Wibke Brems: „Es braucht alle demokratischen Kräfte in diesem Haus, um die Gesellschaft bei diesen enormen Herausforderungen zusammenzuhalten“

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Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es in der Hand, welche Geschichte später über uns und über Nordrhein-Westfalen erzählt wird. Wir entscheiden jetzt, wie Nordrhein-Westfalen in fünf Jahren und in fünf Jahrzehnten aussehen wird. Damit das jedoch ein gerechtes, ein faires, ein nachhaltiges, ein sicheres und ein krisenfestes Nordrhein-Westfalen sein wird, brauchen wir Veränderungen. Mit einem „Weiter so!“ gibt es für die Krisen dieser Zeit keine nachhaltigen Lösungen, denn das „Weiter wie bisher!“ hat uns doch erst in diese Situation gebracht.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Manch‘ Ankündigungsminister sorgte in den vergangenen Jahren zwar für ein Gefühl von Aufbruch, aber geändert hat sich viel zu wenig. Jetzt ist die Zeit zu handeln, und dazu ist unsere starke grüne Fraktion bereit. Wir übernehmen in einer von Krisen geprägten Zeit Verantwortung in einer Konstellation, die in NRW neu ist. Das bietet die Chance, unterschiedliche gesellschaftliche Interessen zu vereinen und für festgefahrene Themen neue Lösungen zu finden. CDU und Grüne bleiben dabei natürlich eigenständig. Allerdings nutzen wir unsere jeweiligen Stärken, um über alte Lager hinweg gemeinsam daran zu arbeiten, NRW zukunftsfest zu machen.

Wir versprechen: Wir nehmen die Herausforderungen an. Wir hören zu. Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Wir handeln.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist unsere Verantwortung, Antworten zu finden, umzusetzen und sie an neue Situationen anzupassen – für die alleinerziehende Mutter, die schon bisher jeden Cent umdrehen musste und bald nicht mehr weiß, woher sie das Geld für das Heizen im kommenden Winter geschweige denn für die Klassenfahrt nehmen soll, für die Eltern, die zu Recht erwarten, dass die Bildung ihrer Kinder trotz Lehrermangel und der in der Coronazeit entstandenen Defizite oberste Priorität hat, für die Kinder, die sich um ihre Zukunft auf unserem Planeten Sorgen machen, für den Bauern, der durch die Dürre seine Ernte und sein Einkommen gefährdet sieht, für die Künstlerin und den Gastronomen, die nach den harten Coronazeiten immer noch keine Sicherheit für ihre Zukunft haben, und für die Unternehmerin, die ihre Firma zukunftsfähig aufstellen will, aber dafür andere Rahmenbedingungen braucht, damit sich Investitionen in klimafreundliche Verfahren lohnen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, hängen alle diese Aspekte irgendwie zusammen: saubere Umwelt, Gesundheit, gute Bildung für alle, soziale Sicherheit, wirtschaftlicher Erfolg, Ökonomie, Ökologie, Soziales. Die drei Säulen der Nachhaltigkeit zu einem harmonischen Dreiklang zu machen, ist die Aufgabe unserer Zeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir stellen uns dieser Aufgabe und sind auf dem Weg, Nordrhein-Westfalen nachhaltiger zu machen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, dass wir den Weg manchmal erst noch finden müssen und es sein kann, dass wir unterwegs eventuell auch einmal feststellen, dass wir etwas ändern müssen. Es ist aber klar, dass wir jetzt daran arbeiten, damit wir morgen der Vision für übermorgen näherkommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das Kind der alleinerziehenden Mutter soll an der Klassenfahrt teilnehmen können wie jede und jeder seiner Mitschüler*innen. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, dass im kommenden Winter manche frieren, während es sich andere leisten, unsolidarisch zu sein. Wir arbeiten daher daran, dass Strom- und Gassperren verhindert werden, und weiten die Energiesparberatung aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zusammen mit einer Nachfolgeregelung für das Neun-Euro-Ticket und einem dritten Entlastungspaket kann dann die alleinerziehende Mutter auch nachhaltig unterstützt werden. Aber manche tragen mit der Abschaffung der kalten Progression für Topverdiener*innen lieber ein Mantra vor sich her, als sich wirklich um die zu kümmern, die unsere Unterstützung dringend benötigen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Der Bauer erlebt die Naturgewalten hautnah. Sein Broterwerb ist davon abhängig. Die extreme Dürre und die bereits spürbaren Klimaveränderungen der vergangenen Jahre erschweren seine Arbeit. Die Felder und Äcker gegen Hitze, gegen Dürre und Starkregen resistenter zu machen, die Artenvielfalt zu erhalten und gesunde Lebensmittel zu produzieren, das sind die Aufgaben, vor denen die Landwirtschaft steht. Hierbei benötigt sie unsere Unterstützung. Daher werden wir praxistaugliche Verfahren unterstützen, damit landwirtschaftliche Flächen mehr Wasser speichern können. Zusätzlich bauen wir das Beratungs- und Förderangebot für wassersparende Bewässerungsanlagen sowohl im Garten- als auch im Ackerbau deutlich aus, damit die Landwirtschaft hier in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin eine Zukunft hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ob Land oder Stadt – in den Kommunen wird konkret und fassbar, was hier im Landtag oder im Bundestag entschieden wird. Dort sind die hohen Energiepreise zu spüren – im Schwimmbad, Frauenhaus oder in der Kita. In den Kommunen werden aus Klimaschutzplänen konkrete Maßnahmen. Hier müssen Plätze und Straßen auf die immer häufiger auftretenden Hitzewellen vorbereitet werden. Das neu aufgelegte Förderprogramm für Hitzepläne ist nur ein Beispiel, wie Schwarz-Grün zur Unterstützung von Kommunen beiträgt. Grünflächen und Frischluftschneisen machen eine Kommune lebenswerter. Sie bieten zum Beispiel Bewegungsraum für Kinder und Jugendliche, und sie verbessern die Luft. Kluge Planung vor Ort entscheidet also, wie lebenswert, sicher und nachhaltig die eigene Stadt ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In den Städten und Gemeinden müssen die Kitas und Schulen zu Orten werden, in denen Kinder gerne sind. Das wird nur gelingen, wenn unsere hochverschuldeten Kommunen wieder handlungsfähig sind. Wenn der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen wird, werden wir in Nordrhein-Westfalen eine Lösung für ein Altschuldenfonds finden. Denn der Zustand von Schulen und Kitas darf nicht von der Postleitzahl abhängen.

Aber vom Bundesfinanzminister ist jetzt ja sogar eine kategorische Absage an quasi alles zu hören: Bildung, Kinderbetreuung, Regionalverkehr, kommunale Investitionen – alles keine Bundesaufgabe, sagt er. Eiskalt geht er über Vorschläge hinweg, die für Entlastung und Gerechtigkeit sorgen würden. So kennen wir leider Herrn Lindner.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Aber zurück zu den Kitas und Schulen. Es ist unsere Aufgabe, auf Landesebene eine Antwort auf den Personalmangel in Kitas und Schulen zu finden. Es ist daher ein wichtiger Schritt, dass die schwarz-grüne Koalition das Alltagshelferprogramm in den Kitas fortführen wird. Wir behalten natürlich immer im Blick: Die Kommunen sind unsere Partner. – Deshalb werden CDU und Grüne weiter an ihrer Seite sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Auch bei unserer Mobilität steht NRW vor vielen Herausforderungen, um den unterschiedlichen Anforderungen von Stadt und Land gerecht zu werden. Die Infrastruktur von Straßen und Schienen wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Die Fokussierung auf Sanierung von Neubau ist daher nur folgerichtig. Auf dem Land werden wir neue Schnellbusverbindungen einrichten, und in und zwischen den Städten bauen wir den öffentlichen Nahverkehr aus. Denn das erfolgreiche Neun-Euro-Ticket hat die Probleme im System aufgezeigt und deutlich gemacht, wo wir ansetzen müssen. Überall sollen Radfahrende schnell und sicher unterwegs sein können. So gelingt es dann, die Alternativen zum Auto attraktiver zu machen, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Wir stellen also flächendeckend die Weichen für die Verkehrswende und werden damit auch unserer Verantwortung beim Klimaschutz gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Unternehmerin ist mit Corona, schleppender digitaler Infrastruktur, Hackerangriffen und Fachkräftemangel konfrontiert und will gleichzeitig ihre Produktion klimaneutral gestalten. Wir stehen an der Seite der Unternehmen und sorgen für gute Rahmenbedingungen und schlanke und digitale Genehmigungsprozesse. Ob es die klimaneutrale Umstellung der Flotte, die Nutzung von Abwärme oder die Umstellung von Gas oder Kohle auf erneuerbaren Strom oder grünen Wasserstoff ist, Investitionen in die Zukunft unseres Planeten müssen sich lohnen. Wir unterstützen und beschleunigen hier ganz gezielt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zur Umsetzung der Pläne fehlt es leider viel zu häufig an Fachkräften – an Handwerkerinnen, die die Energiewende aufs Dach bringen. Wir wollen mehr junge Menschen in Ausbildungsberufe bringen, zum Beispiel durch Ausbildungsbotschafter*innen. Und insbesondere wollen wir kleine und mittlere Unternehmen, die der Fachkräftemangel besonders trifft, bei der Anwerbung und Beschäftigung ausländischer Fachkräfte begleiten.

Wichtig ist uns dabei auch, die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse zu vereinfachen.

Außerdem ist ein lebenswertes Nordrhein-Westfalen mit attraktiven Freizeitangeboten, Sport und Kultur ein wichtiger Standortfaktor für die Standortauswahl von Fachkräften. Wir werden technische und soziale Innovationen stärker fördern und dafür sorgen, dass sie zeitnah zur Anwendung kommen. So machen wir Nordrhein-Westfalen zu einem digitalen und nachhaltigen Standort.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden vorausschauend haushalten, für Risiken vorsorgen und so im Krisenfall handlungsfähig bleiben. Schienen, Schulen und Solarenergie – wir sorgen mit Investitionen für die Zukunft unserer Kinder vor. Denn Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif. Man muss nachhaltig in sie investieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Angesichts der großen Aufgaben, die vor uns liegen, brauchen wir auch kreative Lösungen, keine Frage. Aber die neuesten Vorschläge, die da gerade aus Bayern kommen, sind ja nur noch abstrus. Da wird nicht nur das Risiko bald vom Netz gehender und lange nicht mehr überprüfter Atomkraftwerke vom Tisch gewischt, sondern auch noch der Bau neuer Atomkraftwerke gefordert.

(Zuruf von der AfD)

Auf so eine Idee muss man ja erst mal kommen, für ein aktuelles Problem eine Scheinlösung anzubieten, die frühestens in 20 Jahren Realität werden könnte. Vom massiven Risiko der Atomkraft abgesehen, müssen dann diejenigen, die so etwas vorschlagen, mal erklären, wie Sie verhindern wollen, was bei anderen Atomprojekten nämlich falsch läuft.

Es kommt noch mal – Sie merken es – die Energiepolitikerin in mir durch, aber es ist einfach zu absurd, um es nicht darzustellen. Nehmen wir als Beispiel das französische Atomkraftwerk Flamanville 3. Seit 2007 wird gebaut. Fertig werden wollte man 2012. Die Inbetriebnahme ist mehrmals verschoben worden, zuletzt auf 2023. 16 Jahre statt fünf Jahre Bauzeit, Kosten von 12,7 Milliarden Euro statt geplanter 3,3 Milliarden Euro!

Das ist kein Ausreißer. In Finnland dauerte es 15 Jahre statt geplanter vier Jahre, das Atomkraftwerk Olkiluoto zu bauen, und auch hier mehr als verdreifachte Kosten von 10 Milliarden Euro. Dafür kann man doch in wesentlich kürzerer Zeit so viel erneuerbare Energien ans Netz bringen.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Ein solcher Vorschlag hat nun wirklich nichts Rationales mehr. Das ist pure Ideologie und unverantwortliche Politik. Dabei haben wir doch schon genug damit zu tun, die Versäumnisse der Regierung der vergangenen Jahre abzuarbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der russische Angriffskrieg sorgt seit mehr als sechs Monaten für unendliches Leid bei den Menschen in der Ukraine. Es ist tragisch, dass erst der Krieg vielen die unheilvolle Abhängigkeit von fossilen Energieträgern vor Augen geführt hat. Ich finde es bitter, dass erst der Krieg eine breit getragene Unterstützung und Dynamik zugunsten der erneuerbaren Energien und mehr Energieeinsparungen bewirkt hat. Viel zu lange wurde jede Warnung in den Wind geschlagen, der Ausbau der erneuerbaren Energien behindert und fossile Energien verbrannt, als gäbe es kein Morgen.

Es ist jetzt unsere Aufgabe, trotz aller Herausforderungen den Kohleausstieg bis 2030 umzusetzen und endlich die erneuerbaren Energien auszubauen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die schwarz-grüne Koalition hat sich da ja bereits auf den Weg gemacht mit der Erleichterung von Freiflächen-Photovoltaik und Windenergieprojekten durch die Nutzung der Länder-Öffnungsklausel und der ganz frisch angestoßenen Änderung des Landesentwicklungsplans.

Wenn sich nun auch noch der Bundesfinanzminister dazu durchringen könnte, für eine Steuerentlastung von kleinen und mittleren Photovoltaikanlagen zu sorgen, dann wären wir wirklich schon mal einen wichtigen Schritt weiter.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Denn ich möchte festhalten: Jede Kilowattstunde Strom, die wir erneuerbar und nicht mehr fossil erzeugen, bringt uns den Klimazielen und der Freiheit einen Schritt näher.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Sven Werner Tritschler [AfD]: Oh ja!)

Die Energiekrise wird uns allen noch einiges abverlangen, denn sie ist noch gar nicht auf dem Höhepunkt angekommen. Ob wir diese und weitere Herausforderungen, die noch vor uns liegen, als Gesellschaft aushalten, hängt davon ab, ob wir auch unbequeme Wahrheiten ehrlich aussprechen, ob wir alle Verantwortung übernehmen, auch dann, wenn wir uns eigentlich andere Ergebnisse gewünscht hätten, ob wir miteinander statt gegeneinander arbeiten, ob wir uns zutrauen, dass wir das gemeinsam schaffen.

Wir müssen endlich längst überfällige Veränderungen anpacken. Wir haben die Technologien, wir haben die Menschen und das Wissen, und wir haben die Wirtschaftskraft. Diese Koalition hat den Willen, die Veränderungen zu einem nachhaltigen NRW zu starten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Politik und Demokratie müssen in Krisen über sich hinauswachsen und mutig und mit Weitsicht neue Lösungen finden. Denn sonst ist das Vertrauen in die Politik gefährdet. Die alleinerziehende Mutter, der Bauer und die Unternehmerin brauchen eine Landesregierung, die sie ernst nimmt und die Lösungen für sie findet und anpackt. Dabei sind weder eine schöne Verpackung noch Schnellschüsse, plumpe Forderungen oder Populismus die Lösung. Es liegt in unser aller Verantwortung, alte Gräben zu überwinden und auf Positions- und Regierungsspielchen zu verzichten.

Es braucht alle demokratischen Kräfte in diesem Haus, um die Gesellschaft bei diesen enormen Herausforderungen zusammenzuhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich möchte Sie daher einladen: Wenn Sie gute Vorschläge machen, dann werden wir natürlich auch konstruktiv gemeinsam daran arbeiten. Das ist die Herausforderung, vor der wir dann gemeinsam stehen.

Mit der Energiekrise und dem Klimawandel im Nacken sind die Herausforderungen immens. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, und das schaffen wir nur mit vereinten Kräften, mit den Kommunen, mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, den Verbänden und der Politik und mit den Menschen in NRW zusammen. Wir brauchen ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Wir alle tragen Verantwortung. Mit Vertrauen und mit Mut werden wir die Krisen meistern. Schreiben wir Geschichte jetzt für unser NRW, in fünf Jahren und in fünf Jahrzehnten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)