Verena Schäffer: „Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zu Jüdischen Friedhöfen

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Der Antrag „Geschichte für die Zukunft erhalten – Verantwortung für die Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen weiterhin nachkommen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Friedhöfe sind ganz besondere Orte. Sie sind Orte der Trauer. Sie sind Orte, an denen wir der Verstorbenen gedenken. Sie sind Orte der Stille, und sie sind religiöse Orte. Ich finde, sie sind auch sehr friedliche Orte.

Ich gebe zu, ich bin sehr gerne auf Friedhöfen. Denn sowohl aktuell genutzte als auch alte, historische Friedhöfe erzählen uns ganz viele Geschichten – über die Menschen, die dort bestattet wurden, aber auch über Veränderungen in der Gesellschaft.

Das gilt natürlich auch für jüdische Friedhöfe. Wer einen jüdischen Friedhof besucht, kann ganz viel entdecken. Er sieht vielleicht auf einem Grabstein die Priesterhände der Kohanim, die Levitenkanne oder den Schofar. Oder man sieht Abbildungen von Tieren, die bildliche Hinweise auf den Namen der oder des Verstorbenen geben.

Die Symbolik auf den Grabsteinen verrät uns schon auf einen Blick ganz viel über die Verstorbene oder den Verstorbenen. Die Inschriften, die Anzahl oder die Anordnung von Gräbern, aber auch die Lage der Friedhöfe geben uns Auskunft nicht nur über die hier bestatteten Menschen, sondern auch über die Situation von Jüdinnen und Juden in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft im Verlauf der Geschichte.

Dass den jüdischen Gemeinden in der Vergangenheit oftmals Grundstücke angeboten wurden, die man für nichts anderes nutzen konnte, sagt sehr viel über die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft aus.

Seit mindestens 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland, und seit mindestens 1.700 Jahren sorgen Jüdinnen und Juden dafür, dass ihre Angehörigen sehr würdig begraben werden. Das jüdische Religionsgesetz sieht die ewige Totenruhe vor. Deshalb haben wir in Deutschland zum Teil sehr alte jüdische Friedhöfe.

Diese alten, verwaisten Friedhöfe sind von unschätzbarem kulturellem Wert und eine unglaublich wertvolle historische Quelle. Deshalb ist es wichtig, dass wir für den Erhalt dieser Friedhöfe sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die wechselhafte Geschichte von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist von Verfolgung und Vertreibung geprägt. Jüdische Friedhöfe oder auch nur einzelne Grabsteine sind immer wieder geschändet worden. Leider erleben wir heute noch, dass jüdische Gräber geschändet werden.

Die Vernichtungspolitik des NS-Regimes richtete sich sowohl gegen jüdische Menschen wie auch gegen jüdische Institutionen. Dazu gehören eben die jüdischen Friedhöfe. Viele jüdische Friedhöfe sind in dieser Zeit unwiederbringlich zerstört worden. Auch nach 1945 – ich finde es wichtig, das zu sagen – sind in Nordrhein-Westfalen noch jüdische Friedhöfe vernichtet worden.

Daraus erwächst eine ganz besondere Verantwortung für uns: die Verantwortung, die ewige Totenruhe der Verstorbenen zu gewährleisten, jüdische Friedhöfe als historische Quelle mit einem unschätzbaren kulturellen Wert zu erhalten und jüdische Friedhöfe als wichtigen Bestandteil unserer Erinnerungskultur zu verstehen. Denn an manchen Orten auch in Nordrhein-Westfalen sind es nur noch die jüdischen Friedhöfe, die daran erinnern, dass dort einst jüdische Gemeinden bestanden haben.

Deshalb ist dieser Antrag ein wirklich wichtiges Signal, dass wir als demokratische Fraktionen der Verantwortung für die verwaisten jüdischen Friedhöfe nachkommen wollen.

Es gibt die Kostenpauschale für die Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdischen Friedhöfe. Wir wissen, dass diese Pauschale nicht mehr auskömmlich ist. Der Antrag soll der Landesregierung Rückenwind bei den Verhandlungen mit dem Bund geben, damit die Pauschale angehoben wird. Es ist ganz klar geregelt, dass Bund und Länder die Kostenpauschale hälftig tragen. Wir hier in Nordrhein-Westfalen wollen, dass die Mittel für die Instandhaltung und Pflege der verwaisten jüdischen Friedhöfe wieder auskömmlich sind. Ich hoffe sehr auf die Bereitschaft des Bundes.

Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe, das wir hegen und pflegen müssen. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft. Deshalb bin ich sehr dankbar für diesen Antrag. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)