Simon Rock: „Die Situation ist viel zu ernst für parteipolitische Profilierungsversuche“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zur "Kalten Progression"

Portrait Simon Rock

Simon Rock (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Inflation vor allem im Energiebereich, die durch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und den anschließenden Wirtschaftskrieg gegen Deutschland und Europa ausgelöst wurde, belastet insbesondere Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen. Diesen Menschen muss dringend mit zielgenauen Maßnahmen geholfen werden. Die Situation ist viel zu ernst für parteipolitische Profilierungsversuche.

Nach den Vorstellungen des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner soll der Grundfreibetrag um 285 Euro erhöht werden. Das ist auch unstrittig. Denn von einer Anhebung des Grundfreibetrags profitieren fast alle Einkommen. Sie ist im Übrigen auch verfassungsmäßig geboten.

Mit dem Abbau der kalten Progression ist jedoch vor allem eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage gemeint, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen ist. Christian Lindner hat hier den Vorschlag gemacht, diese Bemessungsgrundlage um 3.375 Euro zu erhöhen.

Das ist also mehr als das Elffache der geplanten Erhöhung des Grundfreibetrags.

Darüber, ob dies in der derzeitigen Situation angemessen ist, kann man kontrovers diskutieren. Doch ist der Bundestag der richtige Ort für derartige Debatten. Denn dem Bund obliegt nach Art. 105 Grundgesetz die Kompetenz für die Festlegung der Einkommensteuer – und nicht den Bundesländern. Wenn die FDP die kalte Progression abbauen will und dies für eine sozial gerechte Maßnahme hält, ist sie in diesem Haus deshalb an der falschen Adresse.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Bundesregierung muss vor allem durch substanzielle Entlastung der Bevölkerung dafür sorgen und dabei insbesondere Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen, aber auch Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner angemessen berücksichtigen. Denn genau diese Gruppen gehen beim Abbau der kalten Progression weitgehend leer aus.

Ich habe großes Vertrauen in meine Kolleginnen und Kollegen in Berlin, dass sie sich diesen Fragen annehmen und durch ein drittes Entlastungspaket das Leben aller Menschen in Deutschland während der momentanen Krise erleichtern werden – und nicht nur das Leben von Top-Verdienenden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Aus den Reihen der FDP ist eine Kurzintervention des Abgeordneten Witzel angemeldet worden. Herr Witzel, ich schalte Ihr Mikrofon frei. Anschließend hat Herr Kollege Rock noch einmal die Gelegenheit zu einem Statement als Entgegnung dazu.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Rock, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, als Sie gerade dasselbe Narrativ verwendet haben, das Ihr Koalitionspartner und deren Sprecher Olaf Lehne gerade auch verwendet hat, nämlich, wir seien hier an der falschen Adresse, wenn wir uns im Landtag in der Frage der Entlastungen über das Thema der kalten Progression unterhalten und die Aufforderung formulieren, dass sich das Land bei den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzen im Bundesrat auch mit Priorität dafür einsetzen soll.

Können Sie mir bitte Folgendes erklären? Wollen Sie sich zukünftig bei der Frage der Einkommensteueraufteilung als Land Nordrhein-Westfalen aus Sicht der schwarz-grünen Koalition bundespolitisch nicht mehr verhalten, sondern einfach das entgegennehmen, was auf Bundesebene entschieden wird, ohne die eigene Stimme zu diesen Fragen abzugeben? Mich würde zum Ersten außerordentlich interessieren, ob das Land dort teilnahmslos ist, und zum Zweiten, ob Schwarz-Grün verabredet hat, auf jedwede Bundesratsinitiative in den nächsten fünf Jahren zu verzichten.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Bevor ich das Mikrofon des Abgeordneten Rock freischalte, muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass eine Kurzintervention, also ein Statement, angemeldet worden ist und nicht eine Zwischenfrage. Daher kann der Kollege jetzt seinerseits ein Statement abgeben. Bitte, Herr Kollege Rock.

Simon Rock (GRÜNE): Das ist kein Problem. Ich kann ja auch auf die Frage eingehen. Die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes sieht es nun einmal so vor, dass die Länder sich selbstverständlich über den Bundesrat einklinken können. Aber in der Regel sind sie dann am Zuge, wenn der Bundestag eine Entscheidung getroffen hat, und nicht davor. Darauf habe ich mich bezogen.

Im Übrigen: Bundesratsinitiativen sind in den allermeisten Fällen – meiner Erinnerung nach in 95 % der Fälle – eher zum Scheitern verurteilt. Es mag einige wenige Initiativen geben, die so überparteilich sind, dass sie Aussicht auf Erfolg haben. Diese werden wir in den nächsten fünf Jahren auch einbringen. Wir werden aber sehr sparsam mit Bundesratsinitiativen umgehen, die einfach nur Schauveranstaltungen sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Das haben Sie früher aber anders gesehen! Das ist wieder eine Änderung der Grünen! – Ralf Witzel [FDP]: Das kommt auf Wiedervorlage!)01

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