Wibke Brems: „Am meisten freut mich die Einigung über das Deutschlandticket – das ist eine wahre Revolution“

Zu den Ergebnissen der P am 2. November 2022

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Krieg, Energiekrise, Klimakrise, Coronakrise, Pflegenotstand, Lieferengpässe, Inflation: Die aktuellen Krisen und Unsicherheiten überlagern sich, sie verstärken sich, und Standardantworten funktionieren einfach nicht mehr.

In solchen Zeiten erwarten die Menschen zu Recht, dass wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenhalten, uns zusammenraufen und gemeinsam Wege aufzeigen. Diesem gemeinsamen Weg kommen wir mit der Bund-Länder-Vereinbarung vom 2. November endlich einen Schritt näher. Wochenlang war nämlich in Berlin leider nicht klar, wer wie entlastet werden soll. Dann lautete die Lösung: Wenn drei sich streiten, zahlt der Vierte – in diesem Fall die Bundesländer.

Was in nächtlichen Koalitionsausschusssitzungen vielleicht verlockend klingen mag – gerade für den Bundesfinanzminister, der sowieso jegliche Verantwortung im Bund von sich weist –, war eine ganz schlechte Idee. Wäre der Bundesfinanzminister bereits vor dem Vorschlag zum dritten Entlastungspaket mal auf die Länder zugegangen und hätte sie mit ins Boot geholt, dann hätten wir uns diesen Streit ums Geld zur Unzeit wirklich schenken können. Das wäre vermeidbar gewesen. Stattdessen kam es zur Eskalation und drohte die Handlungsunfähigkeit der Länder. Das hat dieser Bundesfinanzminister ganz bewusst in Kauf genommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Man muss es sich mal vorstellen. Das Verrückte an dieser Situation ist ja, wie wenig konstruktiv die beiden Fraktionen in diesem Hause auftreten, die in Berlin selbst an der Bundesregierung beteiligt sind.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Sie können schon so reagieren. Ich gestehe Ihnen zu: Opposition ist Kontrolle, Opposition ist Zuspitzung; keine Frage.

(Zuruf von der SPD)

Aber Sie schlagen sich komplett auf die Seite von Olaf Scholz und Christian Lindner. In keiner Form streiten Sie für unser Land, und das finde ich einfach nicht fair.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lachen von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Ui, ui, ui, ganz dünn! – Zuruf von Christian Dahm [SPD])

– Sie reagieren so, aber die SPD macht es sich in der Situation besonders leicht, wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben: immer weitere Forderungen, auch nach weiterem Geldsegen, deren Umsetzung Ihr Kanzler aber im Bund im Gleichschritt mit dem Bundesfinanzminister kategorisch verbaut.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Die Forderungen, die wir in den vergangenen Tagen von Ihnen beispielsweise zum Nachtragshaushalt gesehen haben, sind fernab jeglicher Realität. Ich habe bei Ihnen den Eindruck, Sie denken, das Geld wüchse irgendwo auf den Bäumen oder es käme auf magische Weise in die Säckel der Länder.

(Marcel Hafke [FDP]: Das denken nur die Grünen!)

Das ist einfach nur verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Wer ist denn die dritte Partei in der Ampel? – Jochen Ott [SPD]: Sehr lustig!)

An die Adresse der FDP: Der Weg aus der Regierung in die Opposition ist schwer. Ich weiß das auch noch aus eigener Erfahrung. Man hat in dieser Situation zwei Möglichkeiten. Man kann die Fraktion und die Partei mit einer polemischen Rede bei Laune halten, oder man übernimmt Verantwortung in der Opposition und macht konstruktive Vorschläge.

(Jochen Ott [SPD]: Entschuldigung?)

Es ist natürlich ganz allein Ihre Entscheidung, wie Sie mit dieser Situation umgehen,

(Henning Höne [FDP]: Etwas weniger oberlehrerhaft bitte!)

aber so, wie Sie in den vergangenen Tagen und auch heute hier aufgetreten sind, kann ich es einfach nicht mehr ernstnehmen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Henning Höne [FDP]: Was ist denn mit den Änderungsanträgen? – Jochen Ott [SPD]: Mit konstruktiven Vorschlägen könnt ihr gar nicht umgehen!)

Herr Höne, ich erinnere mich daran, dass einer meiner Vorgänger, der Fraktionsvorsitzende Reiner Priggen, Ihren Vorgänger Christian Lindner mal als Messias mit beschränkter Haftung bezeichnet hat. Ich möchte sagen: Die beschränkte Haftung ist geblieben, aber vom Messias sind Sie noch weit entfernt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Widerspruch von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Der Unterschied ist nur: Der Priggen konnte sich das leisten! – Weitere Zurufe von der SPD und der FDP)

– Kommen Sie wieder runter? Ist es gleich wieder gut?

(Unruhe – Henning Höne [FDP]: Ich bin ganz entspannt!)

– Dann ist es gut. Wenn Sie entspannt sind, ist ja alles gut.

(Jochen Ott [SPD]: So zu reden wie Priggen, muss man sich erst erarbeiten! Aber nicht in vier Monaten!)

Genau zwei Monate nach der großzügigen Ankündigung eines Entlastungspakets auf Kosten der Länder und eine Landtagswahl in Niedersachsen später sind jetzt endlich erste Fragen geklärt und gemeinsam erste Verabredungen getroffen.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist echt peinlich!)

Das ist gut; denn der Dissens zwischen Bund und Ländern darf diese Krise nicht vertiefen. In dieser außergewöhnlichen Lage müssen wir alle, müssen Bund und Länder zusammenstehen.

Am meisten freut mich die Einigung über das Deutschlandticket. Noch fühlt es sich nicht so an, aber ich bin davon überzeugt: Dieses Klimaticket, wie ich es nennen möchte, ist eine wahre Revolution.

(Lachen von Klaus Esser [AfD])

Wir kennen das doch alle: Wir stehen vor dem Automaten, suchen nach dem richtigen Ticket, und wenn wir meinen, es gefunden zu haben – man weiß ja nie so genau –, und bezahlt haben, dann ist die Straßenbahn schon längst weggefahren. Damit ist Schluss. Diese komplizierten Tarife gehören endlich der Vergangenheit an.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist schön und freut mich, wenn die Erkenntnis, dass das Klimaticket die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs ist, auch bei der FDP angekommen zu sein scheint. So hört es sich jedenfalls an. Wenn sich aber die FDP jetzt hier und auch im Bund dafür feiern lässt, was sie noch vor Wochen als Gratismentalität bezeichnet hat, dann ist das einfach nur scheinheilig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das unkomplizierte Klimaticket ist eine Investition in den Klimaschutz. Es ist eine Investition in die Zukunft der Mobilität und in die finanzielle und räumliche Freiheit von Millionen.

Aber neben diesem leuchtenden Beispiel gibt es bei der Einigung zum ÖPNV auch Schatten. Zwar werden die Regionalisierungsmittel vom Bund erhöht, aber angesichts der hohen Energiekosten, auch im Verkehr, und des Investitionsstaus, wird es nun einmal schwer, unter diesen Rahmenbedingungen eine Ausweitung des Angebots zu realisieren. Dabei bräuchten wir für mehr Klimaschutz und weniger Staus genau das.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Licht und Schatten – beides gibt es auch in weiteren Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat am 24. Februar eine neue Dimension angenommen. In der Folge kamen und kommen bis heute Menschen zu uns, die vor Bomben, Drohnen und Kriegsverbrechen flüchten. Wir nehmen unsere humanitäre Verpflichtung zur Unterbringung und Integration dieser Menschen ebenso ernst wie unsere Verantwortung gegenüber Menschen, die aus anderen Regionen der Erde vor Krieg, Gewalt und Verfolgung zu uns flüchten.

Natürlich stellt das unser Land und auch die Kommunen vor Herausforderungen. Dass der Bund aber die Länder im kommenden Jahr mit insgesamt 2,75 Milliarden Euro unterstützt, sich nun auch strukturell an den Kosten beteiligen will und damit stärker in die gemeinsame Verantwortung geht, ist gut und richtig. Das ist ein Lichtblick; denn diese Herausforderung können wir nur gemeinsam bewältigen.

Hier zeigt sich eben auch: Das Land Nordrhein-Westfalen hat nicht nur für sich, sondern auch für unsere Kommunen verhandelt, weil handlungsfähige Kommunen uns gerade in einer Krise so wichtig sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Licht sehen wir für viele Menschen, auch bei uns in Nordrhein-Westfalen. Die Gas- und Strompreisbremse kommen. Bereits vor dem Angriff Russlands stiegen die Gaspreise im vergangenen Jahr. Seit dem Angriffskrieg haben sich die Gas- und Strompreise so rasant entwickelt, dass die Realität von jeglichen Szenarien immens abweicht, selbst von denjenigen der letzten Wochen und Monate. So gilt auch hier: Standardantworten greifen einfach nicht mehr.

Viele Menschen sorgt die Ungewissheit, mit welchen Mehrkosten sie überhaupt kalkulieren müssen. Eine Gewissheit aber bleibt: Den Preis für den schleppenden und verhinderten Ausbau der erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren zahlen wir jetzt alle.

Da sind die Ausführungen, die auch Sie, Herr Höne, vorhin zur Bezahlbarkeit gemacht haben, wirklich scheinheilig, weil es die erneuerbaren Energien sind, die sich in der nächsten Zeit überhaupt noch günstig halten können werden. Das Festhalten an den fossilen Energieträgern ist genau das, was uns in die jetzige Preisspirale gebracht hat. Das ist das Problem – und nicht, dass wir zu wenig auf Erneuerbare gesetzt haben. Die Erneuerbaren wären die Lösung, und genau darauf müssen wir setzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist jetzt umso wichtiger, dass wir unsere ganze Kraft dafür einsetzen, den Ausbau der erneuerbaren Energien maximal zu beschleunigen, und alle Potenziale, die jetzt noch da sind, wirklich schnell zu heben. Das hilft nämlich der Versorgungssicherheit, der langfristigen Preisstabilität und dem Klima.

Zur Wahrheit gehört gleichzeitig aber auch: Die Preise für Gas und Strom werden absehbar nicht wieder auf das Vorkrisenniveau sinken, und die Politik wird nicht alles dauerhaft auffangen können. Gerade deshalb sind die angekündigten Härtefallregelungen des Bundes und unsere Planung auf Landesebene so wichtig. Wir werden im Land und im Bund weiter daran arbeiten, dass unsere Wirtschaft gut durch diese Krise kommt.

Energiepreise, Inflation, Lieferkettenkrisen und die absehbar schwächelnde Konsumlage bringen unsere Wirtschaft in NRW in eine sehr fragile Lage. Gerade in Zeiten von Krisen muss investiert werden. Gerade in Krisenzeiten muss die Wirtschaft gestärkt werden. Das gilt für die Frisierstube um die Ecke, das gilt für den Bäcker von nebenan, für den Hidden Champion in Ostwestfalen-Lippe und für die energieintensiven Unternehmen, die so wichtig sind. Sie alle sind das Rückgrat unseres Wohlstands in Nordrhein-Westfalen, und wir wollen sie erhalten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Gleichzeitig ist aber auch klar: Der Handlungsspielraum der Länder ist begrenzt; vor allen Dingen dann, wenn der Bundesfinanzminister mit Tricks einen doppelten Boden im eigenen Haushalt einzieht, es den Ländern mit unsauberen Steuerschätzungen aber verwehrt, eine wirtschaftliche Notlage festzustellen. Das ist ein ideologiegetriebenes Spiel auf dem Rücken der Handlungsfähigkeit von uns Ländern und den Kommunen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Henning Höne [FDP]: Unfassbar!)

Licht und Schatten zeigen sich auch beim Ministerpräsidentenbeschluss zu den Härtefallregelungen. Es ist gut, dass der Bund da aktiv werden will, wo Gas- und Strompreisbremse noch nicht ausreichen werden. Aber wieder ist die konkrete Ausgestaltung leider unklar geblieben. Wieder müssen die Menschen in unserem Land darauf warten, was konkret an Unterstützung kommen und wie diese ausgestaltet sein wird.

Wir haben als Koalition immer gesagt, dass wir da einspringen, wo der Bund nicht ausreichend liefert und wir etwas möglich machen können. Mit dem Sicherheitsschirm für die Unikliniken und unseren nordrhein-westfälischen Anteilen an den Entlastungspaketen I und II haben wir bereits vorgelegt.

Gestern haben wir mit dem Sicherheitsschirm für Stadtwerke nachgelegt; denn wir müssen verhindern, dass Stadtwerke angesichts der hohen Preise und der starken Schwankungen an den Energiemärkten aufgrund mangelnder Liquidität in Schwierigkeiten geraten.

Und jetzt liefern wir weiter, und zwar bei Krisenhilfe, Krisenresilienz und Krisenvorsorge. Mit den 3,5 Milliarden Euro, die wir mit aller Kraft für diese drei Säulen aufbringen, werden wir die notwendige Unterstützung bereitstellen. Wir setzen alles daran, dass unser Land – die Menschen, unsere Wirtschaft, die Wohlfahrtsverbände und die Vereine – gemeinsam gut durch diese Krise kommt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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