Geschichte für die Zukunft erhalten – Verantwortung für die Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen weiterhin nachkommen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I. Ausgangslage

Jüdinnen und Juden sind seit Jahrhunderten ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres kulturellen Lebens. Der älteste Beleg jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heu­tigen Deutschlands stammt aus Köln im Jahr 321 und ist damit über 1.700 Jahre alt.

Von der Geschichte der Jüdinnen und Juden in Deutschland erzählen auch jüdische Friedhöfe. Friedhöfe haben im Judentum eine hohe religiöse Bedeutung. Hebräische Bezeichnungen für jüdische Friedhöfe lauten „Haus des Lebens“ oder „Haus der Ewigkeit“, was die Unantastbar­keit der Totenruhe als religiösen Grundsatz zum Ausdruck bringt. Dieses Religionsgesetz führt zur Existenz sehr alter jüdischer Friedhöfe in Deutschland, sofern sie nicht der Schändung und Zerstörung aufgrund von antisemitischen Übergriffen in der wechselvollen Geschichte von Jü­dinnen und Juden in Deutschland zum Opfer gefallen sind.

Seit Beginn der Existenz jüdischer Gemeinden in Deutschland sind Jüdinnen und Juden immer wieder von Ausgrenzung und Vertreibung betroffen gewesen bis hin zur Shoah. Der Hass gegen Jüdinnen und Juden hat sich immer auch gegen jüdische Einrichtungen gerichtet, da­runter auch gegen jüdische Friedhöfe. Eine Vielzahl jüdischer Friedhöfe wurde in der Zeit des Nationalsozialismus unwiederbringlich vernichtet. Umso mehr ist dies Grund für uns, jüdische Geschichte zu bewahren und an sie zu erinnern.

Auf dem Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen existieren neben den offenen, genutzten jüdischen Friedhöfen auf 785.980 qm Fläche verwaiste jüdische Friedhöfe, auf denen heute keine Bestattungen mehr stattfinden oder an deren Ort keine jüdische Gemeinde mehr exis­tiert. Sie alle sind gleichwohl ein wichtiges Zeugnis jüdischer Geschichte in Deutschland, die immer wieder von Vertreibung und Hass gegen Jüdinnen und Juden geprägt war.

Die Friedhöfe sind eine bedeutende Quelle für die Erforschung jüdischer Geschichte. Sie ge­ben zum Beispiel Auskunft über die Größe und Entwicklung der jüdischen Gemeinde vor Ort und durch ihre Ortslage auch über die Anerkennung der Gemeinde in der Mehrheitsgesell­schaft. Anhand der Gestaltung und Inschrift der Grabsteine lassen sich beispielsweise die ge­sellschaftliche Stellung und der Beruf der bzw. des Verstorbenen ablesen. Die Gestaltung der

Grabsteine gibt auch Auskunft über die Entwicklung des Judentums in Deutschland. So weist die teilweise erfolgte Hinzufügung einer deutschsprachigen Inschrift auf der Rückseite der Grabsteine auf die Assimilierungstendenzen der jüdischen Gemeinden im 19. Jahrhundert hin.

Kulturhistorisch sind die jüdischen Friedhöfe vor diesem Hintergrund von einem unermessli­chen Wert und auch für die Genealogie sind die Inschriften der Grabsteine von hoher Bedeu­tung. Die Sicherstellung der Pflege und Instandhaltung auch der verwaisten jüdischen Fried­höfe ist deshalb von gesellschaftlichem Wert, insbesondere erwächst aus der menschenver­achtenden Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten für uns als Demokratinnen und Demo­kraten die Verantwortung, jüdische Geschichte zu bewahren und an sie zu erinnern.

Deshalb ist es wichtig, dass die am 21. Juni 1957 getroffene Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und jüdischen Gemeinden über die Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdi­schen Friedhöfe weiter umgesetzt wird. In dieser Vereinbarung ist geregelt, dass Bund und Länder sich jeweils hälftig an den Kosten zur Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdi­schen Friedhöfe beteiligen. In Nordrhein-Westfalen erhalten die Kommunen über die Be­zirksregierungen eine Pflegepauschale für die insgesamt 785.980 qm Friedhofsfläche. Die Pflegepauschale wurde seit 2010 nicht mehr erhöht. Aufgrund der allgemeinen Kostensteige­rungen sind die bisher zur Verfügung gestellten Mittel inzwischen nicht mehr auskömmlich. Eine Erhöhung kann aufgrund der Vereinbarung von 1957 nur im Einvernehmen mit dem Bund erfolgen, da sowohl das Land Nordrhein-Westfalen als auch der Bund eine Erhöhung der anteiligen Kostenübernahme vornehmen müssten.

Der unschätzbare historische und gesellschaftliche Wert der jüdischen Friedhöfe in Nord­rhein-Westfalen erfordert weiterhin eine angemessene Pflege auch der verwaisten Grabflä­chen. Wir sehen diese zudem als wichtigen Beitrag an, jüdische Geschichte im Alltag prä­sent zu halten.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  • Jüdische Friedhöfe sind kulturhistorisch von einem unschätzbaren Wert. Deshalb gibt es ein gesamtgesellschaftliches Interesse an ihrer Erhaltung.
  • Die Inschriften von Grabsteinen auf den jüdischen Friedhöfen dienen der Genealogie und sind deshalb für viele Privatpersonen von hoher Bedeutung für ihre Familienfor­schung.
  • Der Landtag Nordrhein-Westfalen steht zu seiner Verantwortung, jüdische Geschichte zu bewahren und an sie zu erinnern. Dazu gehört auch der Erhalt der verwaisten jüdi­schen Friedhöfe.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich in den Verhandlungen mit dem Bund auf eine Erhöhung der anteiligen Kostenüber­nahme einzusetzen, damit die Pauschale zur Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdischen Friedhöfe wieder auskömmlich ist.
  • entsprechende Kostensteigerungen im Etatentwurf für das Haushaltsjahr 2024 zu be­rücksichtigen.