere Erleichterungen bei der Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Ausland zu sorgen.
Insgesamt gilt es, Zugangshemmnisse für eine Tätigkeit im Bereich der Öffentlichen Verkehre abzubauen.
Um ausreichend Personal für alle Bereiche zu finden, ist jedoch nicht nur eine vielfältige Personalgewinnungsstrategie notwendig, sondern auch ausreichende Aus- und Weiterbildungskapazitäten. Gerade in der Praxis stehen Ausbilderinnen und Ausbilder zum Beispiel auf dem Zugführerstand derzeit noch nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Hier ist es dringend notwendig, dass die Verkehrsunternehmen entsprechende Ausbildungskapazitäten aufbauen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen geschaffen und geprüft werden, ob in den Verkehrsverträgen entsprechende Ausbildungsquoten vorzugeben sind. Außerdem muss es mehr Ausbildungsstellen überall im Land verteilt geben, eine Konzentration auf wenige Standorte wie bisher ist nicht zielführend. Verkehrsunternehmen sollen an einem Strang ziehen und sich nicht mehr gegenseitig Personal abwerben. Zudem sollen Ausbildungskosten erstattet werden, wenn bei anderen Unternehmen ausgebildete Mitarbeiter übernommen werden. Für die Mitgliedsunternehmen der Initiative „Fokus Bahn NRW“ gilt dies bereits heute.
Die Digitalisierung schreitet auch in der Verkehrsbranche weiter voran. Sie wird die Aufgaben der Beschäftigten in vielfältiger Weise verändern, aber die Berufsfelder nicht entbehrlich machen. Umso wichtiger ist eine gezielte Qualifikation und Weiterbildung des vorhandenen Personals, um auch zukünftig die Aufgaben bewältigen zu können und außerdem auch Aufstiegs-und Veränderungspotenziale zu erschließen. Denn die Schlüsselfaktoren, Erreichen der Verkehrswende und Klimaziele, werden auch das Berufsbild in den kommenden Jahren durch den Wandel und das Entstehen von neuen Berufsgruppen prägen. Neben Weiterbildungsangeboten, unbefristeten und krisensicheren Arbeitsplätzen, bedarf es auch einer angemessenen monetären Vergütung sowie weiterer attraktiver Rahmenbedingungen. Hierzu zählen in einer modernen Arbeitswelt Faktoren wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine moderne Führungskultur sowie weitere Angebote zum Beispiel im Bereich der betrieblichen Mobilitätskonzepte. Auch hier müssen die Verkehrsunternehmen geeignete Strategien entwickeln.
II. Beschlussfassung:
Der Landtag stellt fest:
- Der Personalmangel im Bereich der Öffentlichen Verkehre in Nordrhein-Westfalen wird sich ohne entsprechende Gegenmaßnahmen zukünftig weiter verschärfen. Das Erreichen der gesetzten Ziele ist ohne zusätzliches Personal nicht zu erreichen.
- Die Öffentlichen Verkehre sind elementarer Baustein, um die nachhaltige Mobilität der Zukunft zu erreichen.
- Es bedarf einer vielfältigen Strategie und des Zusammenwirkens aller Akteurinnen und Akteure im Bereich der Öffentlichen Verkehre, um dem Fachkräftemangel in der Branche wirksam zu begegnen.
- Mit dem Programm „Fokus Bahn NRW“ hat das Land bereits eine gute Grundlage für die Gewinnung und den Erhalt von Fachkräften im Schienenverkehr gelegt. Diese gilt es auszubauen und fortzuentwickeln. Die Einbeziehung der nicht schienengebundenen Verkehre, z.B. durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VCV) ist wünschenswert. Dabei müssen strukturelle Probleme der Branche, wie beispielsweise die unterdurchschnittliche Beschäftigung von Frauen und jungen Erwachsenen sowie die Arbeitsplatzsicherheit und die Anerkennung der verschiedenen Berufsbilder in den Fokus genommen und konzentriert angegangen werden.
- Die zielgruppenspezifische Ansprache und Qualifizierung gerade von jungen Menschen aus dem Übergangssektor der Berufskollegs, Seiten- und Quereinsteigerinnen und -ein-steigern, Menschen mit Migrationsgeschichte sowie Fachkräften aus dem Ausland bietet berufliche Chancen für die Betroffenen und trägt zur Lösung der Personalengpässe bei.
- Die Digitalisierung der Verkehrsbranche schafft Veränderungen bei den Arbeitsplatzprofilen und bietet Potenziale für die berufliche Weiterentwicklung der Beschäftigten.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, aus vorhandenen Mitteln
- die Aktivitäten im Einflussbereich des Landes unter dem Dach der Fachkräfteoffensive NRW zur Personalgewinnung, Aus- und Fortbildung im ÖPNV zu verstärken und Synergien mit weiteren und bestehenden Fachkräfte- und Beschäftigungsoffensiven zu nutzen.
- den Einfluss des Landes zu nutzen, um bei der Gestaltung von Verkehrsverträgen einheitliche und ambitionierte Standards für gute Beschäftigungsverhältnisse zu etablieren.
- auf Verkehrsunternehmen einzuwirken, ihre Unternehmenskultur weiter zu verbessern, damit ihr Unternehmen auch für junge Erwachsene, Frauen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte attraktiv wird.
- die Zusammenarbeit der Bildungseinrichtungen mit den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen zu verbessern, um bereits bei Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden für Berufsfelder bei den Öffentlichen Verkehren zu werben und diese frühzeitig zu gewinnen und dafür ausreichend Praktikumsangebote bei den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen bereitzustellen.
- in Zusammenarbeit mit den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen darauf hinzuwirken, dass Ausbildungs- und Qualifizierungskapazitäten systematisch und an verschiedenen Standorten verteilt im Land aufgebaut werden sowie verbindliche Ausbildungsquoten bei der Vergabe von Verkehrsleistungen festzusetzen.
- in Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen zu prüfen, wie der Schutz am Arbeitsplatz erhöht werden kann.
- gemeinsam mit den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen Programme zu entwickeln mit dem Ziel, bestimmte Gruppen wie Seiten- und Quereinsteigerinnen und -einsteiger sowie Menschen mit Einwanderungsgeschichte als Mitarbeitende zu gewinnen und entsprechende Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen bereitzustellen sowie Zugangshemmnisse abzubauen.
- zu prüfen, ob bestehende Programme zum Erwerb einer Erlaubnis zum Fahren von Bussen, Straßenbahnen und Zügen ausgebaut werden können.
- weitere Ideen zu entwickeln, wie die Berufsfelder im Bereich der Öffentlichen Verkehre insgesamt attraktiver gemacht werden können für potenzielle Fachkräfte und dabei sowohl die persönlichen als auch beruflichen Aufstiegs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen.
- sich beim Bund dafür einzusetzen, dass die Bedingungen für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland erleichtert werden. Dafür soll auf Bundes- und Landesebene die erleichterte Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen unter Wahrung der im Verkehrsbereich relevanten Sicherheitsstandards realisiert werden sowie der Abbau von Sprachbarrieren durch konstruktive Gespräche mit den Ausbildungsverbänden angestrebt werden mit dem Ziel, in Bereichen ohne Erfordernis einer hohen Sprachkompetenz, Sprachbarrieren durch die Anwendung von leichter Sprache abzubauen.
- weitere Maßnahmen zu ergreifen, damit die Mobilität in den ländlichen Räumen trotz angespannter Personallage weiterhin zuverlässig, nachhaltig und barrierefrei ist und die dortigen Entwicklungschancen nicht eingeschränkt sind und sicherzustellen, dass der Ausbau der Schienen- und Schnellbusanbindungen trotz des Personalmangels möglich bleibt.